Javier Salinas: "Die Kinder der Massai"
Spätestens seit dem Tag, als Frau Matutes, die Sportlehrerin mit dem untrüglichen Gespür für auseinandergebröckelte Familien, Juan in die andere Volleyballmannschaft steckt, weiß er Bescheid: Seine Eltern werden sich trennen.
Juan, der Ich-Erzähler, ist ein ziemlich intelligenter Junge, der selbst aber nicht so ganz an seine Hochbegabung glauben kann, weil seiner Schwester in der Schule alles wesentlich besser gelingt als ihm selbst und sie auch zweifellos kompliziertere Bücher liest. Juan ist der Meinung, dass die Erwachsenen in Bezug auf seine Hochbegabung einem sehr dummen Fehler aufgesessen sind. Doch in dieser Hinsicht nimmt ihn nicht einmal seine Schwester Laura tatsächlich ernst, denn auch sie ist davon überzeugt, dass Juan schlauer ist, als er selbst glaubt.
Die Nacht der zerbrochenen
Vasen ist jetzt schon ein paar Monate her. Ich weiß noch genau, wie ich
dachte: Diesmal werden sich meine Eltern trennen. Diesmal ja. Diesmal
machen sie ernst. Ich weiß es. Ich spür es in der Nase und auch sonst
überall. Sie werden sich trennen. |
Da der Vater der beiden Kinder sehr häufig in Afrika ist, um dort Straßen zu bauen, sehen ihn die Kinder nur relativ selten und genießen seine Anwesenheit dann umso mehr. Doch eines Nachts - in der "Nacht der zerbrochenen Vasen" hört Juan, wie seine Eltern die Scheidung beschließen, und auf einmal wechselt der Knabe in der Schule von der Volleyballmannschaft der Kinder verheirateter Eltern in jene der Scheidungskinder, die immer verliert. Auch sonst geht sein Leben einen ganz neuen Weg, denn Juan muss sich nun als Mitglied einer "Verlierermannschaft" ganz neu in seinem Selbstverständnis orientieren. |
Seine Klassenkameraden müssen unvermittelt zur Kenntnis nehmen, dass man plötzlich
in die "andere" Mannschaft versetzt werden kann, was die Sportlehrerin, Frau
Matutes, auch ohne zu zögern tut, sobald sich in einem Haushalt die Familiensituation
verändert; eine aufmerksame und mitfühlende Tat.
Doch Juan gibt sich nicht mit seiner neuen Stellung zufrieden. Er hat von seinem
Vater gelernt, dass es viele Abstufungen von Schwarz in Afrika gibt und dass
die Massai als die Besten gelten - und sich über ihre Kinder nicht allzu viele
Gedanken machen, weswegen anscheinend gut ist, ein Massai-Kind zu sein, was
Juan dann auch für sich und seine Freunde und Freundinnen in der "anderen" Mannschaft
zu reklamieren versucht.
Scheidung wird von Erwachsenen eher als eine Reflektion auf die Kinder gesehen.
Genau wie in Eric-Emmanuel
Schmitts "Oskar und die Dame in Rosa" wird aber in diesem Buch versucht,
eine kindliche Perspektive zum Problem der Scheidung der Eltern
- und einer damit verbundenen Stigmatisierung - einzunehmen, was die Problematik
in "Die Kinder der Massai" genauso in eine andere Größenordnung bringt wie
das Sterben eines Kindes in Schmitts Roman. Das Buch ist ebenso anrührend wie
niedlich geschrieben; somit sicherlich eine wertvolle Hilfe, sowohl für Scheidungskinder,
wie auch für Eltern, die sich Sorgen um diese machen.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 11/2005)
Javier Salinas: "Die Kinder der Massai"
Aus dem Spanischen von Stephanie von Harrach.
Ammann, 2004. 135 Seiten.
ISBN 3-250-60067-9.
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Javier Salinas, geboren 1972 in Bilbao, studierte spanische Philologie und Recht an der Universität von Madrid. Er lebt in Madrid und in Köln. In seiner Muttersprache hat er bislang drei Gedichtbände und zwei Romane publiziert. "Die Kinder der Massai" ist der erste ins Deutsche übersetzte Roman.