Markus Köhlerschmidt, Stefanie Voigt: "Mit Pauken und Perücken"
Die Lebenskünste der erhabenen Herren Händel, Bach, Telemann und Mozart
Das Erhabene in der Musik und
manches weniger Erhabene im Alltag
Zu den in Bezug auf die Kultur am weitesten verbreiteten Begriffen des Barock
und darüber hinaus gehört das "Erhabene": Es erzeugt erhebende Gefühle und
vermittelt einen Abglanz des Göttlichen. Die vier im hier besprochenen Buch
vorgestellten Komponisten galten zu ihrer Zeit oder - Bach! - vor allem nach
ihrem Tod als erhaben, ebenso, wenn nicht noch mehr, jedoch ihre Musik.
Zunächst führen die Autoren in das Thema ein, indem sie die Lebensumstände zur
Zeit ihrer Protagonisten schildern und aufzeigen, wie sich in diesem Umfeld die
Erhabenheit präsentierte - und wie sie sich hin zum 21. Jahrhundert entwickelte,
was im letzten Abschnitt noch detaillierter dargestellt wird. In den sich
anschließenden Kapiteln geht es um die vier Komponisten: Händel, der
Genussliebende mit den vielen Höhen und Tiefen seines Lebens in seiner
Wahlheimat England, Bach, der sich stets mit Vorgesetzten schwertat, dafür aber
musikalisch Weichen stellte, dessen Werk zeit seines Lebens allerdings
wesentlich weniger Anerkennung fand als jenes von Händel, und nicht zuletzt
Telemann, der dritte Barockmusiker aus diesem Band: Heute weitgehend in
Vergessenheit geraten, war er zu Lebzeiten in Hamburg und in Paris eine
Berühmtheit, äußerst beliebt und in seinen späteren Jahren eigentlich mehr auf
Blumenzucht versessen denn auf Musik.
Bleibt Mozart, der die barocken Zöpfe gewissermaßen abschnitt und die Perücken gleich dazu absetzte, zu einem guten Teil aus Trotz gegenüber dem übermächtigen
Vater. Mozart, der mit derben Worten und Späßen nicht sparte, war auf eine neue,
andere Weise "erhaben".
Auf die Präsentation der Komponisten folgt ein Kapitel, das sich ausführlich mit
den Philosophien der Komponisten und der Entwicklung des Erhabenheitsbegriffs
bis heute befasst. Auch das Erhabene an sich wird noch einmal genauer
betrachtet.
Den Abschluss des Buchs bildet ein Literaturverzeichnis.
Im Grunde setzen sich die Komponistenvitae aus einer Abfolge von Anekdoten
zusammen, die nicht zwingend witzig sind, sondern vor allem die Charaktere der
Protagonisten erkennen lassen: den cholerischen, doch auch zähen und
zielstrebigen Händel, den ruhigeren Bach, dessen Umfeld kaum ein ungestörtes
Arbeiten ermöglichte, den allseits beliebten Telemann mit diversen privaten
Schwierigkeiten und schließlich Mozart, das Wunderkind mit allerlei
Schattenseiten und zahllosen Steinen auf dem Weg, trotz Hochbegabung.
Trotz der ausgesprochen kleinen Schrift - für Verwender von Energiesparlampen
ist das Buch je nach Sehfähigkeit beziehungsweise Qualität der Sehhilfe nur
eingeschränkt zu empfehlen -, an die man sich gewöhnen muss, liest sich das Buch
angenehm und unkompliziert. Es unterhält, bietet dabei jedoch einen enormen
Gehalt, denn dem Leser offenbaren sich sorgfältig recherchierte und aufbereitete
Facetten und Details der einzelnen Künstlervitae, die er zu einem guten Teil
vorher vermutlich nicht kannte. Manches verblüfft, manches amüsiert, anderes
berührt oder stößt womöglich auch ab, alles zusammen ergibt ein vielschichtiges
Bild des jeweiligen Komponisten. Anmerkungen finden sich als Fußnoten unter dem
Text, was sich als komfortabel erweist.
