Franz Binder: "Kailash"
Reise zum Berg der Götter
"Alles Glück dieser Welt
entspringt dem Wunsch nach Glück für die anderen.
Aller Schmerz dieser Welt
entspringt dem Wunsch nach dem eigenen Glück."
Egal, welche Route man bevorzugt, um zum Nabel der Welt, zum heiligen Berg Kailash,
zu gelangen, der Weg zu diesem Berg, in einem der entlegensten Winkel der Welt
ist immer ausgesprochen strapaziös und beschwerlich. Doch diese Reise beginnt
nicht erst mit der Abfahrt zu diesem gewählten Ziel, sondern schon viel früher
mit einer Sehnsucht tief im Herzen, die einen nicht mehr loslässt, mit der Sehnsucht
und der Suche nach dem eigenen Zentrum.
Tibetische Pilger nehmen diesen beschwerlichen
Weg seit Urzeiten auf sich mit dem Ziel, diesen heiligen Berg unter Mühen und
Entbehrungen zu umrunden und dafür von der Sündenlast einer ganzen Lebensspanne
befreit zu werden. Unter dieser Motivation kommen auch heute noch zahlreiche Pilger
nach Westtibet. Mag diese Reise und die Umrundung des heiligen Berges für manche
vorerst Abenteuerurlaub oder sportliche Herausforderung bedeuten, letztendlich
wird sie doch immer Reise zu sich selbst und äußere Spiegelung eines Weges zum
eigenen Zentrum.
Franz Binder, der als freier Schriftsteller und Fotojournalist in München lebt und arbeitet,
gelingt es in diesem Buch, dem Leser die geschichtlichen und religiösen Hintergründe
dieses Berges und der gesamten Region nahe zu bringen. Der Kailash, das Schneejuwel,
zieht Pilger aus vier Religionen in seinen Bann. Atemberaubend ist seine Naturschönheit,
zu der auch der See Manasarovar beiträgt, aber verehrt wird er als Berg der Götter.
Franz Binder berichtet auch von der blinden Zerstörungswut der Chinesen, die viele Kulturstätten
in Tibet zunichte gemacht haben. Doch die Tibeter hielten auch in diesen schweren
Zeiten an ihrem Glauben fest und ließen sich ihre sprichwörtliche Heiterkeit und
Lebensfreude nicht zerstören. Diesem unerschütterlichen Glauben ist sicherlich
auch zu verdanken, dass Ganden, ein abgelegenes Kloster auf unserem Weg, das sich
für den Tourismus kaum nutzen lässt und kaum staatliche Wiederaufbauhilfe erhielt,
durch private Hilfe der Tibeter wiederaufgebaut wird. Ganden wurde somit zum Sinnbild
für die Freiheitssehnsucht der Tibeter und für ihre unzerstörbare Verwurzelung
im Buddhismus,
die auch durch Jahre völligen Religionsverbotes nicht beeinträchtigt werden konnte.
Dieses Buch gibt auch Auskunft über die ursprüngliche Religion der Tibeter - die Bön-Religion,
zu der sich allerdings heute nur mehr eine Minderheit der Tibeter bekennt. So
umkreisen Buddhisten, Hindus und Jainas den Kailash einträchtig im Uhrzeigersinn
- und wenn jemand entgegenkommt, dann handelt es sich um einen Bönpo, einen
Anhänger von Tibets ursprünglicher und einheimischer Religion.
Franz Binders Buch ist ein
interessantes Werk, das Informationen über die Entwicklung des Buddhismus gibt
und dem Leser das Land Tibet in seiner atemberaubenden Schönheit beschreibt,
die religiösen Stätten und ihre Mythen und Legenden beleuchtet sowie die Sehnsucht
zu einer Reise sowohl nach Tibet als auch zum inneren Zentrum in uns weckt.
Die
meisten Tibeter wollen den Kailash mindestens dreimal umrunden. Eine Kora - (dies
ist eine Umrundung) - wäscht die Sünden einer Lebensspanne ab, dreizehn Koras
öffnen den Zugang in den inneren Bereich des Berges, und wer einhundertachtmal den Kailash
umrundet, dem ist die Erleuchtung sicher. Schon alleine die Beschäftigung mit
diesem Heiligtum vermag den Wunsch nach innerer Einkehr zu wecken, eine Reise
zu diesem Ort müsste wahrlich Wunder vollbringen.
So sei diese Rezension mit einem Teil eines Liedes von
Milarepa
beendet, das diesen heiligen Ort vollendet beschreibt:
"Die Prophezeiungen des Buddha sagen voll Wahrheit,
dass dieser Schneeberg der Nabel der Welt ist.
Ein Ort, wo die Schneeleoparden tanzen.
Die Bergspitze, die Kristallpyramide,
ist der weiße,
glitzernde Palast von Demchog.
Dies ist der großartige Ort vollendeter Yogis,
hier erlangt man transzendente Vollkommenheiten.
Kein Ort ist wundervoller als dieser,
kein Ort ist erstaunlicher als dieser."
(Margarete Wajs)
Franz
Binder: "Kailash. Reise zum Berg der Götter"
dtv, 2006. 208 Seiten.
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Reinhold Messner beleuchtet Triumphe und Tragödien, Geschichte und Gegenwart des
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renommierte Fotograf und Asienexperte die Geschichte der wechselvollen
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