Ibn Naqiya: "Moscheen, Wein und böse Geister"
Zehn Verwandlungen
Über den alten Dichter Ibn Naqiya kann nur wenig als gesichert gelten: seine
beeindruckend lange Ahnenreihe, seine Lebenszeit von 1020 bis 1092 und die
Heimatstadt Bagdad, in der er (vermutlich als wohlhabender Kaufmann) lebte und
schrieb, wovon einige wenige Gedichte, zwei theoretische Werke, vor allem das
"Buch der Perlen über die Vergleiche im Koran", und das vorliegende, eine
Sammlung von zehn Makamen, auf uns gekommen sind. Letzterer wurde bald nach dem
Tod des Schöpfers der Titel "Verwandlungen" verpasst; nun, gute neunhundert
Jahre danach, erblickt sie erstmals das Licht der deutschsprachigen Welt.
Bei einem so weit hergeholten
Buch verwundert es nicht, dass die Einführung dem Haupttext an Länge nahe kommt.
Stefan Wild, emeritierter Professor für Semitische Filologie und
Islamwissenschaft an der Universität Bonn, war der Kenner und Liebhaber, der es
auf sich genommen hat, die (auch für Muttersprachler schwerverständlichen)
Makamen zu übersetzen und dem Leser einen Überblick über Autor und
Entstehungszeit zu verschaffen. Man erfährt einiges über die politischen und
gesellschaftlichen Verhältnisse im Bagdad des 11. Jahrhunderts und mehr noch
über das Genre der Makame, worin, meist in freien Versen mit Endreim und
üblicherweise von listenreichen, sprachgewitzten Außenseitern, Bettlern und
Vagabunden den Mächtigen und Begüterten der Spiegel vorgehalten und wohl auch
ein wenig die Meinung gesagt wurde (Makamen bedeutet wörtlich "Standreden"),
sowie über die beiden großen, das Werk Ibn Naqiyas sozusagen rahmenden
Makamendichter al-Hamadhani (968 bis 1007) und al-Hariri (1054-1122; durch die
Übersetzungen Friedrich Rückerts seit einiger Zeit auch bei uns bekannt).
Ibn Naqiya erweist sich in seinen
Makamen als ein mit viel Ironie und Deftigkeit ausgestatteter Dichter der
Schattenseiten des Menschen und der Gesellschaft, abgefeimter Provokateur und
Tabubrecher. Über seine subversive Kunst schreibt Stefan Wild unter anderem
folgendes: "Die Verwandlungen des Ibn Naqiya spielen mit
griechischer Philosophie und deren Materialismus, mit dem islamischen
Weinverbot und der Kultur der
Homosexualität, mit der Einzigartigkeit der Gestalt des Propheten Mohammed
und mit den Versen des Korans. Sie persiflieren Prediger, die Wasser predigen
und Wein trinken, fahrende Gesellen, die im Namen Gottes vorbereiteten Adepten
Krankheiten austreiben, Bettler, die ihre Gier hinter Koranversen verstecken,
aber auch reiche Geizhälse, die sich mit allerlei Ausflüchten vor dem Almosen zu
drücken versuchen, und schließlich auch Poeten ohne Poesie."
Al-Yaschkuri heißt der solches
aufwirbelnde Vagabund und Verwandlungskünstler bei Ibn Naqiya, Sohn eines
Beduinenstammes mit speziellem Ruf und unverschämter Vater aller möglichen
Kniffe und Täuschungsmanöver, um zu Geld, Lust oder zumindest einer fetten
Mahlzeit zu kommen. Nie ist er dabei um einen heuchlerischen oder frechen Spruch
verlegen und behauptet fast immer (mit Ausnahme der Wein-Makame, wo al-Yaschkuri
dem Gesang einer schönen Sklavin erliegt, jedoch für eine von dieser listig
geforderte Gegenleistung zu geizig ist und schließlich betrunken und beschämt
das Weite suchen muss) auch verbal das Feld gegenüber seinen Gegenspielern, die
ihn wegen seines unsittlichen bzw. verbrecherischen Treibens zur Rede stellen.
