Clemens Nimscholz, Ralf Schoetzau: "Dolchfechten"
Der mittelalterliche Kampf mit dem Dolch nach Meister Talhoffer
Auch wenn das Schwert die Waffe
ist, die man rein gefühlsmäßig am ehesten mit dem
Mittelalter und der frühen
Neuzeit verbindet, so ist es doch sicherlich nicht die gebräuchlichste gewesen.
Zum Einen war sie ziemlich teuer - und
gute Schwerter waren noch teurer - und
dann wollte man etwas so Langes nicht unbedingt die ganze Zeit mit sich
herumtragen. Ein Dolch war praktischer und ließ sich überdies auch als kurzer
Grillspieß oder als ein anderes Werkzeug einsetzen, was die
Kosten-Nutzen-Überlegung stark beeinflusst haben dürfte. Besonders in Gegenden,
wo das "gemeine" Volk keine Schwerter oder andere Waffen tragen durfte, waren
dolchähnliche Werkzeuge sehr gefragt und wurden auch gut gepflegt.
Wie bei jeder Waffe macht einen der bloße Besitz allerdings nicht auch zu einem
Kämpfer; manche hatten das Glück, ihren Dolch ein Leben lang nur als Werkzeug
benutzen zu müssen und dann eines für damalige Verhältnisse natürlichen Todes zu
sterben. Wurde man zum Kriegswerk eingezogen oder in einen Gerichtskampf
verwickelt, war es meistens ganz gut, auch über kämpferische Erfahrung mit
seinem "Werkzeug" zu verfügen, zumal, wenn man sich einen ansässigen Kampflehrer
leisten konnte. Einer dieser Lehrer speziell für den Gerichtskampf war im 15.
Jahrhundert Hans Thalhoffer, der bisweilen auch an adligen Höfen unterrichtet hat und ein zu
seiner Zeit geradezu biblisches Alter erreichte.
Seine Aufzeichnungen zu den verschiedenen Waffen, aber auch zu Rüstungselementen
und sogar einem frühen Taucheranzug, zählen zu den umfassenden Werken über die
Kampfkunst des Mittelalters in Mitteleuropa, neben Joachim Meyers Fechtschule
und jener von Paulus Hector Mair. Das vorliegende Buch stützt sich in erster
Linie auf Thalhoffers Werk, ergänzt dies aber auch durch Bezüge auf Elemente der
beiden anderen genannten. Hierbei geht es in erster Linie um das Kämpfen mit dem
Scheiben- oder dem Nieren/Hodendolch mit sehr kurzer oder ohne Schneide und
einer Spitze; wohl auch, um das Verletzungsrisiko in Training und Freikampf so
gering wie möglich zu halten. Ein- oder mehrseitig durchgeschliffene Dolche
ließen sich bei vielen der dargestellten Techniken eher weniger verwenden, bzw.
nur einmal, denn dann mangelt es einem an den Fingern, um sie noch einmal zu
versuchen ...
Ausgehend von den nicht durchgängig beschreibenden mittelalterlichen Quellen,
(die Leute sollten schließlich einen Grund haben, den Fechtmeistern Geld zu bezahlen!),
haben die beiden Autoren zusammen mit einigen Freunden versucht,
Bewegungsabläufe zu rekonstruieren und auf ihre Praxistauglichkeit zu
überprüfen. Die vorgelegten Serienfotografien sind die Ergebnisse dieser
Bemühungen, die nach einigen Vorüberlegungen zur Überlieferungslage, zu
Konventionen, Übungsdolchen und zu Meister Thalhoffer demonstriert werden.
Begonnen wird logischerweise mit den Huten, Versätzen und Stichen, direkt
gefolgt von den Konterstichen. Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit dem
Kampf eines Unbewaffneten gegen einen Dolchträger, worauf dann Angriff (Konter-Gegenkonter-Folgen mit abschließenden Hebeln, Würfen oder auch Stichen)
gezeigt werden. Dabei wird jeder Fotoserie eines der Bilder aus den Quellen
vorangestellt, auf das sich das jeweils Folgende bezieht.
An dieser Stelle ist eine kleine Kritik angebracht, denn nicht immer scheinen
sich die gezeigten Dinge logisch aus der Thalhoffer-Vorlage abzuleiten, und
andere, näher an der Vorlage liegende Techniken erscheinen da zielführender. Aber das wäre im Training zu überprüfen. Allerdings ist
auffällig, dass Thalhoffer sehr spezifische Ellbogenstellungen in seinen Bildern
zeigt, die in den Fotoserien keinen Niederschlag finden. Zumindest hinsichtlich
des Faustkampfs und der Arbeit mit Anderthalb- und Zweihändern
erscheint das ein wenig irritierend, denn der Einsatz der Ellbogen in den
historischen Vorlagen wirkt doch sehr dezidiert, und ein Verzicht darauf sollte
zumindest kommentiert werden.
Ausgehend von den drei Quellautoren werden dann allgemeine taktische
Grundprinzipien betrachtet, bevor im Anhang erfreulich hilfreiche Informationen
zur Erstellung von Übungsplänen, zu Schutzkleidung und zum Bau eines
Übungsdolchs für den Freikampf gegeben werden; Letzteres mit sehr hilfreichen
Illustrationen durch Fotografien. Glossar und Danksagungen schließen das Buch
ab.
Bis auf die bemängelten Ausführungen zu bestimmten, beileibe nicht zu allen,
Abläufen ist dieses Buch eine hilfreiche Anleitung zum Arbeiten mit der darin
vorgestellten Form des Dolchs. Man beachte dabei aber, dass sich alles nur auf eine bestimmte Form des
Dolchs bezieht. Andere Dolche und auch Messer bedürfen zum Teil anderer
Techniken, und einige der im besprochenen Buch gezeigten Techniken würden sich bei anderen Waffen
eher gegen den Träger als gegen den Widersacher richten. Im Rahmen dieser
Einschränkungen ist dieses Buch jedoch sehr hilfreich.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 01/2015)
Clemens Nimscholz, Ralf Schoetzau:
"Dolchfechten.
