Tiziano Terzani: "Spiel mit dem Schicksal"
Tagebücher eines außergewöhnlichen Lebens
"Immer mehr der, der ich bin."
Die Reise des Tiziano Terzani durch die Welt zu sich selbst.
Alle, die im vorigen Jahrhundert am Weltgeschehen interessiert waren und nach
verlässlichen Informationen und authentischen Reportagen Ausschau hielten,
stießen bald auf den Namen Tiziano Terzani. Ein italienischer Journalist aus
Florenz, der für diverse italienische Medien schrieb und seit 1975
Asienkorrespondent des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" war. Unzählige Artikel
und viele Bücher machten ihn zu einem international anerkannten Asien-Experten.
Und das zu Recht. Ein Vierteljahrhundert später, als er sich von seiner
Korrespondentenstelle zurückgezogen hatte und Nachrichten von seiner
Krebserkrankung die Runde machten, tauchten Bilder von ihm mit dem Aussehen
eines indischen Guru auf. Tiziano Terzani? Wer war der Mann mit dem poetischen
Namen?
Zehn Jahre nach seinem Tod veröffentlicht nun seine Witwe, Angela Staude Terzani,
eine Auswahl seiner Tagebücher, die er seit den 1980er-Jahren bis zu seinem Tod
anno 2004 führte. Es sind persönliche Zeugnisse, aber auch Notiz- und
Arbeitsbücher, die als Materialsammlung für seine journalistischen und
schriftstellerischen Arbeiten dienten. Diese Mischung aus subjektiven und
objektiven Berichten, aus Fakten und Emotionen, aus Beobachtung und Reflexion
spiegelt die Welt eines leidenschaftlich Reisenden, im physischen wie
metaphysischen Sinn. Er ist ein Entdeckungsreisender, der zuerst Asien
erkundet, kreuz und quer durchreist, dann in seine Philosophien eintaucht, immer
auf der Suche "nach etwas, was ich nicht kenne". Ihm lesend dabei zu
folgen, ist genauso spannend, wie es für ihn selbst war.
Begonnen hat seine journalistische Laufbahn mit der Berichterstattung aus dem
Vietnamkrieg, den er bis zum Sieg Nordvietnams von innen miterlebte und
dokumentierte. Seine nächste große Station war China, auf das er sich jahrelang
vorbereitet hatte und wo er im Jahr 1980 ein Korrespondentenbüro aufbaute. Er
wollte teilhaben am neuen China, hatte Chinesisch gelernt, nahm einen
chinesischen Namen an, trug chinesische Kleidung und schickte seine Kinder in
eine chinesische Schule. Desillusionierte Berichte allerdings brachten ihm fünf
Jahre später Verhaftung und Ausweisung ein. Nächste Stationen waren Japan,
Thailand, die Philippinen und schließlich Indien. Immer bemüht um neue
Perspektiven und Herausforderungen, erinnerte er sich unter Anderem auch an eine
Prophezeiung einer Wahrsagerin, wonach er im Jahr 1993 besser kein Flugzeug
besteigen möge. Dies mündete in dem persönlichen Experiment, ein Jahr ohne
Fliegen zuzubringen, also mit der Bahn nach Europa, auf einem Containerschiff
dann in drei Wochen zurück nach Bangkok. "Ich bin froh", notiert er in
sein Tagebuch, "dass ich mir so etwas wie eine neue Brille aufsetze, um auf
das Leben zu schauen".
Die Krankheit ist der Anlass, das spirituelle Asien zu erkunden. Er lässt sich
zwar schulmedizinisch in New York behandeln, stürzt sich aber gleichzeitig mit
Vehemenz in die Geheimnisse alternativer Heilungsmethoden. Er erforscht und
probiert alles, von der Meditation über Qigong, Reiki, Ayurveda bis zur
Homöopathie, er reist zu Heilern auf den Philippinen, lernt Sanskrit und lebt in
einem Aschram. Er spielt mit der Idee, die Krankheit, den Krebs, als ein Zeichen
eines Ungleichgewichts in seinem Leben zu sehen, das er verursacht hat, und wenn
es ihm nur gelänge, dieses zu beheben, würde auch vielleicht der Krebs behoben
sein.
Schließlich findet er in einer Hütte auf 2.300 m Seehöhe im Himalaja sein
Refugium auf der Suche nach dem inneren Frieden, einem "Frieden mit dem, wer
und wie ich bin". Nachdem er ein Leben damit zugebracht hat, sich einen
Namen zu machen, nun der Versuch, ohne Namen zu leben. "Oh, das Selbst Ich
war des meinen wirklich überdrüssig geworden, dieser Figur, die ich immer mit
mir herumschleppen und dem Publikum präsentieren musste." In all der Zeit
führt er Tagebuch, und nur einmal kehrt er in sein altes Journalistenleben
zurück, um nach dem 11. September 2001 aus Afghanistan zu berichten.
500 Seiten Tagebuch. Es ist kaum zu glauben, aber es liest sich so spannend und
interessant wie ein durchkomponierter Roman. Was nicht nur dem Autor zu
verdanken ist, sondern auch seiner kongenialen Partnerin, seiner Witwe, der
Herausgeberin. Von Angela Stuade Terzani stammt auch das ausgezeichnete Vorwort,
das den Rahmen und Kontext der Einträge aufzeigt. Der Anmerkungsapparat bringt
Klarheit in Unklares, und eine kluge Kapiteleinteilung, jeweils mit einer kurzen
informativen Einleitung, strukturiert die Menge an Informationen. Neben all den
interessanten Berichten, Hinweisen und Eindrücken bieten diese gesammelten
Aufzeichnungen vor allem eines: Inspiration und Ermutigung, sein eigenes Leben
zu leben.
Gegen Ende findet sich die Notiz: "Bin vielleicht am Ende meiner indischen
Reise angelangt, wie es mit der durch Indochina, den chinesischen Kommunismus
und durch alle anderen Illusionen meiner Zeit geschah." Aber was das
Tagebuch auch zeigt: Trotz allen enthusiastischen Eintauchens in neue und fremde
Lebensphilosophien und Lebensentwürfe schimmert immer er selbst durch, bleibt er
im Innersten der, der er ist. Er unterwarf sich keinem Guru, keiner Ideologie,
keinem geistigen und keinem weltlichen Propheten. Wahrhaftigkeit, Gelassenheit,
Friede - das waren seine Bezugspunkte, die er unermüdlich und furchtlos suchte.
In Vietnam, China, Indien. In Italien ist er gestorben. Mit seinen Tagebüchern
wird diese Reise wieder aufgenommen, und er nimmt uns alle gerne mit.
(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 11/2015)
Tiziano Terzani: "Spiel
mit dem Schicksal. Tagebücher eines außergewöhnlichen Lebens"
Ein "SPIEGEL"-Buch.
(Originaltitel "Un 'idea di destino. Diari di una vita straordinaria")
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner.
DVA, 2015. 576 Seiten.
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