Das römische Glas
Stand ich auf einem hohen Berg,
Sah wohl den
tiefen, tiefen Rhein,
Sah ich ein Schifflein schweben,
Viel
Ritter tranken drein.
Der jüngste, der darunter war,
Hob auf sein römisches Glas,
Thät mir damit
zuwinken:
»Feins Lieb, ich bring dir das!«
»Was
thust du mir zutrinken,
Was bietst du mir den Wein,
Mein Vater will mich
ins Kloster thun,
Soll Gottes Dienerin seyn.«
Des
Nachts wohl um die halbe Nacht,
Träumt es dem Ritter so schwer,
Als ob
sein herzallerliebster Schatz
Ins Kloster gangen wär.
»Knecht,
sattle mir und dir zwei Roß,
Mein Haupt ist mir so schwer,
Ich leerte gar
viel mein römisch Glas,
Das Schiff
gieng hin und her:
Mir
träumt', ich hätt' eine Nonn gesehn,
Ich trank ihr zu mein Glas,
Sie wollt
nicht gern ins Kloster gehn,
Ihr Aeuglein waren naß.
Halt
an! Halt an am Klosterthor!
Ruf mir mein Lieb heraus!«
Da kam die ältste
Nonn hervor,
»Mein Lieb soll kommen heraus.«
»Kein
Feinslieb ist hier innen,
Kein Feinslieb kann heraus.«
»Und wenn kein
Feinslieb drinnen ist,
So steck ich an das Haus.«
Da
kam Feinslieb
gegangen,
Schneeweis
war sie gekleidt:
»Mein Haar ist abgeschnitten,
Leb wohl in Ewigkeit!«
Er vor dem Kloster niedersaß,
Und sah ins tiefe, tiefe Thal,
Versprang ihm wohl sein römisch Glas,
Versprang
ihm wohl sein Herz.
(aus des Knaben Wunderhorn)