Der mittelalterliche Kampf mit dem Dolch nach Meister Talhoffer"
Wieland, 2012. 192 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Weitere Buchtipps:
André Schulze: "Das Lange Schwert"
Die hohe Schule der mittelalterlichen Kampfkunst nach Talhoffers Fechtbuch.
Erstmals mit farbigen Reproduktionen der Tafeln des berühmten Codex von 1467.
Die Technik des Langen Schwertes. Jede einzelne Tafel wurde neu übersetzt,
analysiert und anhand einer Farbfotoserie anschaulich nachgestellt. Vermittelt
wird ebenso Wissenswertes zu den historischen Hintergründen, beispielsweise die
Bedeutung des Schwertkampfes für das Rittertum, der gesellschaftliche Rang der
Fechtmeister sowie der Stellenwert ihrer Kunst und die damalige Gerichtsbarkeit.
Zusammen mit dem Glossar machen diese Hintergrundinformationen das Buch zu einer
wichtigen Quelle für den Historiker. In der Biografie Meister Talhoffers wird
seine Persönlichkeit, in der die Wurzeln seiner Kampfkraft ruhen, beleuchtet,
sodass der Leser einen Einblick in die Welt des großen Fechtmeisters und seiner
Geheimnisse in der Kunst des Kampfes erhält. Durch die Erklärung von
Basisübungen im Umgang mit dem Schwert unter Berücksichtigung moderner
Biomechanik kann der Band auch als Handbuch für Schwertübende und an
historischen Kampfkünsten interessierte Leser dienen. Das Grußwort verfasste S.
E. Reichsgraf Johannes von Königsegg, Nachfahre Ritter Lutolds von Königsegg,
der noch selbst von Talhoffer unterrichtet wurde. (Philipp von Zabern)
Buch
bei amazon.de bestellen
André Schulze (Hrsg.): "Der Kriegshammer, Schild und Kolben"
Im Mittelpunkt des Bandes stehen wiederum die reichen mittelalterlichen
Illustrationen aus dem Fechtbuch des Meisters Talhoffer. Wie bereits im ersten
Band werden in Experimenten und nachgestellten Fotografien von dem bewährten
Autorenduo - André Schulze und Sandra Fortner - die Kampfeskünste am
Kriegshammer, mit Schild und Kolben und dem Langen Schwert nachempfunden, wie
sie der große mittelalterliche Fechtmeister Hans Talhoffer in seinem legendären
Fechtbuch von 1467 schildert.
Dieser praktische Teil wird ergänzt durch vertiefende Beiträge zu den
gesellschaftlichen, religiösen und rechtlichen Hintergründen der Kombatanten und
zeigen eine
mittelalterliche Realität fern jeder Ritterromantik. (Philipp von Zabern)
Buch
bei amazon.de bestellen
André Schulze (Hrsg.): "Scheibendolch und Stechschild"
Mit der Reihe "Mittelalterliche Kampfesweisen" werfen André Schulze und seine
Mitautoren einen gründlichen und realistischen Blick auf das mittelalterliche
Rittertum in all seinen Facetten. Auch im dritten Band offenbaren sie dem Leser
wieder Kampftechniken aus Meister Talhoffers Fechtbuch von 1467 - dieses Mal
wird u.A. der Kampf mit dem Scheibendolch behandelt.
Darüber hinaus geht es beispielsweise um die fachgerechte Behandlung von
Kampfverletzungen, um die psychologische Konditionierung des Kämpfers oder um
mysteriöse Symbolik im Fechtbuch. Erstmals in deutscher Sprache erscheint nun
eine praktische Einführung in die Kunst des Fechtens, vermittelt durch Bilder
verschiedener Schwerttechniken. (Philipp von Zabern)
Buch
bei amazon.de bestellen
Margit Krenn: "Minne, Aventiure und Heldenmut.
Das spätmittelalterliche Bildprogramm zu Heinrichs von Neustadt 'Apollonius von
Tyrland'"
Dem Königssohn Apollonius von Tyrland ist ein wechselhaftes Schicksal
beschieden: In der Zeit der Trennung von Frau und Tochter bereist er den
Orient,
begegnet andersartigen Völkern, exotischen Tieren und Ungeheuern, er erlebt
zahlreiche Abenteuer und findet sich als
Minneritter an der Seite edler Damen
ein, bis er schließlich mit seiner Familie wieder vereint wird. Diese Historie,
die sich seit spätantiker Zeit verbreitete und die Heinrich von Neustadt in
mittelhochdeutscher Sprache ausschmückend erzählte, ist in zwei
Papierhandschriften aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erhalten, die
mit zahlreichen Illustrationen ausgestattet wurden.
Margit Krenn untersucht das Bildprogramm und dessen Funktionsweise systematisch
und zeigt, dass die Bildgestalter eine Deutung der Geschichte lieferten, die
zwar der Intention der Textvorlage entspricht, die aber mithilfe gezielter
ikonografischer Rückgriffe aus christlichem, ritterlichem und heldenepischem
Kontext auch eigene Akzente setzt. Damit belegt sie die eigenständigen
Möglichkeiten des Mediums Bild und bereichert die Bild-Text-Forschung um ein
Musterbeispiel spätmittelalterlicher profaner Buchillustration, das sich in
besonderer Weise an qualitativ hochwertigen Vorbildern aus dem Bereich der
Chronikhandschriften orientiert. (Tectum)
Buch
bei amazon.de bestellen