Auch die abschließenden Betrachtungen zur Erhabenheit sind interessant zu lesen,
ist der Begriff heute doch größtenteils abhanden gekommen und durch mehr oder
weniger passende Synonyme ersetzt worden. Diese Entwicklung stellen die Autoren
sehr anschaulich dar. Es macht Spaß, den Brückenschlag nachzuvollziehen und
einen Bezug zwischen den vier Komponisten und der heutigen Auffassung von
Erhabenheit herzustellen. Im Titel des letzten Unterkapitels findet sich der
Seufzer "Ach, Bach!" nicht zu Unrecht und durchaus vielseitig
interpretierbar.
Ein Sachbuch, das inhaltlich, doch auch durch eine lebendige und differenzierte
Darstellung besticht!
(Regina Károlyi; 02/2014)
Markus Köhlerschmidt, Stefanie Voigt: "Mit Pauken und Perücken.
Die Lebenskünste der
erhabenen Herren Händel, Bach, Telemann und Mozart"
Böhlau, 2013. 167 Seiten.
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Mit der abenteuerlichen Flucht des Lutheraners Veit Bach in den religiösen Wirren des 16. Jahrhunderts aus Ungarn nach Thüringen tritt eine der bemerkenswertesten Musikerdynastien Deutschlands auf den Plan. Über mehrere Generationen hinweg sollten etwa dreißig Bachs - Vorfahren, Geschwister und Nachkommen des großen Johann Sebastian - das Musikgeschehen Deutschlands und Europas maßgeblich prägen. Klaus-Rüdiger Mai legt die erste große Familienbiografie der Bachs vor, ein einzigartiges Kapitel deutscher Kulturgeschichte über drei Jahrhunderte hinweg. Mai erzählt die Bach'sche Familienchronik vor dem Hintergrund des aufstrebenden Bürgertums, das in Sachsen und Thüringen, wo die Bachs lebten und wirkten, ein geistiges Zentrum hatte. Er verfolgt ihren Weg nach London, Stockholm, Venedig oder Mailand, wo sie das europäische Musikleben nachhaltig beeinflussten. An den Entwicklungen ihrer Zeit, die von Luthers Reformation und der Aufklärung geprägt war, nahmen sie aktiv teil: eine moderne bürgerliche Familie, die mit ihrer Musik dem zu Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit gelangten Bürgertum Ausdruck verlieh. (Propyläen)
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Eva Gesine Baur: "Mozart. Genius und Eros. Eine Biografie"
Eva Gesine Baur erzählt Mozarts dissonantes Leben,
ohne zu beschönigen, dass der Schöpfer unfassbarer Musik auch eine schwarze
Seite hatte: Sich seines göttlichen Talents bewusst, log, trickste und
intrigierte er. Er verschenkte Glückseligkeiten und verteilte Bösartigkeiten.
Die Biografie versucht, diesen Abgrund auszuloten. Mozart selbst hat das Problem
in die Welt gesetzt, mit der sich seine Verehrer und seine Biografen
herumschlagen: Er schrieb Briefe, die seine menschlichen Schwächen bloßlegen.
Auch andere Zeitzeugnisse zeigen einen Mozart, der alles Andere als göttlich
war. Seinen Vater, Salieri oder seine Frau Constanze zu Sündenböcken zu machen,
verbieten die Fakten. Das Verständnis für das Werk und den Mann Mozart
voneinander zu trennen erklärte bereits der Philosoph Norbert Elias als
"künstlich, irreführend und unnötig". Wer weiß, wie rastlos und ruhelos
seine Mitmenschen den Zappelphilipp Mozart erlebten, versteht die verblüffende
Tatsache, dass er fast 600 Fragmente hinterließ. Sein Leiden an seiner äußeren
Hässlichkeit hilft, seine Begierde nach dem Schönen zu verstehen. Eine Bemerkung
des großen Mozart-Dirigenten Richard Strauss brachte die Autorin auf den
Vergleich Mozarts mit dem Gott Eros, wie er in Platons "Gastmahl" beschrieben
wird. Eros ist nicht der von allen Geliebte, sondern der große Liebende. Selbst
nicht schön, sehnt er sich nach Schönheit. Ein Zauberer, aber auch ein großer
Intrigant. Ein Dämon, getrieben von einer unstillbaren Sehnsucht. Weder Gott
noch Mensch. Vielmehr ein Bote zwischen dem Göttlichen und dem
Allzumenschlichen. Mozart und Eros: der große Widerspruch. So irdisch wie
überirdisch. (C.H. Beck)
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