Ernst
Jandl (1925-2000): |
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Jandl
war einer, der polarisierte. Und das war und ist gut so. Es ist unmöglich, seine
Gedichte zu lesen und danach das Tagwerk fortzusetzen, als ob nichts geschehen
sei. Was sich abbildet in den sprachmalerischen Ergüssen des gewesenen Dichters
ist ein Abgesang an die Grauzonen, die in der Schule den Zöglingen von deren angeblich
gelehrten Professoren präsentiert werden. Alles, was nicht hineinpasst in die
Struktur einer angepassten Weltformel wird als unpassend unterwellt. Der Schüler,
der es wagt, einen Aufsatz zu schreiben, der Jandl zur Ehre reicht, wird dafür
vom Lehrer getadelt werden.
Jandl lädt zum Verweilen ein. Er vermag es,
Banalitäten so in die Sprache einzuschweißen, dass sich ein riesiger Turm aufbaut,
von dem man ohne Seil abspringen und der Welt zeigen möchte, dass nichts so sei,
wie es scheint. Jandl demaskiert. Und da er nicht literarisiert, hat der wagemutige
Zögling, der an Jandl einen Narren gefressen hat, keine Chance, der schlechten
Benotung zu entgehen. Im Lehrplan hat der Ernst nur wenig oder gar keinen Raum.
Interpretationen anderer Autoren sind gewollt. Goethe soll seine Wahlverwandtschaften
preisgeben, und Schiller ewig seine Glocke schellen lassen. Und der gute William
nie den Mörder als Gärtner verurteilen.
Die Themen von Ernst Jandl waren
stets der Krieg, Politik, Kindheit, der Zustand der Welt, Religion und Allfälliges.
Allfälliges entstand dann, wenn es dem Dichter unter den Nägeln brannte. Als Beispiel
für die Exklusivität des Sprachakrobaten sei hier ein Gedicht eingesetzt:
daliegen
sich
anscheißen
und gewaschen werden
und daliegen
und sich anscheißen
und
gewaschen werden
und daliegen
und sich anscheißen
und gewaschen werden
und
daliegen
und die letzte Ölung kriegen
und sich anscheißen
und gewaschen
werden
und daliegen
daliegen
und in himmel kommen
Jandl machte
vor nichts Halt. Er sprach Dinge aus, die von den meisten Dichtern tunlichst gemieden
werden, da sie möglicherweise eine Grenze in sich aufbauen, die nicht überschritten
werden soll.
Nunmehr folgt ein kleiner Exkurs zu einem Autor, der in gewisser
Weise eine Ähnlichkeit mit Jandl aufweisen mag. Die Rede ist von Franzobel.
Wer das Glück hatte, seiner Lesung der "Krautflut" (Bachmann-Preis 1995) beizuwohnen,
der wird zugeben müssen, dass hier ein genialer Text vorgetragen wurde. Das Besondere
daran ist jedoch die Art, wie der junge Mann an die Sache heranging. Er las mit
trunkener Energie und durchbrach sozusagen in Lichtgeschwindigkeit die Versuchsanordnungen
schwerfälliger Mitleidsprosa. Nicht die sprachliche Qualität allein sprach für
ihn, sondern mehr noch die Verbindung von Sprache und akustischer Ausschweifung.
Zurück zu Jandl: Es existieren einige Sprechplatten des Dichters, die jene Fähigkeit
demonstrieren, wofür die Qualität der Sprache von Jandl steht. Liest man die
Texte, dann ist man teils verzückt, teils verzagt. Hört man die Texte, dann
ergibt sich ein Gefühl von Sprachrausch, der eine Weile lang andauern kann.
Die Germanisten beschreiben freilich nicht diesen Rausch, sondern geben folgendes
Urteil ab: "Jandl ist Verfasser experimenteller Sprechgedichte mit Betonung
des klanglichen Elements im Anschluss an den Dadaismus sowie konkreter Poesie
in Parallele zu G. Rühm." Damit wäre mal der wissenschaftlichen Komponente Genüge
getan. Tatsache ist, dass Jandl weit über diese Strukturen hinauswuchert. Er
entzieht sich im Grunde einer Bewertung durch decodierende Universitätspraktiken.
Was "lechts und rinks" so interessant macht, und keineswegs eine artifizielle
Beliebigkeit gelten lässt, ist die Homogenität, rund um wunderbare, oftmals
"ver-rückte" lautmalerische Gedichte, tiefbewegende Prosa bzw. das Kurzstück
"Die Humanisten" zu gruppieren. Die Kindheitserinnerungen von Jandl zeigen ihn
als Verächter des Nationalsozialismus,
der sich stets an Menschen orientierte, die jener grassierenden Krankheit mit
Mut entgegentraten und keinen Impfstoff brauchten, um dem Wahnsinn vielleicht
doch noch verfallen zu können. Er seinerseits war vom Katholizismus infiziert
worden, und in zahlreichen seiner Gedichte macht sich sein Kampf mit der Wirkung
dieser Erziehung Platz. Der Glauben scheint oftmals buchstäblich in Grund und
Boden gestampft zu werden; doch die Suche des Menschen, der mit "Ottos Mops"
auf den Hund
gekommen war, nach einem Sinn in all dem Wahnsinn kann keinesfalls ausgeblendet
werden. Bei "Die Humanisten" handelt es sich um ein Stück, das auf nur wenigen
Seiten den Irrsinn artikuliert, der entsteht, wenn die scheinbaren Schaffensprozesse
des Menschen nur auf ihn selbst zurückprallen wollen. Der Mensch wird zu einem
Schema, das sich nie und nimmer ausdehnen will. Von Szene zu Szene wird die
Bühne düsterer, bis schließlich ein SS-Mann erscheint, der von der Dunkelheit
verschluckt wird.
Ernst Jandl wurde am 1.8.1925 in Wien geboren, und verstarb am 9.6.2000
ebendort. Er war, darum auch die süffisanten Zeilen über das Verhältnis von Schüler
und Lehrer, viele Jahre Gymnasiallehrer in Wien. Schade nur, dass solche Lehrer
wohl eine Seltenheit im langweiligen Schulgetriebe darstellen. Er wurde mit Preisen
überhäuft; u. a. dem "Georg Trakl Preis für Lyrik" und dem "Georg Büchner Preis
für Literatur". Er hat es sich verdient, in die Ruhmeshalle der Dichter deutscher
Zunge aufgenommen zu werden.
(Jürgen Heimlich)
Ernst Jandl: "lechts und rinks"
Luchterhand Literaturverlag, 2002. 144 Seiten.
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