Per Petterson: "Männer in meiner Lage"
Nordische Tristesse
Da
heuer Norwegen das Gastland der "Frankfurter Buchmesse" ist, erscheinen viele
Neuübersetzungen oder Erstübersetzungen von norwegischen Autorinnen und Autoren,
die man im deutschsprachigen Raum höchstwahrscheinlich nicht, oder nur dem Namen
nach, kennt. Per Petterson ist allerdings einer jener Autoren, die sowieso gut
etabliert und sicher bei einem großen Verlag verankert sind. In diesem Fall
wie bereits in seinen vorherigen Veröffentlichungen beim "Hanser Literaturverlag".
Wie zuvor in den Romanen "Im Kielwasser" und "Ich verfluche den Fluss der
Zeit" heißt der Protagonist des neuen Romans "Männer in meiner Lage" Arvid
Jansen. Arvid Jansen ist Schriftsteller mit "einigen Büchern" am Konto, dessen
Privatleben frappierende Ähnlichkeiten mit Per Pettersons Leben aufweist. Bei
einem Fährunglück verliert er die Eltern und die beiden jüngeren Brüder. In "Ich
verfluche den Fluss der Zeit" beschäftigt sich Petterson mit der Beziehung Arvid
Jansens zu seiner an Krebs erkrankten Mutter und den Schwierigkeiten in der Ehe
des Protagonisten, in "Im Kielwasser" arbeitet er die schwierige Beziehung
zwischen Arvid und seinem Vater auf. Wie viel davon autobiografisch inspiriert
ist, kann nur vermutet werden. Die Figur des Arvid Jansen scheint jedoch ein
alter ego des Autors zu sein.
Im neuen Roman ist die Ehe bereits
geschieden, und Arvid muss sich damit auseinandersetzen, neue Wege zu gehen. Er
zieht sich zurück und ist bemüht, seiner oftmals alkoholisierten Exfrau zu
helfen, so es möglich ist. Er verliert den Kontakt zu seinen drei Töchtern, und
nur mühsam kann er zu seiner ältesten Tochter, die schwere Depressionen plagen,
wieder eine Art von Beziehung aufbauen. Das ist im Kern die Geschichte dieses
Romans. Wie üblich bei Per Petterson zeichnet er wunderbar karge Bilder,
nordisch betrübte Stimmungen und trostlos wirkende zwischenmenschliche
Beziehungen, die durch die schwierige Jugend Arvids geprägt zu sein scheinen.
Zu Beginn des Romans meldet sich Arvids Exfrau Turid früh an einem
Sonntagmorgen bei ihm. Er ist übermüdet, hat in der vergangenen Nacht getrunken,
ist dennoch bereit, seiner Exfrau auszuhelfen, die irgendwo (er meint zu wissen,
wo) gestrandet ist und Hilfe bei der Rückkehr in ihr Heim benötigt. Er holt sie im
Niemandsland ab, bringt sie nach Hause. Er schafft es nicht, sie ins ehemalige
Ehebett zu bringen, weil es zu viele Erinnerungen weckt. Bereits hier zeichnet
sich das Problem ab, das Arvid mehr oder weniger durch den ganzen Roman
beschäftigen wird. Die drei Mädchen sind bei einer Freundin untergebracht, die
ehemalige Nähe der beiden ist einer ratlosen Art der Erinnerung gewichen, die
gewisse Gesten und Blicke zu déjà vu-Erlebnissen werden lässt, die allerdings
unbeholfen und falsch gedeutet werden. Als ihn Turid bittet, bei ihr zu
bleiben, weil sie einige Dinge mit ihm besprechen will, da sie sonst niemanden
habe, flieht er.
" ... und ich spürte diesen plötzlichen Sog, nicht zu
ihr, wie sie war, als wir noch zusammen waren, sondern zu ihr, wie sie jetzt
war, und ich wusste genau, dass es daran lag, dass ich der Starke war und sie
die Schwache, der wehrlose Körper, der geschwächte Wille, und ich sagte,
verdammt, Turid, verschone mich mit deinem Leben. Und ich meinte, was ich sagte,
ich wollte nichts damit zu tun haben." (S. 23)
Arvid streift durch
Kneipen, auf der Suche nach Frauen und Alkohol. Er streift ebenso durch seine
Erinnerungen, lässt Ereignisse aus der Ehe Revue passieren, die möglicherweise
daran Schuld waren, dass sich Turid und er auseinandergelebt hatten. Vielleicht
waren sie auch nie füreinander bestimmt? Er lernt Frauen kennen, scheitert aber
daran, den bereits begonnenen Liebesakt zu vollziehen, ist unsicher, ob der
Kuchen, den ihm seine lieb lächelnde Nachbarin eines Tages bringt, mehr als ein
Kuchen für den Nachbarn ist, oder eben nicht. Dass er später mit ihr die
scheinbar einzige, ungezwungene Affäre hat, scheint ebenso symptomatisch dafür
zu sein, dass die Ungezwungenheit daher rührt, dass sie verheiratet und eine
Beziehung daher ausgeschlossen ist.
"Es war einer dieser Abende. Ich stieg am
Bahnhofsvorplatz aus. Als ich den Fuß auf den Gehweg setzte, hörte es auf zu
regnen, aber ich weiß nicht mehr, wohin ich anschließend ging, wo ich mein
erstes Bier trank, ob ich mit jemandem sprach, das muss ich getan haben, und ich
weiß nicht mehr so genau, warum ich dort gelandet bin und auch nicht wie, ob
mich jemand eingeladen hat, was wenig wahrscheinlich war, aber
überraschenderweise befand ich mich auf einem Fest für Afrikaner, für Afrikaner
in Begleitung. Ich war kein Afrikaner, und ich war auch niemandes Begleitung.
Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern." (S. 199)
Via Rückblenden,
Gedankensprüngen, bei denen man oft nicht sofort weiß, an welchem Punkt der
Zeitachse man sich gerade befindet, schafft Per Petterson ein virtuoses,
wenngleich auch immens tristes Bild eines Mannes, der verloren in seinem Leben
zu sein scheint. Durch die Bemühung, seiner ältesten Tochter eine Stütze und ein
guter Vater zu sein, zeichnet sich eine Art Entwicklung ab, die eine positive
Richtung zumindest andeutet.
Hervorragend von Ina Kronenberger übersetzt,
ist "Männer in meiner Lage" jedenfalls ein virtuos komponierter Roman, der
irgendwie eine gewisse Nähe zu den autobiografischen Romanen
von Karl Ove
Knausgård und Tomas Espedal zu haben scheint, ohne dabei der teilweise
peinlichen Selbstdarstellung des Ersteren oder der radikalen Modernität des
Letzteren ähnlich zu sein. Petterson scheint mehr daran zu liegen, eine
Geschichte zu erzählen, vielleicht seine Geschichte, die er auf diese Art und
Weise aufarbeiten kann oder muss. Das ist aus literarischer Sicht brillant
gemacht, klug konstruiert und wahrlich schön geschrieben. "Männer in meiner
Lage" hat nur den womöglich störenden Beigeschmack, dass man sich, zumindest
erging es dem Rezensenten so, beim Lesen des Romans ein wenig wie der einzige
nüchterne Gast bei einer desolat besoffenen, depressiven Feierlichkeit fühlt,
von der man sich so bald wie möglich davonschleichen möchte.
(Roland Freisitzer; 08/2019)
Per Petterson: "Männer in meiner Lage"
(Originaltitel "Menn i min situasjon")
Übersetzt aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger.
Hanser, 2019. 285 Seiten.
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