Heinz Strunk: "Der goldene Handschuh"
Die
Verlorenen
Heinz Strunks Roman "Der goldene Handschuh" beschäftigt sich
intensiv mit Fritz Honka, der in Hamburg zwischen 1970 und 1975 vier
Frauen ermordet hat. Eine Kriminalgeschichte also, möchte man
meinen. Nein, das nicht, auch wenn die Morde nicht viel mehr als
nebenbei gestreift werden. Heinz Strunk hat hier einen Roman vorgelegt,
der sich nicht nur mit dem Psychogramm eines Serienmörders
befasst, sondern in erster Linie mit den Verlorenen
beschäftigt, den Menschen, deren Verschwinden niemandem
auffällt.
Das Lesen dieses Romans ist wahrlich kein Vergnügen, aber eine
starke Erfahrung, die sich mit nichts vergleichen lässt, was
man selbst als aufgeschlossener Leser bereits gelesen haben mag. Sogar Charles
Bukowskis harte Erzählungen und Romane verbreiten da
noch eine fast romantische Atmosphäre, und die
blutrünstigen Romane diverser Thrillerautoren
nehmen den Leser mit Spannung über die Niederungen der
menschlichen Existenz mit. Denn Heinz Strunk schafft es,
diese Geschichte von Mord und psychischer Verwahrlosung ohne auch nur
irgendwelche Mittel zu benutzen, die man in einem Krimi finden kann.
Der Tötungsakt hier wird fast zur Erlösung. Der
Erlösung von einem qualvollen, sinnlosen Leben.
"Der goldene Handschuh", die Kneipe, in der sich die Verlorenen
treffen, kennenlernen und mit billigstem Alkohol in den Abgrund saufen,
ist die Hölle schlechthin. Wer nicht gescheitert ist, nach
Pisse stinkt oder bereits total verkommen ist, der erscheint hier gar
nicht. Die ehemaligen Nazis treffen sich hier ebenso wie Frauen und
Männer, die bereit sind, für ein "Fanta-Korn"
(Verhältnis 1:1) alles geschehen zu lassen, für ein
Dach über dem Kopf auf Freiheit und eigenständige
Entscheidungen zu verzichten. Billiger, schmutziger Sex und absolute
Willenlosigkeit als einziges Zahlungsmittel, das diesen Gescheiterten
zur Verfügung steht. Ein Mann wie Fritz Honka, der zumindest
eine stinkende, verfaulte Wohnung hat, ist da bereits wie ein
Lottosechser.
Nichtsdestotrotz hat es Heinz Strunk geschafft, all diesen Menschen
eine große Portion Würde zu geben. Keine Zeile ist
da ohne Empathie, auch wenn der Autor, wie er in einem Interview
erklärt hat, kein Verständnis für die Taten
Fritz Honkas hat.
Abwechselnd mit der Geschichte Fritz Honkas erzählt er die
Geschichte von drei Generationen einer fiktiven reichen Reeder-Familie,
den Van Dohrens, die sich während des Zweiten Weltkriegs durch
Ausbeutung und Enteignung jüdischen Besitzes bereichert hat.
Er zeigt erwartungsgemäß auf, dass Reichtum und eine
durch die Geburt in andere Verhältnisse vermeintlich bessere
Ausgangslage nicht daran hindern müssen, ebenso verloren zu
sein.
Wie abartig degeneriert sich jene drei Männer, die hier
konsequent als WH 1, WH 2 und WH 3 bezeichnet werden, benehmen, ist
fast sogar noch erschreckender und abstoßender, als das
Benehmen der Stammgäste aus dem "Goldenen Handschuh". Nicht
umsonst lässt Heinz Strunk die Fäden am Ende im
"Handschuh" zusammenlaufen. Reichtum schützt eben nicht davor,
verkommen und verloren zu sein.
In diesem Roman gibt es ganz starke Szenen, die sich ins
Gedächtnis brennen. Szenen, die man gerne schnell vergessen
möchte, aber nicht kann. Momente, in denen man sich fragt, wie
das überhaupt möglich sein kann, dass Menschen sich
gegenseitig so erniedrigen und erniedrigen lassen. Und da genau da
liegt der Ansatz, zumindest dem Anschein nach, von Heinz Strunk. Er
will aufzeigen, was Auslöser dieser zerstörerischen
Selbstaufgabe ist, die dazu führt, dass sich ein Mensch so
gehen lässt. Denn alle Versuche, doch etwas Positives aus
seinem Leben zu machen, scheitern an der besessenen, längst
verkommenen Psyche Honkas, der sich einfach nicht unter Kontrolle hat.
