Meister Eckhart: "Einheit mit Gott" | ![]() |
War
das Mittelalter wirklich, wie des Öfteren behauptet wird, eine dunkle Epoche,
so war Meister Eckhart einer ihrer hellsten Sterne. Heutzutage gilt er ob seiner
unerhört neuartigen, oftmals kühnen Auslegung des Christentums als Mystiker,
als er noch lebte, war er ein Mann, der fest auf dem Boden der irdischen Wirklichkeit
stand bzw. reiste und ein herausragender Theologe, vorbildlicher Seelsorger, begehrter
Prediger, vielerfahrener weiser Mann, ein Meister eben war.
Wahrscheinlich 1260
wurde er in Hochheim (Thüringen) als Sohn des Ritters von Hochheim geboren,
schlug jedoch eine kirchliche Richtung ein, indem er in das Dominikanerkloster
Erfurt eintrat. Im Zuge seiner kirchlichen Laufbahn studierte Eckhart vor allem
in Köln und Paris Theologie, in letzterer Stadt hatte er später auch
zweimal einen der beiden Lehrstühle für Ausländer inne. In Erfurt
bekleidete er verschiedene hohe Ämter seines Ordens, unter anderem das
des Priors, Vikars, Provinzials (zuständig für sämtliche Dominikanerklöster
des norddeutschen Sprachgebiets), Generalvikars, stellvertretenden Ordensgenerals
und Visitators. In den letzten Jahren seines Lebens musste er sich mit einem
gegen ihn laufenden Inquisitionsverfahren wegen angeblicher ketzerischer Äußerungen
herumschlagen. Er starb 1328 auf der Reise zur letztmöglichen irdischen
Berufungsinstanz, in oder auf dem Weg nach Avignon, wo der Papst zu jener Zeit
residierte. Von Letzterem wurden ein Jahr danach tatsächlich 17 von Eckharts
Aussagen als häretisch verurteilt, weitere 11 mit dem Prädikat "suspekt"
versehen.
Eckhart steht in der
abendländischen Geistesgeschichte ohne ersichtliche Vorbilder da; Spekulationen
gibt es darüber, ob er seinen großen Ordensbruder Albertus Magnus
(ca. 1200-1280) noch kennengelernt hat (als dessen Schüler kann man ihn
aber nicht bezeichnen), unbekannt ist auch, welche von ihm unerwähnten
Schriften er in den Klosterbibliotheken Europas gelesen hat (mit zitierten,
kirchlicher Größen wie Augustinus
und Thomas von Aquin, aber auch heidnischer Meister wie
Platon,
Cicero
und Moses Maimonides, sind seine Predigten und Schriften jedenfalls gespickt),
doch kann man als sicher - wenn auch nur indirekt
erwähnt - eine tiefe und klare Gotteserfahrung annehmen, die
Meister Eckhart wohl schon in jüngeren Jahren gemacht und die im Weiteren
auch sein ganzes Leben und Werk durchdrungen haben dürfte. Seine Predigten
und theologischen Traktate, die - je nachdem, ob sie sich an Laien oder an den
Klerus richteten - in anschaulichen mittelhochdeutschen Beispielen oder in filosofisch-theologischem
Fachlatein abgefasst und gehalten wurden, gehen manchmal von einer theologischen
Streitfrage, zuallermeist aber von einem kurzen Bibelzitat, oft nur aus einem
Satz bestehend, aus, in dessen einzelne Wörter Eckhart sich förmlich
versenkt, sie von seiner eigenen Erfahrung aus auf die filologisch und spirituell
tiefstmögliche Weise versteht.
Da das Christentum für Meister Eckhart gelebte Erfahrung bedeutet, betonen
auch seine Interpretationen die Lebendigkeit der Religion. So
ist die Menschwerdung
Christi weniger Glaubenssatz als erfahrbare Wirklichkeit, ist der
Gottessohn, der in einer frommen, in Einheit mit Gott lebenden Christenseele jeden
Augenblick aufs Neue geboren wird, ja, den zu gebären die Bestimmung und
letzte Sinnerfüllung jedes Menschen ist, ist diese Gotthaftigkeit doch nichts
Anderes als unser innerstes Wesen, eine Aussage, die frappant an den buddhistischen
Begriff der "Buddha-Natur" erinnert.
Eine
ähnliche, ins allgemein menschlich Erfahrbare gerückte, die hohe Würde
gleichwohl wahrende, Behandlung erfährt das Thema Jungfräulichkeit.
