3
Ihr
höheren Menschen, es geht gen Mitternacht: da will ich euch Etwas in die Ohren
sagen, wie jene alte Glocke es mir in's Ohr sagt, -
- so heimlich, so schrecklich,
so herzlich, wie jene Mitternachts-Glocke zu mir es redet, die mehr erlebt hat
als Ein Mensch:
- welche schon eurer Väter Herzens-Schmerzens-Schläge abzählte
- ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! die alte tiefe tiefe Mitternacht!
Still! Still! Da hört sich Manches, das am Tage nicht laut werden darf; nun
aber, bei kühler Luft, da auch aller Lärm eurer Herzen stille ward, -
- nun
redet es, nun hört es sich, nun schleicht es sich in nächtliche überwache Seelen:
ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht!
- hörst du's nicht, wie
sie heimlich, schrecklich, herzlich zu dir redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht?
Oh Mensch, gieb Acht!
4
Wehe mir! Wo
ist die Zeit hin? Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die Welt schläft -
Ach!
Ach! Der Hund heult, der Mond scheint. Lieber will ich sterben, sterben, als euch
sagen, was mein Mitternachts-Herz eben denkt.
Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was spinnst du um mich? Willst
du Blut? Ach! Ach! der Thau fällt, die Stunde kommt -
- die Stunde,
wo mich fröstelt und friert, die fragt und fragt und fragt: ``wer hat Herz genug
dazu?
- wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen: so sollt ihr laufen,
ihr grossen und kleinen Ströme!''
- die Stunde naht: oh Mensch, du höherer
Mensch, gieb Acht! diese Rede ist für feine Ohren, für deine Ohren was spricht
die tiefe Mitternacht?
5
Es trägt mich
dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk! Tagewerk! Wer soll der Erde Herr sein?
Der Mond ist kühl, der Wind schweigt. Ach! Ach! Flogt ihr schon hoch genug? Ihr
tanztet: aber ein Bein ist doch kein Flügel.
Ihr guten Tänzer, nun ist alle
Lust vorbei, Wein ward Hefe, jeder Becher ward mürbe, die Gräber stammeln.
Ihr flogt nicht hoch genug: nun stammeln die Gräber ``erlöst doch die Todten!
Warum ist so lange Nacht? Macht uns nicht der Mond trunken?''
Ihr höheren
Menschen, erlöst doch die Gräber, weckt die Leichname auf! Ach, was gräbt noch
der Wurm? Es naht, es naht die Stunde, -
- es brummt die Glocke, es schnarrt
noch das Herz, es gräbt noch der Holzwurm, der Herzenswurm.
Ach! Ach! Die Welt ist tief!
6
Süsse Leier!
Süsse Leier! Ich liebe deinen Ton, deinen trunkenen Unken-Ton! - wie lang her,
wie fern her kommt mir dein Ton, weit her, von den Teichen der Liebe!
Du alte
Glocke, du süsse Leier! Jeder Schmerz riss dir in's Herz, Vaterschmerz, Väterschmerz,
Urväterschmerz, deine Rede wurde reif,-
- reif gleich goldenem Herbste und
Nachmittage, gleich meinem Einsiedlerherzen - nun redest du: die Welt selber ward
reif, die Traube bräunt,
-
nun will sie sterben, vor Glück sterben. Ihr höheren Menschen, riecht ihr's nicht?
Es quillt heimlich ein Geruch herauf,
- ein Duft und Geruch der Ewigkeit,
ein rosenseliger, brauner Gold-Wein-Geruch von altem Glücke,
von trunkenem
Mitternachts-Sterbeglücke, welches singt: die Welt ist tief und tiefer als
der Tag gedacht!
7
Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein für dich. Rühre mich nicht an! Ward meine
Welt nicht eben vollkommen?
Meine
Haut ist zu rein für deine Hände. Lass mich, du dummer tölpischer dumpfer Tag!
Ist die Mitternacht nicht heller?
Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein,
die Unerkanntesten, Stärksten, die Mitternachts-Seelen, die heller und tiefer
sind als jeder Tag.
Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach meinem Glücke?
Ich bin dir reich, einsam, eine Schatzgrube, eine Goldkammer?
Oh Welt, du
willst mich? Bin ich dir weltlich? Bin ich dir geistlich? Bin ich dir göttlich?
Aber Tag und Welt, ihr seid zu plump, -
- habt klügere Hände, greift nach
tieferem Glücke, nach tieferem Unglücke, greift nach irgend einem Gotte, greift
nicht nach mir:
- mein Unglück, mein Glück ist tief, du wunderlicher Tag,
aber doch bin ich kein Gott, keine Gottes-Hölle: tief ist ihr Weh.