Dass das unausweichlich bis zu den abscheulichen Morden führen
muss, würde man, selbst wenn man die Geschichte Honkas nicht
kennt, längst ahnen.
Vorausgegangen ist diesem Roman eine intensive Recherchearbeit, unter
Anderem im Hamburger Staatsarchiv, wo Heinz Strunk auch auf bisher der
Öffentlichkeit nicht zugängliche Akten zugreifen
konnte. Das Resultat ist, auch wenn die Lektüre dieses Romans
als äußerst unangenehm und teilweise als ziemlich
verstörende Zumutung in Erinnerung bleibt, ein extrem
feinfühliger Roman, der auf überzeugende Art und
Weise ein Psychogramm einer Gesellschaft, oder besser Szene, zeichnet.
Heinz Strunks Prosa ist seinen Protagonisten perfekt auf den Leib
geschnitten und dadurch auch ein Garant für eine authentisch
überzeugende Grundstimmung.
Fazit:
Kein schöner, aber ein wichtiger und mitreißender
Roman, der den Leser mit Schlägen über und unter der
Gürtellinie attackiert. Wer bereit ist, sich dem zu stellen,
wird am Ende nicht enttäuscht sein. Schweißgebadet
und erledigt wird man das Buch zur Seite legen und sich wahrscheinlich
erst einmal einen großen Whiskey einschenken müssen,
um die zahlreichen Erkenntnisse, die man aus den 254 Seiten dieses
Romans gewonnen hat, in Ruhe Revue passieren zu lassen.
Starke Empfehlung.
(Roland Freisitzer; 03/2016)
Heinz
Strunk: "Der goldene Handschuh"
Rowohlt, 2016. 254 Seiten.
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Der
Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in
Hamburg geboren. Sein Buch "Fleisch ist mein Gemüse" verkaufte
sich fast fünfhunderttausendmal. Es ist Vorlage eines
preisgekrönten Hörspiels, eines
Theaterstücks und eines Kinofilms. Auch die darauf folgenden
Bücher des Autors wurden zu Verkaufsschlagern.
Weitere Bücher des Autors:
"Fleisch ist mein Gemüse. Eine Landjugend mit Musik"
Wie es ist, in Harburg aufzuwachsen, das weiß Heinz Strunk
genau. Harburg, nicht Hamburg. Mitte der 1980er-Jahre ist Heinz
volljährig und hat immer noch Akne, immer noch keinen
Arbeitsplatz, immer noch keinen Sex. Doch dann wird er Bläser
bei "Tiffanys", einer Musikgruppe, die auf den Schützenfesten
zwischen Elbe
und Lüneburger Heide bald zu den
größten gehört. Aber auch das Musikerleben
hat seine Schattenseiten: traurige Gaststars, heillose
Frauengeschichten, sehr fettes Essen und Hochzeitsgesellschaften, die
immer nur eins hören wollen: "An der Nordseeküste"
von Klaus und Klaus. (rororo)
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"Junge rettet Freund
aus Teich"
Mathias ist sechs Jahre alt.
Bald wird er in
die Schule gehen. Er wohnt in der Siedlung, bei Mutter,
Oma und Opa, die er alle sehr liebt. Weihnachten ist schon ganz nah; es
schneit, und Schnee ist fast noch gemütlicher als Regen. Nur
hört man leider nichts, wenn es schneit, da ist dann wieder
Regen besser.
Mathias ist zehn Jahre alt.
Die großen Ferien wird er bei Oma Emmi auf dem Land
verbringen. Die Kinder dort wachsen ganz anders auf, man kann hier viel
Spaß haben. Mutter riecht den Braten: sie gönnt ihm
die Freude nicht. Da kann sie noch so oft behaupten, Mathias sei ihr
Verbündeter.
Mathias ist vierzehn Jahre alt.