In der ersten, der Eidechsen-Makame, lässt er sich von einem anderen Beduinen auf
in Bagdad verachtetes Eidechsenfleisch einladen, hat dabei aber auch schon des
Gastgebers Pferd im Visier. In der Grabräuber-Makame wird er beim
Leichenfleddern erwischt, flüchtet in eine Moschee, wo er ganz hinreißend zu
predigen versteht, und speist einen hartnäckigen Verfolger (die Makamen sind
immer aus Sicht eines Augenzeugen, Nachbarn, Sekretärs, Meuchelmörders etc.
geschrieben) zuletzt mit ein paar brutalen Wahrheiten und einem absichtlich
fehlgedeuteten Koranzitat ab. In der Moscheen-Makame gibt der heißhungrige
al-Yaschkuri sich einem Syrer gegenüber als Landsmann aus und gelangt
schließlich ebenso zum Ziel wie in der
Bagdad-Makame, wo
es sich zunächst als gar nicht einfach, doch dann sehr lohnend herausstellt, zu
einem reichgedeckten Festmahl Zutritt zu erhalten. In der Dschinnen-Makame
glänzt er dunkel als Wunderheiler, in der Herbst-Makame als unflätiger
Knabenliebhaber, während er in der Dichter-Makame eine heitere, den schönen
Künsten huldigende Feiertagsgesellschaft mit eigenen Versen regelrecht zerstört.
Ibn Naqiya (erst recht, wenn sein
Name, wie Stefan Wild vermerkt, auf aramäische Abstammung hinweist) musste sich
zeitlebens (und seine Werke darüberhinaus) mit dem Vorwurf, er würde den Islam
allzu freigeistig interpretieren (als stärkste Drohung stand anscheinend die
Unterstellung der Teufelsleugnung, wozu seine Makamen möglicherweise Anlass
geben hätten können, im Raum), herumschlagen. Dahingehend heikel, wie Wild
befindet, war seinerzeit sicher die Materialisten-Makame, in der sich ein wacker
dem Alkohol zusprechender al-Yaschkuri mit einem nüchtern bleibenden
Korangelehrten in einen filosofisch-theologischen Disput begibt, wobei wild mit
islamischem und griechischem Denken umgesprungen wird, mancher Hieb mit dem
Koranzitatsäbel erfolgt und dem Gelehrten angesichts eines sich selbst in
eingeschlafenem Zustand danebenbenehmenden Kontrahenten der schwache Trost der
wenig geistreichen Schlussbetrachtung "Der alte Furzer und Trinker - er
stammt aus der Sippe der Oberstinker!" bleibt. Als heikelste Makame
schließlich gilt die Profeten-Makame, in der sich al-Yaschkuri als Profet
ausgibt (obwohl doch nach
Mohammed keiner
mehr kommen soll) und tatsächlich einige Leute, die sich ihrerseits mit ihm
einen Spaß machen und ihn entlarven wollen, um sich scharen kann.
An Wilhelm Busch gemahnend lässt Stefan Wild die "Zehn Verwandlungen" enden. Leicht
und locker, zumal die arabische Reimprosa des Originals dem Deutschen sehr
entgegenkommt, lesen sich die Verse, zur Not knittelt es prächtig über Stock und
Stein dahin, und der Endreim sitzt. Dass er bei der Übersetzung seine
stilistischen Ideale,
Friedrich
Rückert einerseits,
Wilhelm Busch
und Robert
Gernhardt andererseits, nicht immer ganz erreicht, versteht sich von selbst,
besonderer Dank gebührt ihm indessen dafür, eine gute Ahnung von den
vielfältigen sprachlichen und inhaltlichen Feinheiten der zehn Makamen des Ibn
Naqiya vermittelt zu haben.
(fritz; 08/2019)
Ibn Naqiya: "Moscheen, Wein und böse
Geister. Zehn Verwandlungen"
Erstmals aus dem Arabischen übertragen, erläutert und eingeleitet von Stefan
Wild.
C.H. Beck, 2019. 144 Seiten.
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