Buchecke


:: Home
:: Suche


:: 24 (4)
:: Abenteuer (55)
:: Alias (1)
:: Babylon 5 (7)
:: Buffy & Angel (25)
:: Comics (diverse) (17)
:: Die Bibliothek von Babel (30)
:: Fantasy (diverse) (181)
:: Farscape (1)
:: Heftromane (314)
:: Horror (diverse) (168)
:: Komödien (diverse) (2)
:: Krimi (diverse) (59)
:: Literatur (diverse) (26)
:: Mystery (diverse) (102)
:: Perry Rhodan (122)
:: Roswell (4)
:: Sachbücher (103)
:: Science Fiction (diverse) (715)
:: Star Trek (43)
:: Stargate (1)
:: Thriller (61)
:: TV (diverse) (10)
:: Vampire (37)
:: Zeitschriften / Magazine (15)


:: Artikel (6)
:: Interviews (7)
:: Nachrufe (2)


:: Weitere Sendungen


:: SciFi-Forum: Buchecke


Die Bibliothek von Babel



Gilbert Chesterton

Apolos Auge

rezensiert von Thomas Harbach

Mit dem siebenten Band der Edition Babel präsentiert Jorge Luis Borges auf den ersten Blick verblüffend eine Sammlung von „Pater Brown“ Kriminalgeschichten aus der Feder des streng gläubigen Katholiken Gilbert Keith Chesterton. Insbesondere in Deutschland ist das Bild des intelligenten Hobby- Ermittlers durch Heinz Rühmanns nicht immer akkurate Darstellung in diversen „Pater Brown“ Filmen vorgeprägt worden. Chestertons hier präsentierte Kriminalerzählungen sind dagegen sehr klug und kunstvoll konstruierte Kriminalgeschichten, die sich eher an Sherlock Holmes und seinem Verfasser Arthur Conan Doyle orientierten. Im Mittelpunkt der Geschichten steht immer ein rätselhafter Vorfall, an dem Pater Brown eher passiv teilnimmt. Oft werden ihm die Fakten verbal übermittelt, der Pater besucht den Tatort und mittels einer guten Beobachtungsgabe und einem wachen Verstand kann er ohne die wissenschaftlichen Hilfsmittel a la Holmes den Täter überführen. Dabei geht es weniger um Action, sondern intelligente Unterhaltung. Wie in seinem realen Leben Chesterton ist auch Pater Brown ein aktiver Verfechter des katholischen Glaubens. Er begegnet in den hier versammelten fünf Geschichten in erster Linie Vertretern der heidnischen Religionen, denen Pater Brown mit gesundender Skepsis, aber keinen Vorurteilen begegnet.


Die erste Geschichte „Die drei Reiter der Apokalypse“ besteht im Grunde aus einer vielschichtigen Eröffnung und dann der Auflösung in Form einer verbal vorgetragenen historischen Begebenheiten, welche die von Obert Pound herausfordernd gestellten Rätsel auflösen und die entsprechende Begründung liefern soll. Es ist erstaunlich, wie selbstsicher und offensiv Chesterton seine Leser mit Halbwahrheiten und verklausulierten Floskeln reizt, um dann insbesondere das Militär als stupide, egoistisch und falsch zu entlarven. Die drei Reiter der Apokalypse sind drei Offiziere der preußischen Armee im besetzten Polen, die unterschiedliche Befehle zwecks der Hinrichtung eines polnischen Populisten ans Ziel bringen sollen. Der Konflikt auf der untersten Offiziersebene ist nur ein Spiegelbild der Diskrepanzen zwischen den Adligen und den oberen Rängen. Es ist ein dunkles, kritisches Bild, das Chesterton malt. Was die Kurzgeschichte allerdings zu einem Lesevergnügen erster Güte macht, sind die vielen auch in der deutschen Übersetzung gelungenen Wortspiele, die auch die Phantasie des Lesers zu beschäftigen wissen.