Mutter ist mit ihm ins Hochhaus gezogen und hat Oma in ihrem Elend
alleingelassen. Opa ist im Heim, noch so ein Verrat. Doch Mathias ahnt:
im Grunde genommen trägt er die Verantwortung für
Mutters Lage, obwohl er natürlich auch nichts dafür
kann. Wer kann schon was für seine Geburt? (rororo)
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"Die Zunge Europas"
Markus Erdmann ist Witzeschreiber und hasst seine Arbeit. Sein Leben
hasst er auch. Öde Sonntage bei den Großeltern, der
Rest der Woche ist auch nicht spannender. Dann trifft Markus im Zug
Janne. Die ist mit ihm zur Schule gegangen und spielt in einer ganz
anderen Liga. Überraschenderweise scheint sie sich
für ihn zu interessieren. Kann sie Markus aus seinem Elend
erretten? Oder eher Onkel Friedrich, der legendäre
Kaffeekoster aus dem Hamburger Freihafen, den sie die "Zunge Europas"
nennen? (rororo)
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"Fleckenteufel"
Wir schreiben das Jahr 1977. Thorsten Bruhn ist sechzehn und ein
Spätzünder. Der Geschlechtstrieb hält ihn
trotzdem schon heftig auf Trab. Erst recht auf der Familienfreizeit mit
der evangelischen Gemeinde in Scharbeutz an der Ostsee. Auf
Kirchenfreizeiten lernt man einander kennen - rund um die Uhr. Und
Thorsten macht unter dem Trommelfeuer aus sozialer
Überforderung, religiösen und hormonellen Wallungen
schnell schlapp. Dazu kommt das schlechte Essen. Wo unser Held doch
ohnehin zur Verstopfung neigt: Luke zwo seit Tagen dicht! Und so
durchlebt Thorsten innerlich versteinert schlimme Andachten, peinliche
Gruppenspiele, eine trostlose Jugenddisko, Dämon Apfelkorn und
erotische Wirrungen mit ständig wechselndem Objekt. Ein
Wunder, dass am Ende doch noch alles irgendwie gut ausgeht. (rororo)
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"Heinz Strunk in
Afrika"
Seit Jahren reist Heinz Strunk zu Weihnachten mit einem Freund in die
Fremde. Wohin, ist eigentlich egal, Hauptsache Meerblick, gepflegte
Anlage und in der Nähe ein Spielcasino. Die beiden bevorzugen
nämlich Reisen, bei denen die Erholung nicht durch tolle
Erlebnisse, neue Anregungen oder interessante Urlaubsbekanntschaften
erfolgt, sondern durch Nicht-Erkrankung, körperliche Ruhe und
keine Gewichtszunahme. Anders gesagt: Den größten
Erholungswert haben Reisen, auf denen nichts passiert. Diesmal soll es
nach Mombasa gehen. Die erste Woche verläuft wie geplant:
essen, trinken, schlafen, Glücksspiel. Doch am zweiten
Weihnachtsfeiertag sind in Kenia Wahlen angesetzt, und
plötzlich hallen Gewehrschüsse durch die Nacht von
Mombasa ... (rororo)
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Noch
ein Buchtipp:
Stefan Born: "Allgemeinliterarische Adoleszenzromane. Untersuchungen zu
Herrndorf, Regener, Strunk,
Kehlmann
und anderen"
In den 1990er-Jahren wurde der Adoleszenzroman zu einer nicht nur im
jugendliterarischen Bereich erfolgreichen Gattung. Heinz Strunk,
Sven
Regener und Anderen sind vielbeachtete Verkaufserfolge in
diesem Format gelungen. In der Untersuchung wird analysiert, wieso nach
dem "Ende des Erzählens" wieder ein beliebtes Romangenre
entstehen konnte. Die These der Arbeit ist, dass dieses Genre auf einen
in den 1990er-Jahren entstandenen Bedarf an moralischer und
historischer Orientierung reagiert. Die Romane artikulieren nicht
bloß einen Vorschlag, wie persönliche
Identitätsbildung während der Adoleszenz gelingen
kann, beziehungsweise eine Diagnose darüber, warum sie
misslingt. Gleichzeitig entsteht in jedem dieser Romane aus der
adoleszenztypischen Dialektik zwischen juvenilen und institutionellen
Initiativen eine Idee von der spezifischen Historizität der
Gesellschaft. So konfiguriert der Adoleszenzroman Vorstellungen
darüber, was von der Zeit zu erwarten - und wie sie zu
beurteilen ist. (Universitätsverlag Winter)
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