NoViolet Bulawayo: "Wir brauchen neue Namen"
Starkes Debüt
Der "Man Booker Prize" ist für den
deutschsprachigen Raum insofern wichtig, als dass die Inklusion auf die
Auswahlliste meist bedeutet, dass die Verlage auch in unseren Breiten
auf die Debütantinnen und Debütanten aufmerksam
werden. Genauso auch bei der 1981 in Simbawe geborenen und dort
aufgewachsenen NoViolet Bulawayo (eigentlich Elizabeth Zandile Tshele),
die mit ihrem Roman "Wir brauchen neue Namen" auf sich aufmerksam
gemacht hat.
Ebenso bunt wie der gewählte Künstlername der Autorin
sind die Namen der verschiedenen Protagonistinnen und Protagonisten des
Romans. Nicht nur bunt, sondern gleichzeitig auch bezeichnend
für die Handlungen oder Charaktere ihrer Träger.
Die Hauptprotagonistin ist die zehnjährige Darling, die in
ihrem ersten Leben in einer Hüttensiedlung lebt.
Obwohl der Vater zum Geldverdienen ins reichere Südafrika
verschwunden ist, erhalten Darling und ihre Mutter nie irgendwelche
Sendungen oder Überweisungen von dort. Darlings Mutter ist
tagelang weg, da sie versucht, das Überleben ihrer kleinen
Familie zu sichern. Die Großmutter ("Mother of Bones")
kümmert sich aber lieber um die Kirchgänge zu
Bitchington Mborro, dem schweißtriefenden Prediger.
Darling verbringt die meiste Zeit in ihrer Kinderbande, die aus Kindern
besteht, die alle aus finanziellen Gründen nicht mehr in die
Schule gehen. In der Bande dabei auch Bastard und Chipo, die
dummerweise immer langsamer wird und nicht mehr bei den Albereien
mitmachen kann. Der Grund: sie ist schwanger. Vom wem, erfährt
man zuerst nicht.
Im ersten (und viel stärkeren) Teil des Romans schafft es
NoViolet Bulawayo besonders eindrucksvoll, ein kindlich-naives Bild der
Ereignisse und Vorkommnisse in Zimbabwe zu Beginn des einundzwanzigsten
Jahrhunderts zu zeichnen. Bulldozer, die Hütten aus dem Weg
räumen, AIDS,
oder der Entdeckung einer an einem Ast selbst
erhängten Frau oder Lynchszenen, in denen Weiße von
einer wütenden Meute aus ihren Häusern gezerrt
werden, durch die kindliche Brille funktioniert das alles ohne Pathos
und Drama. Gewalt ist überall zugegen, von der rauen Sprache
der kleinen Bande bis hin zur eigenen Familie, später wird
klar, dass Chipos Großvater der Vater ihres Kindes ist. Die
Prosa hier energetisch, frech und wirklich frisch.
Die Verdoppelungen und Einwürfe in Ndebele (der Muttersprache
von NoViolet Bulawayo) funktionieren auch ausgezeichnet. Und wenn man
kein Ndebele versteht, der Rezensent gesteht, dass es ihm so geht, ist
das kein Problem, da das Resultat ein wenig wie die Gestikulation
funktioniert; man versteht, auch wenn man die Sprache nicht kennt.
Da Darling eine Tante in Amerika hat, gelingt es ihr, in die USA
auszuwandern. Der zweite Teil ist fast wie eine Spiegelung des ersten
Teils. Darling hängt auch hier mit Jugendlichen herum, kommt
rasch dahinter, wie man im modernen, urbanen
Großstadtdschungel überleben kann, sieht im Internet
Pornos und geht in Diskos. Auch hier ist (fast) überall Gewalt
zugegen. Nichtsdestotrotz, obwohl sie das alles versteht, hat sie sich
längst entschieden, für die neue Heimat. Ein paar
Klischees und Trivia zu viel; das dünne, hübsche
Mädchen aus Zimbabwe, das den dicken Amerikaner zwecks Green
Card heiratet, oder ein wenig peinliche Betrachtungen von
Schnee oder allzu klischeehafte Varianten von
Schwarz-trifft-auf-Weiß - weniger wäre hier mehr
gewesen.
Im zweiten Teil funktioniert die nun vielleicht nicht mehr so
kindlich-naiv-frische Sicht dann nicht mehr ganz so
überzeugend, irgendwie geht mit der Amerikanisierung Darlings
auch ihr Elan und ihre bis dahin überzeugende
Charakterzeichnung verloren. Was allerdings nicht an der Figur Darlings
liegt, sondern an der in diesem Kontext nicht mehr ganz
überzeugenden Prosa Bulawayos.
Obwohl der zweite Teil des Romans einfach nicht mit dem furiosen ersten
mithalten kann, ist eindeutig ersichtlich, welches Talent in NoViolet
Bulawayo steckt, bzw. welch beeindruckendes Können da bereits
vorhanden ist. "Wir brauchen neue Namen" ist eine großartige,
farbenreiche Bereicherung des Suhrkamp-Katalogs, und man kann nur
hoffen, dass bald weitere durchgehend glanzvolle Romane der jungen
Autorin folgen werden.
Absolute Empfehlung.
(Roland Freisitzer; 01/2015)
NoViolet
Bulawayo: "Wir brauchen neue Namen"
(Originaltitel "We Need New Names")
Aus dem us-amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow.
Suhrkamp, 2014. 264 Seiten.
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weltumspannenden Imperium des neoliberalen Kapitalismus. (Suhrkamp)
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