Mit „Die seltsamen Schritte“ präsentiert Borges die erste Pater Brown Geschichte. Wer jetzt aber an einen Sherlock Holmes im Priesterrock denkt, wird überrascht, wie gesellschaftskritisch bis zur Satire mit dem Standesdünkel und den Marotten der Adligen umgeht. Die Mitglieder eines exzentrischen Clubs treffen sich in einem Hotel, das in erster Linie Gäste abwehrt zu ihren jährlichen Clubtreffen. Pater Brown ist nur anwesend, weil einer der fünfzehn Kellner – mehr als es Gäste zu geben scheint – vor dem wichtigen Treffen plötzlich gestorben ist und die letzten Weihen erhalten soll. Der Pater lauscht in seinem kleinen Zimmer verschiedenen Schrittfolgen und wird schließlich in den Diebstahl des wertvollen silbernen Fischgedecks verwickelt. Chesterton stellt deutlich heraus, dass es ihm um die Aufklärung des Verbrechens, aber nicht unbedingt die Bestrafung des Täters geht. Wie Sherlock Holmes fasziniert ihn das Problem mehr als die eigentliche Bestrafung. Dabei löst er in der vorliegenden Geschichte den Fall eher beiläufig, da ihm der Täter im wahrsten Sinne des Wortes durch einen Zufall in die Arme läuft. Der Ablauf der Tat und das Vorgehen des Täters allerdings basiert auf einer Reihe von derartigen Zufällen, das die Glaubwürdigkeit des Plots zu sehr strapaziert wird. Als Satire auf das exzentrische Verhalten der Adligen ist die Story allerdings sehr amüsant und lesenswert.

„Die Ehre des Israel Gow“ ist ein perfektes Vehikel für Pater Brown. Alle Indizien in einem schottischen Schloss deuten auf Ritualverbrechen von einer heidnischen Gesellschaft. Ganz bewusst wird der Leser mit theologischen Vermutungen und hanebüchen zusammengesetzten Theorien über das grässliche Schicksal des exzentrischen Lords verwirrt, bis die Auflösung nicht nur furchtbar einfach – aber für den Leser nicht vorher erkennbar – ist, sondern vor allem aufzeigt, dass kein Verbrechen im kriminalistischen Sinne stattgefunden hat, sondern nur jemand das Testament allzu wörtlich genommen hat. Pater Brown setzt schließlich die einzelnen Versatzstücke zu einer verblüffend einfachen, aber nachhaltigen Lösung zusammen. Chesterton setzt in der ersten Hälfte der Geschichte fast ausschließlich auf Atmosphäre und indirekte Handlungsführung. Der Zuschauer erhält alle Fakten ausschließlich aus den Dialogen der Protagonisten. Diese Vorgehensweise verengt die Perspektive und lässt leichter meisterhafte Manipulation zu. Der Autor nutzt diese Prämisse allerdings auch für einige Anfeindungen gegenüber den falschen Religionen. Aus der Lebensgeschichte Chestertons weiß der Leser, dass mit dieser Einstellung alle Glaubensrichtungen bis auf die Katholische gemeint sind.

Der erste richtige Kriminalfall mit Tat, Deduktion und schließlich Überführung des/ der Täters ist „Apollos Auge“. Pater Brown besucht seinen Freund, den Detektiv Flambeau in seinem neuen Büro. Dieses liegt dem Anwesen eines Sektierers gegenüber, der jeden Mittag von seinem Balkon aus die Sonne anbetet. Während des aktuellen Gebetes wird eine junge Frau aus seinem Büro getötet. Sie stürzt in einen leeren Fahrstuhlschacht. Der Detektiv und die Sektierer gehen von einem Selbstmord aus, während Pater Brown auf Mord tippt. Die Auflösung der Tat ist verblüffend effektiv gestaltet. Es handelt sich um zwei parallel begangene Verbrechen, die sich auf eine unheilvolle und diabolische Art negieren Wie einige von Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes“ Fällen ist die Mischung aus Konzeption und Konstruktion überzeugend, Chesterton nimmt sich allerdings nicht den Raum, die Nebenfiguren dreidimensional zu entwerfen. Dadurch geht das tragische Moment verloren. Wie wenig Chesterton vom heidnischen Glauben hält, wird von Pater Brown überdeutlich gemacht. Das perfide aus Habgier begangene Verbrechen und die gnadenlose Umsetzung sind der Höhepunkt dieser kleinen „Pater Brown“ Sammlung.