8
Gottes Weh ist
tiefer, du wunderliche Welt! Greife nach Gottes Weh, nicht nach mir! Was bin ich!
Eine trunkene süsse Leier,
- eine Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die
Niemand versteht, aber welche reden muss, vor Tauben, ihr höheren Menschen!
Denn ihr versteht mich nicht!
Dahin!
Dahin! Oh Jugend! Oh Mittag!
Oh Nachmittag! Nun kam Abend und Nacht und Mitternacht, - der
Hund heult, der Wind:
- ist der Wind nicht ein Hund? Er winselt, er
kläfft, er heult. Ach! Ach! wie sie seufzt! wie sie lacht, wie sie röchelt und
keucht, die Mitternacht!
Wie
sie eben nüchtern spricht, diese trunkene Dichterin! sie übertrat wohl ihre Trunkenheit?
sie wurde überwach? sie käut zurück?
- ihr Weh käut sie zurück, im Traume,
die alte tiefe Mitternacht, und mehr noch ihre Lust. Lust nämlich, wenn schon
Weh tief ist: Lust ist tiefer noch als Herzeleid.
9
Du
Weinstock! Was preisest du mich? Ich schnitt dich doch! Ich bin grausam, du blutest
-: was will dein Lob meiner trunkenen
Grausamkeit?
``Was vollkommen ward, alles Reife - will sterben!''
so redest du. Gesegnet, gesegnet sei das Winzermesser! Aber alles Unreife will
leben: wehe!
Weh spricht: ``Vergeh! Weg, du Wehe!'' Aber Alles, was leidet,
will leben, dass es reif werde und lustig und sehnsüchtig,
- sehnsüchtig nach
Fernerem, Höherem, Hellerem. ``Ich will Erben, so spricht Alles, was leidet, ich
will Kinder, ich will nicht mich,''
- Lust aber will nicht Erben, nicht Kinder, - Lust will sich selber, will Ewigkeit,
will Wiederkunft, will Alles-sich-ewig-gleich.
Weh spricht: ``Brich, blute,
Herz! Wandle, Bein! Flügel, flieg! Hinan! Hinauf! Schmerz!'' Wohlan! Wohlauf!
Oh mein altes Herz: Weh spricht: ``vergeh!''
10
Ihr höheren Menschen,
was dünket euch? Bin ich ein Wahrsager? Ein Träumender? Trunkener? Ein Traumdeuter?
Eine Mitternachts-Glocke?
Ein Tropfen Thau's? Ein Dunst und Duft der Ewigkeit?
Hört ihr's nicht? Riecht ihr's nicht? Eben ward meine Welt vollkommen, Mitternacht
ist auch Mittag,
- Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht
ist auch eine Sonne, - geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr.
Sagtet
ihr jemals ja zu Einer Lust? Oh, meine Freunde, so sagtet ihr Ja auch zu allem
Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, verliebt, -
- wolltet ihr jemals
Ein Mal Zwei Mal, spracht ihr jemals ``du gefällst mir, Glück! Husch! Augenblick!''
so wolltet ihr Alles zurück!
- Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet,
verfädelt, verliebt, oh so liebtet ihr die Welt, -
- ihr Ewigen, liebt
sie ewig und allezeit: und auch zum Weh sprecht ihr: vergeh, aber komm zurück!
Denn alle Lust will - Ewigkeit!
11
Alle Lust will aller
Dinge Ewigkeit, will Honig, will Hefe, will trunkene Mitternacht, will Gräber,
will Gräber-Thränen-Trost, will vergüldetes Abendroth-
- was will nicht Lust! sie ist durstiger, herzlicher, hungriger, schrecklicher,
heimlicher als alles Weh, sie will sich, sie beisst in sich, des
Ringes Wille ringt in ihr, -
- sie will Liebe, sie will Hass, sie ist überreich, schenkt, wirft weg, bettelt,
dass Einer sie nimmt, dankt dem Nehmenden, sie möchte gern gehasst sein, -
- so reich ist Lust, dass sie nach Wehe durstet, nach Hölle, nach Hass, nach
Schmach, nach dem Krüppel, nach Welt, - denn diese Welt, oh ihr kennt
sie ja!
Ihr höheren Menschen, nach euch sehnt sie sich, die Lust, die unbändige, selige,
- nach eurem Weh, ihr Missrathenen! Nach Missrathenem sehnt sich alle ewige
Lust.
Denn alle Lust will sich selber,
drum will sie auch Herzeleid! Oh Glück, oh Schmerz! Oh brich, Herz! Ihr höheren
Menschen, lernt es doch, Lust will Ewigkeit,
- Lust will aller Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!
(aus "Also
sprach Zarathustra" von Friedrich
Nietzsche)
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