Adolf Muschg: "Die Japanische Tasche"


Roman einer gescheiterten Liebe

"Uns fehlt etwas, aber wir haben keinen Namen dafür." Dieses Zitat von Georg Büchner hat Adolf Muschg seinem Roman vorangestellt. Und dieser Satz zielt bereits direkt ins Herz des Geschehens. Denn auch den hier im Roman auftretenden Personen fehlt meistens etwas. Viele von ihnen sind Waisen ungeklärter Herkunft auf der Suche nach ihrer Identität, auf der Suche nach ihrer Vergangenheit, ihrer Stellung im Leben.
Beat Schneider, der männliche Hauptprotagonist dieser Geschichte ist sogar ein Findelkind, die weibliche Komplementärfigur des tragischen Helden, Lou Anne, Schneiders Ehefrau, kämpft zeit ihres Lebens mit einer Behinderung.

Und irgendwie behindert oder beschädigt sind sie alle, die in diesem Roman Handelnden, beschädigt an Leib und Seele. Lou Anne landet in einem psychiatrischen Pflegeheim, nachdem Beat Schneiders Liebe eines Tages in Gewalt umgeschlagen ist. Und umschlagen ins Gegenteil kann in dieser Erzählung alles, nichts scheint sicher, Liebe wandelt sich in Gewalt, Glück in Verzweiflung. Um Halt zu finden, klammert sich Beat Schneider an seine japanische Tasche, die ihm Lou Anne geschenkt hat und die er nicht aus den Augen lässt. Bis er eines Tages auch diese verliert.

Es kann etwas dauern, bis man sich in diesen Roman eingelesen hat. Das erste Kapitel erscheint noch in einem festgefügten Zusammenhang, die Orientierungsfähigkeit des Lesers wird noch nicht auf die Probe gestellt. Aber dann erwartet den Leser Arbeit, Geistes- und Deutungsarbeit, aber eine Arbeit, die auch gut entlohnt wird, denn "Die Japanische Tasche" ist ein großartiger Roman bei all der Rätselhaftigkeit, die ihm anhaftet.

Der Autor verweigert immer wieder Antworten und lässt seine Leser im Unklaren. Bewusst verzichtet Adolf Muschg auf ein erzählerisches Kontinuum und wartet mit immer neuen Wendungen auf. Auch zeitlich sind die Ereignisse kaum einzuordnen. Ständige Rückblenden erschweren zudem das Verständnis. Doch mit kompositorischem Geschick hält der Autor die in sich verschlungenen Erzählfäden zusammen, um seinen Roman endlich in einer Spirale menschlichen Suchens und Scheiterns auf sein Ende zutreiben zu lassen.

(Werner Fletcher; 11/2015)


Adolf Muschg: "Die Japanische Tasche"
C.H. Beck, 2015. 484 Seiten.
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