Nicht viel schlechter, aber in Bezug auf die Thematik beunruhigender ist „Das Duell des Dr. Hirsch“. Ein wichtiges Dokument scheint entwendet worden zu sein. Die Hinweise sind komplett falsch, so falsch, dass sie den Verdacht erwecken. Ein Offizier und ein obskurer Doktor Hirsch wollen um die Ehre streiten, sind aber nicht in der Lage, sich in die Augen zu sehen. Im Gegensatz zu vielen anderen Pater Brown Geschichten kommt es hier nicht nur auf jedes Detail ein, die Masse ergibt ein gänzlich anderes Bild als die Wahrscheinlichkeit vorhersagt. Wieder ist das Verbrechen nur der Katalysator der folgenden Ereignisse und zum wiederholten Male wird die Tat nicht gesühnt, der Täter bestraft In dieser kurzweilig zu lesenden Story kommt noch ein ironischer Höhepunkt hinzu. Die Barriere zwischen Täter und Opfer fällt. Das Ergebnis ist auf den ersten Blick verblüffend, auf den zweiten konsequent und durch einige gezielte Hinweise von Brown gut vorbereitet.


Unabhängig von den unterhaltsamen Kriminalfällen mit dem ungewöhnlichen Ermittler überzeugen die Geschichten durch ihre stimmungsvolle Atmosphäre und selbst in der deutschen Übersetzung durch diverse Übersetzer Wort gewaltigen Sprache. Chestertons Beschreibungen gleiten immer wieder ins Symbolische ab. Da er sich vor seiner Zeit als Schriftsteller auch als Maler versucht hat, sind seine Geschichten sehr visuell orientiert. Die Hintergründe wie das düstere Schloss in „Die Ehre des Isreal Gow“ sind elementare Bestandteile der einzelnen Texte. Zusammen mit der geradlinigen, stringenten Handlung verbinden sie sich zu kompakten Kriminalfällen. Der sympathische Ermittler Pater Brown kommt manchmal aufgrund der Kürze der hier präsentierten Geschichten ein wenig zu kurz, zu schnell und zu direkt löst er die komplexen Rätsel und präsentiert den verblüffenden Polizisten sowie dem Leser die aufgrund seines Wissens nicht erkennbare Lösung. In den Roman nimmt sich Chesterton mehr Zeit und handlungstechnisch Raum, um seinen sympathischen Charakter weiterzuentwickeln und gleiche komplexe Fälle zu lösen. Der Band ist in erster Linie den Lesern empfohlen, die einmal den einzigartigen Autoren Chesterton und seine berühmteste Schöpfung kennen lernen wollen. Wer schon ein Pater Brown Fan ist, wird nur die erste Story als deutsche Erstveröffentlichung im Rahmen der Bibliothek von Babel entdecken können. Die Geschichten überraschen durch eine überraschende Themenvielfalt, obwohl die eigentliche Struktur dem grundsätzlichen Muster der Detective Bücher fast sklavisch folgt. Sie sind intelligent konstruiert, auch wenn sie manchmal das Verbrechen nur als unbedeutenden Aufhänger für theologische Diskussionen nutzen. Wer sich weiter mit dem britischen Phantasten beschäftigen möchte, seien zusätzlich die beiden Omnibus- Taschenbücher im Rahmen der SF- Bibliothek empfohlen.

Gilbert Chesterton: "Apolos Auge"
Anthologie, Hardcover, 165 Seiten
edition Büchergilde 2007

ISBN 3-9401-1107-4

Leserrezensionen

:: Im Moment sind noch keine Leserrezensionen zu diesem Buch vorhanden ::
:: Vielleicht möchtest Du ja der Erste sein, der hierzu eine Leserezension verfasst? ::