Zwar ist nur von einer Namensvetterin der Gottesmutter die Rede - Lukas 10,38
(eine Stelle, die Meister Eckhart übrigens konträr zu üblichen
Interpretationen auslegt, insofern er die tätige Martha im Verhältnis
zur kontemplativen Maria als die fortgeschrittenere Seele zeichnet) -, aber antidogmatische
Assoziationen werden sich manchen damaligen Hörern und Lesern stellenweise
sicher aufgedrängt haben. Auf den Einwand von Mitbrüdern und Kollegen,
seine Belesenheit, Intelligenz und gute Absicht in Ehren, aber bei manchen Aussagen
bestünde die Gefahr, dass sie vom einfachen Volk gröblich missverstanden
werden könnten (also das bereits ziemlich alte Streitthema, ob denn der Mensch
mit Freiheit, Glück, Liebe, Erkenntnis und dergleichen schon auf eine reife
Weise umgehen könne oder nicht vielmehr alles im Chaos unterzugehen drohe),
auf solche Einwände reagierte Meister Eckhart auch noch zu Zeiten des Inquisitionsverfahrens
mit Unverständnis, Selbstgewissheit und theologischem Muskelspiel wie diesem:
"Sankt Johannes verkündet das heilige Evangelium allen Gläubigen und auch
allen Ungläubigen, auf dass sie gläubig werden, und doch beginnt
er das Evangelium mit dem Höchsten, das ein Mensch über Gott hier auszusagen
vermag; und oft sind denn auch seine sowie unseres Herrn Worte unrecht aufgefasst
worden."
Dafür,
dass ihm die seinen schließlich absichtlich unrecht aufgefasst wurden
(die Inquisitoren wollten etwas Ketzerisches finden und gingen daher kaum
auf die Rechtfertigungsargumentation Eckharts ein), trugen wahrscheinlich weniger
rein theoretische Erörterungen als kirchenpolitische Auseinandersetzungen,
Ordensrivalitäten, Missgunst und die Angst vieler Mächtiger vor den
Konsequenzen Meister Eckharts unhierarchischen, die fundamentale Einheit von Universum,
Gott und Menschenseele betonenden Denkens Schuld.
Wie gelangt nun der irdische Mensch zur unio mystica, zu dieser fundamentalen
Einheit mit Gott? Dadurch, dass der Mensch nichts Eigenes mehr will und also der
Wille Gottes ungebrochen zum Wirken kommen kann (dein Wille geschehe), dass er
bereit ist, auf seine innerste Stimme, Gottes Stimme zu hören, auch dann
nach ihr zu handeln, wenn es äußeren Instanzen zuwider ist, und in
Zeiten der "Lust nicht ertrinkt, sondern machtvoll darüber steht."
Abgeschiedenheit, Nacktheit, Armut, Gnade sind andere Worte für diesen Zustand
der höchsten Aufnahmefähigkeit, die nur der Mensch erreicht,
der guten Willens ist und sich von allen trennenden Vorstellungen lösen kann
(z.B. eines andersartigen, bedrohlichen Bösen - ein Grund, warum Eckhart
die Liebe der Askese auf dem Weg zu Gott vorzieht; aber auch eine Vorstellung
von Gott zu haben verhindert letztlich Gott) und dessen Handeln ein absichtsloses
ist - die Tat um ihrer selbst und nicht um ihrer möglichen Früchte willen
(zu den genannten Punkten finden sich zahlreiche Parallelen aus dem asiatischen
Raum). Umgekehrt freilich "ist alles, was wir getrennt von Gott sind, wirken
oder leben, Sünde", was weniger als moralisches oder ontologisches
Urteil gemeint ist, wie Meister Eckhart dieser unverblümten Aussage gleich
hinzufügt, eher wohl als tiefenpsychologische Diagnose im Sinne von "dem
geht es wahrlich nicht gut" verstanden werden kann.
Der Herausgeber Dietmar Mieth hat für dieses Buch eine repräsentative Auswahl
aus Meister Eckharts Schriften (allesamt in der deutschen Übersetzung) zusammengestellt
und ihr einen ausführlichen Text zu Zeit, Leben und Werk des Meisters vorangestellt.
(stro; 09/2002)
Meister Eckhart: "Einheit mit Gott"
Herausgegeben von Dietmar Mieth.
Patmos, 2002. 356 Seiten.
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