Peter Handke: "DON JUAN (erzählt von ihm selbst)"
Die Wiedergeburt des Peter Handke (von ihm selbst bewerkstelligt)
Bislang zerfiel das schriftstellerische
Leben des Peter Handke in zwei Teile. Da war die geniale Frühzeit, in der er als
Verfasser der Bücher "Wunschloses Unglück", "Stunde der wahren Empfindung" oder
"Der kurze Brief zum langen Abschied" ein Mittelding zwischen Popstar und
Bestsellerautor wurde und mit dem Drehbuch zum Film "Der Himmel über Berlin"
Kultstatus erlangte. Der Sog seiner sorgfältigen Sprache und die präzisen,
ungewöhnlichen Detailbeobachtungen, die er in seine Texte einstreute, schufen
eine riesige Fangemeinde unter allen literarisch Interessierten.
Dann
kamen die Neunziger Jahre, die Katastrophenzeit, in der Handke es aus Hybris -
oder weil er womöglich, salopp gesagt, einfach durchgeknallt war - darauf
angelegt zu haben schien, jede Form von Ansehen, das er sich geschaffen hatte,
wieder zu verspielen. Texte wie der zu Recht so genannte, nämlich ausufernde
Band "Mein Jahr in der Niemandsbucht" versteckte Sprachperlen in unerträglichem
Sprachmüll, Serbien-Apologien wie seine "Winterliche Reise" ließen die wenigen
verbliebenen Weggefährten in Feuilletons mutmaßen, der einst als moralisches
Gewissen Gefeierte habe offenbar den Verstand verloren. In zunehmendem Maß
begann man seine immer weltfremderen, selbstverliebt wirkenden Texte (man
erinnere sich nur an sein unsägliches "Spiel vom Fragen" oder die "Fahrt im
Einbaum") öffentlich zu ignorieren. War früher jährlich vom Nobelpreiskandidaten
Handke gemunkelt worden, schien man nun einen Schreiber vor sich zu haben, der
seine Zeit überlebt hatte und nur mehr in Nachrufen gewürdigt werden
würde.
Seit der Veröffentlichung des neuen Buchs, der Erzählung "Don
Juan", weiß man, dass es eine dritte Phase im Leben des Schriftstellers Peter
Handke gibt. Es ist eine klassische Phase, in der er auf den Boden seiner
Schreibkunst zurückkehrt und sie souverän und auf höchstem Niveau zur Geltung
bringt. Es ist da der belesene Handke, der allgemein wenig beachtete historische
Details einfließen lässt. Es ist da auch wieder der scharfe, unbestechliche
Beobachter Handke. Hatte man sich bei der Besprechung der "Winterlichen Reise"
etwa noch über die "andersgelben" serbischen Nudeln belustigt, freut man sich
heute wieder über gelungene Vergleiche wie jene, dass Pilze nach
frischgemahlenem Mehl riechen, oder dass Schmetterlinge wie mit geschwenkten
Fahnen, Wimpeln und Standarten durch die Luft tanzen. Seine Beschreibungen von
den Flugmustern von Baumpollen, nebenbei als Leitthema des Buches hingestreut,
sind einfach berauschend und bleiben literarisch unerreicht.
Neu aber und
weit gekonnter als in allen anderen Büchern ist der flüssige, wie
selbstverständliche Erzählduktus. Es wird wirklich erzählt, nicht wie einstens
davon gesprochen, wie erzählt werden könnte. Dabei bleibt Handke natürlich
trotzdem seiner Komplexität treu, und verwendet dabei auch ungescheut filmische
Elemente der Nouvelle Vague, wie etwa ein Rückwärtsgehen Don Juans, um
anzudeuten, dass hier eine Zeitreise stattfindet. Das ist nichts für Fans der
"Bully-Parade" oder eines Bohlen, aber wen
kümmert's? Es gibt Leser, die ihr Lesefutter gern von Schrot und Korn
haben.
Wer war eigentlich Don Juan? Der Mythos eines spanischen Edelmanns, dessen Aussehen
alle Frauen entzückt und empört - heute nennt man so was "Latin Lover" - hat
die Weltliteratur seit vier Jahrhunderten ausgiebig beschäftigt. Schon in der
ersten Version von Tirso de Molina aus dem Jahr 1630 verführt D. J. skrupellos
Mädchen und Frauen. Seither hat ein Who is Who der Weltliteratur sich mit Don
Juan beschäftigt, darunter Molière, Byron, Puschkin und Baudelaire. E.T.A.
Hoffmann hat in einer Kurzgeschichte mit dem Titel "Don Juan" einen Besuch
der Mozart-Oper "Don Giovanni"
beschrieben, wo diese italienische Version des Charmeurs mitsamt Diener überstürzt
über eine Mauer hechtend die Bühne betritt. Die Szene leitet auch die Begegnung
mit Handkes Erzähler, einem arbeitslosen Koch, ein. Diesem berichtet der alt
und müde gewordene Ästhet und Liebende in der Folge von den sieben letzten Tagen
in seinem Leben und von der Liebe im eher lieblosen, an der Liebe verzweifelnden
Jetzt.
