Hans-Jürgen Heinrichs: "Reise ins Unsagbare"
Hans-Jürgen Heinrichs im Gespräch mit Gerhard Roth
"Das Paradies existiert,
wenn überhaupt, nur in der Religion, in der Kunst oder für Augenblicke in uns
selbst, während die Hölle auf der Erde fast überall und fast jederzeit zu finden
ist - auch in der Kunst und der Religion."
Es wäre eine starke Verkürzung der Intention des zu besprechenden Buches, von
einem Gespräch auszugehen. Freilich handelt es sich um einen Dialog, doch im
Grunde bietet es eine Auseinandersetzung mit der Weltsicht des Autors Gerhard
Roth und Reflexionen über deren Auswüchse. Hans-Jürgen Heinrichs, seines
Zeichens Ethnologe, hat mit dem aufgrund seiner beiden enormen Zyklen "Archive
des Schweigens" und "Orkus" in die Literaturwissenschaft eingehenden Autor
Gerhard Roth im Laufe einiger Jahre Gespräche geführt, die allesamt - wie der
Titel des Buches bezeichnet - als Reisen ins Unsagbare verstanden werden können.
Gerhard Roth lässt den Leser teilhaben an der Parallelwelt, die er erschaffen
und für 34 Jahre in seinem Kopf manifestiert hat. Über diesen langen Zeitraum
seinen Figuren treu ergeben zu sein, ist eine Energieleistung, die nur mittels
besonderer Maßnahmen erreicht werden kann. So erzählt der Autor davon, dass er
lediglich des Abends durch das Trinken von Wein für eine Zeit lang die Geister
vertrieb, die ihn sonst Tag und Nacht in ihren Klauen gehabt hätten. Schreiben
bedeutet wiederkehrende Grenzüberschreitung, Gerhard Roth ist darin sehr geübt.
Die "Archive des Schweigens" haben schon jene Ausformung, deren Intensität
erstaunt. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, mit dem Schweigen,
mit inneren Dämonen, mit nicht benennbaren Wirklichkeiten durchdringt dieses
Werk. Gerhard Roth hat zunächst nicht vorgehabt, einen weiteren Zyklus zu
schreiben. Ein Buch wollte er hinzufügen, mit dem er dann allerdings nicht
zufrieden gewesen ist. Stattdessen dann ein ganzer
Zyklus,
den er "Orkus" benannte. Hierfür geht es bis nach Japan, Ägypten und
auf den Berg Athos.
Viele Erkenntnisse des Autors vermitteln den Eindruck von tiefer Weisheit, von
Verständnis für eine Welt, die nie so sein kann, wie wir sie wahrnehmen. Die
grausamen Auswüchse, zu denen der Mensch fähig ist, werden in den Fokus
genommen. Ein Autor kann überleben, indem er schreibt. Dem ganzen Wahnsinn, der
die Welt überspannt, kann er nur durch das Schreiben gewachsen sein. Doch es
gilt, nicht den Versuch zu unternehmen, die Realität abzubilden. Der Autor ist
dazu verpflichtet, Realitäten zu fiktionalisieren, da nur dadurch ein Stück der
Wahrheit zum Vorschein kommen mag. Das Reflektieren über Leben und Tod, Gesagtes
und Ungesagtes, Wahnsinn und Normalität breitet sich wie ein Teppich aus, der
eine Landkarte der Welt von Gerhard Roth darstellt. Eine Landkarte, die aus
vielen Puzzleteilen besteht, an deren Rändern und auch zwischendrin Leerräume
existieren, unbekannte Gegenden, über die niemand, nicht einmal der Autor
selbst, etwas weiß.
Das Werk von Gerhard Roth ist eine Welt für sich. Der Rezensent will auch gar
nicht mehr allzu viele Worte über die "Reise ins Unsagbare" verlieren, sondern
die Auseinandersetzung mit dem Autor über seine Werke anregen. Auch der
Rezensent, der die "Archive des Schweigens" vor vielen Jahren gelesen hat, und
nur einen kleinen Teil des zweiten Zyklus kennt, ist aufgrund der Lektüre des
"Gesprächs" bereit, sich wieder verstärkt mit Gerhard Roth auseinanderzusetzen.
Wenn ein Buch dies zu bewirken vermag, kann es nur empfohlen sein.
(Jürgen Heimlich; 12/2015)
Hans-Jürgen Heinrichs: "Reise ins Unsagbare.
Hans-Jürgen Heinrichs im Gespräch mit Gerhard Roth"
Residenz Verlag, 2015. 192 Seiten.
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