Inazô Nitobe: "Bushidô" |
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Der Geist der Kirschblüte
Was muss das für eine sonderbare
Welt gewesen sein, das Japan der Samurai? - Da sitzt ein Floh auf dem edlen Rücken eines japanischen Ritters, und ein
wohlmeinender Bürger macht den stolzen Krieger demütigst darauf aufmerksam.
Der Samurai dankt es dem guten Mann mit einer eigenartigen Form von Höflichkeit,
indem er ihn kurzerhand in Stücke haut.
Entsetzt krampft sich das christliche Herz zusammen, denn es versteht diese
Denkungsart nicht und schon gar nicht die Hintergründe derartiger Handlungsweise.
Nun,
nach der Lektüre von Inazô Nitobes "Bushidô" wird man sogar aus diesen Japanern
um einiges schlauer: Nitobe verfasste dieses Buch um 1898, also an der Schwelle
zum modernen, dem Westen zugewandten Japan. Es ist nicht mehr die Zeit des alten
Japan der Samurai, aber auch noch nicht das - vor allem von den Vereinigten
Staaten von Amerika - westlich
vergewaltigte und somit auch neurotisierte Land, als welches es sich uns zum Teil
heute präsentiert.
Nitobe beschreibt mit eingehender, doch niemals langweilender Präzision die
Hintergründe dessen, was Japan so berühmt, gleichzeitig aber auch - vor allem
in der restlichen asiatischen Welt - so verhasst machte: das Bushidô, jenen
über Jahrhunderte
entwickelten Verhaltens- und Ehrenkodex der japanischen Ritterkaste, der in
das gesamte Leben des japanischen Menschen hinein wirkte und zum Teil bis heute
noch wirkt und für den Aufstieg Japans zu der führenden Wirtschaftsmacht (zumindest
bis vor kurzem noch!) zu einem großen Teil mitverantwortlich ist.
Derartiger
Stoff würde sich natürlich zu einer blinden Glorifizierung einer Epoche eignen,
die selbstverständlich nicht nur ein "goldenes Zeitalter" war.
Nitobe seinerseits
verfällt keineswegs einer solchen Versuchung, sondern - ganz im Gegenteil - nähert
sich der Thematik auch mit einer gesunden Portion Skepsis an. Ein Faktum, das
wohl einem geradezu stupenden Wissen eines asiatischen Autors um westliche Kultur-
und Geistesgeschichte entspringt. Nitobe ist in nahezu allem bewandert und - wie
es sich für einen höflichen Asiaten geziemt - er wertet nicht, vergleicht nur,
stellt lediglich die beiden Weltanschauungen gegenüber. So zeichnet er ein Bild,
das von einer höflichen Wertschätzung des Westens und einer durchaus kritischen
Zuneigung zum Eigenen geprägt ist.
Natürlich darf nicht übersehen werden, wann dieses Werk
verfasst worden ist! Noch gab es keine Auswüchse einer aufgedrängten westlichen
Kultur, die mit nur sehr geringem Verständnis und Feingefühl vorort Gewachsenes
betrachtete und darauf einging. Noch konnten japanische Tradition und japanisches
Denken sehr wohl mit neuen, westlichen Einflüssen koexistieren.
Aber wer weiß, wie Nitobe wohl heute über das Bushidô geschrieben hätte? In
Anbetracht der Art und Weise, wie vor allem die USA nach
dem Zweiten Weltkrieg in "Dampfwalzenmanier" nicht nur den japanischen
Militarismus zerschlagen hatte, sondern durch die "Coca-Colonialisierung" Japan
oftmals seiner Wurzeln beraubt hatte.
Die Japaner sind ein intelligentes Volk. Sie haben natürlich
auch Anderen viel Übles angetan, konnten aber auch viel einstecken und vermochten
- und dies war eine ihrer herausragenden Fähigkeiten - vor allem aus Niederlagen
für zukünftige Siege (wenn auch diesmal erfreulicherweise in
einigermaßen friedlicheren Sparten, wie der Wirtschaft und
Technik!) zu lernen.
Mit anderen Worten: egal, was ihnen auch immer passierte und passieren
wird, das Bushidô ist und wird immer der bewegende Geist dieses Landes sein; es
wird jener unsterbliche Geist sein, der aus der Kirschblüte weht, wild und heiß!
(Franz Furch)
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