Das Buch ist das am
wenigsten Deutsche (Österreichische) des Autors. Es wirkt stilistisch zeitlos,
international und klingt mit seiner gekonnten Leichtigkeit an große
Weltliteratur an. Ähnliches las man von so unterschiedlichen Autoren wie Tschechow
oder Unamuno oder Capote. Sie lebten alle in verschiedenen Epochen, hatten
andere Themen und Charaktere. Ihnen allen gemein war aber ein unverwechselbarer,
glasklarer Stil und die Fähigkeit, mit ihren Zeilen dem Leser eine neue Welt zu
öffnen. So geht es einem nun auch bei Handke. Man spürt jederzeit und mit jeder
Faser: "Don Juan (von ihm selbst erzählt)" ist zwar ein bescheidenes,
hingetupftes Werk, aber hier schreibt ein großer, genialer Autor. So etwas kann
sonst weltweit niemand, und deshalb wird dieses Büchlein die Zeit überdauern.
Und wenn das nun Handkes Altersstil werden soll, dann haben wir noch eine sehr
schöne, reiche Lesezeit vor uns.
(Berndt Rieger; 09/2004)
Peter Handke: "DON JUAN (erzählt von
ihm selbst)"
Suhrkamp, 2004. 159 Seiten.
ISBN 3-518-41636-7.
ca. EUR 17,30.
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Peter Handke: "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa
und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien"
"Es war vor allem der Kriege wegen, daß ich nach Serbien wollte, in das Land
der allgemein so genannten "Aggressoren". Doch es lockte mich auch, einfach
das Land anzuschauen, das mir von allen Ländern Jugoslawiens das am wenigsten
bekannte war, und dabei, vielleicht gerade bewirkt durch die Meldungen und Meinungen
darüber, das inzwischen am stärksten anziehende, das, mitsamt dem befremdenden
Hörensagen über es, sozusagen interessanteste."
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"Noch einmal für Jugoslawien: Peter Handke"
Am 19. März 1996 erschien in der International Herald Tribune ein
Artikel mit der Überschrift »German Storm over Plea for Serbs«. Was war
geschehen? Peter Handke hatte mit seinen beiden Büchern Eine winterliche
Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für
Serbien und Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise die
gängigen Vorurteile über die Schuldigen und die Opfer in den Kriegen
Jugoslawiens versucht, selbstkritisch abwägend, zum Wanken zu bringen. Er fragte
auch, wie die dortige Realität in den Medien vermittelt wird. Dies führte in den
angesprochenen Medien zu den heftigsten Reaktionen, aber auch zu einer
Diskussion über die »Kriegsberichterstattung« aus dieser Region. Der vorliegende
Band versammelt die substantiellsten Beiträge dieser europaweit geführten
Debatte.
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Peter Handke: "Immer noch Sturm"
Das Jaunfeld, im Süden Österreichs, in Kärnten: Dort
versammeln sich um ein "Ich" (oder steht es eher am Rande?) dessen
Vorfahren: die Großeltern und deren Kinder, unter ihnen die
eigene Mutter. Sie erscheinen ihm, da sie ihn bis in die Träume
begleiten, in einer Vielzahl von Szenenfolgen, in denen sich die
unterschiedlichsten Spiel- und Redeformen abwechseln – ein
Panorama, das weit über alle literarischen Genres hinausreicht und
sie sich zugleich anverwandelt. Gestaltet Peter Handke eine
beispielhafte Familientragödie in Szenen? (Immerhin sterben zwei
der Brüder in den vierziger Jahren.) Erzählt er anhand
einzelner Stationen das Epos eines Volkes, der Slowenen? (Von ihnen
ging der einzige bewaffnete Widerstand gegen das nationalsozialistische
Regime innerhalb dessen ursprünglicher Grenzen aus.) Entwirft er
das Geschichtsdrama der ewigen Verlierer (die einmal die Historie auf
ihrer Seite wähnten und doch nichts erreichten)? Oder wendet er
sich, erzählend-dramatisch, zurück zur eigenen Biographie,
deren Voraussetzungen und Folgen? Im neuen Buch von Peter Handke
durchdringen sich Prosa und Drama, Theatralisches und Poetisches,
Geschichtliches und Persönliches, und so wird am Ende doch
fraglich, ob der überlebende Bruder der Mutter wirklich das letzte
Wort hat: "Es herrscht weiterhin Sturm. Andauernder Sturm. Immer noch
Sturm. Ja, wir haben das Unrecht begangen – das Unrecht, hier,
gerade hier, geboren zu sein."
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