Bernhard Schlink: "Die Frau auf der Treppe"
Ein Gemälde von Gerhard
Richter mit dem Titel "Ema (Akt auf einer Treppe)" hat den Schriftsteller
Bernhard Schlink zu diesem Roman inspiriert.
In "Die Frau auf der Treppe" heißt die gemalte Frau Irene, hat eine angedeutete,
aber nicht weiter ausgeführte Vergangenheit als Sympathisantin der
RAF-Terroristen und hat ihren Mann, den reichen Unternehmer Gerlach,
verlassen, um mit dem Maler des Bildes, Schwind, zusammen zu leben.
Es gibt einen erbitterten Streit um die Eigentumsrechte an dem Bild, in den der
junge Anwalt, der die ganze spannende und unterhaltsame Geschichte erzählt,
einbezogen wird. Noch unerfahren in einer Frankfurter Anwaltskanzlei, (wir
schreiben das Jahr
1968, das Land befindet sich mitten in den Studentenprotesten, die den
Anwalt aber relativ unberührt lassen), verliebt er sich in seine schöne
Mandantin und hilft ihr dabei, als sie das Bild stiehlt. Er glaubt, dass Irene
gleichartige Gefühle für ihn hegt, doch das Gegenteil ist der Fall.
Sie verschwindet spurlos mit ihrem Bild, das schon damals einen unglaublichen
Wert hatte. Vierzig Jahre später, der erzählende Anwalt ist mittlerweile zum
Sozius der Frankfurter Kanzlei aufgestiegen, hat er in Australien Verhandlungen
im Zusammenhang mit einem Firmenzusammenschluss zu führen, mittlerweile sein
internationaler Arbeitsschwerpunkt.
In seiner freien Zeit besucht er
eine Kunstausstellung und steht plötzlich vor jenem Bild, das damals sein
ganzes Leben durcheinander brachte und beinahe seine aussichtsreiche Zukunft
gefährdete. Zu seiner eigenen Überraschung spürt er geradezu schmerzhaft,
wie die damalige (Liebes-)Geschichte plötzlich wieder präsent ist; eine
Erfahrung, die er offenbar nie ganz verwunden hat. |
" (...) Das Bild erkannte ich sofort wieder. Ich betrat den letzten Hof der
Art Gallery, und da hing es und berührte mich wie damals, als ich den Salon des
Hauses Gundlach betrat und das Bild zum ersten Mal sah. |
Über einen langen Teil des Buches
geht es dann um die Gespräche, die sie dort führen. Über die Vergangenheit der
beiden, wie ihr Leben weitergegangen ist, nachdem sie das Bild entwendet hatten.
Er machte Karriere in der Kanzlei, sie ging in den Untergrund und später in die
DDR. Auch darüber, wie ihr gemeinsames Leben hätte aussehen können, denken sie
nach, vor allem der Anwalt.
Doch da sind auch noch Gerlach und Schwind, die von dem Aufbewahrungsort des
Bildes Wind bekommen haben und plötzlich auf der Insel auftauchen.
Auf eine sachliche, unsentimentale Weise lässt Bernhard Schlink die vier
Protagonisten ihre Vergangenheit reflektieren. Und auch die Frage, wer das Bild
letztendlich bekommt, wird klar gelöst.
Weiter an der Geschichte spinnend, die sie beide miteinander hätten haben
können, (Schlink erzählt es im Indikativ), bleibt der Anwalt bei Irene und hilft
ihr beim Sterben. Sich selbst verhilft er durch die ehrliche Bilanz seines
Lebens dazu, ein neues zu beginnen.
"Die Frau auf der Treppe" ist wieder die "makellos schlichte Prosa", wie
Bernhard Schlinks Stil einmal bezeichnet wurde. Ein unterhaltsamer Roman ohne
viele hintergründige Absichten. Ein Roman, der einfach nur eine Geschichte aus
Deutschland erzählen will.
(Winfried Stanzick; 09/2014)
Bernhard
Schlink: "Die Frau auf der Treppe"
Diogenes, 2014. 256 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:
"Vergewisserungen. Über Politik, Recht, Schreiben und Glauben"
Ist die politische Klasse erschöpft? Hat die Wirtschaft Anspruch auf Vertrauen?
Schulden Schriftsteller politisches Engagement? Wofür braucht es die Kirche?
Wieviel Multikulturalität verträgt eine moderne Gesellschaft? Wo sind die
Grenzen des Rechts? Was ist der Preis der Gerechtigkeit? Wo ist Heimat? Oft
haben aktuelle Konflikte die Fragen provoziert: der Konflikt um Kruzifix und
Kopftuch in der Schule, die Forschung mit Stammzellen und Embryonen, die
Gefährdung der Menschenwürde im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus. Andere
Fragen nehmen ihren Ausgang bei literarischen und biblischen Texten: bei
Gedichten
von Heinrich Heine, Romanen von Hans Fallada,
Imre Kertész,
Pat
Barker und Jeffrey Eugenides, der Geschichte von Jakobs Kampf am Jabbok, dem
Bericht über Pfingsten. In der Beschäftigung mit den Fragen vergewissert sich
Bernhard Schlink seines Standorts. Weil er es zugleich als Schriftsteller und
als Jurist tut, schreibt er über Recht und Gerechtigkeit nicht abstrakt
juristisch und bleibt Erzähler, auch wenn es um Politik, Wirtschaft, Literatur
und Kirche geht. Die Texte sind erfrischend klar, anschaulich und lebendig. (Diogenes)
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