rezensiert von Thomas Harbach
Auch wenn der neue Stephen King Roman „Puls“ auf den ersten Blick wie eine Fortsetzung seiner Auseinandersetzung mit der modernen Technologie wirkt, ist es im Grunde der Versuch des modernen amerikanischen Zombieromans schlechthin. Die Handys und der durch sie übertragene die Zivilisation zerstörende Impuls sind nur der Katalysator. Im Herzen des Romans schlägt King den Bogen zu seinen früheren Werken, in denen er klassische Motive der amerikanischen Horrorliteratur entfremdet und im Alleingang modernisiert hat.
Am ehesten erinnert der vorliegende Roman an Kings Novelle „Der Nebel“. Im Gegensatz zu den lovecraft´schen Motiven der kürzeren Arbeit widmet er den Roman ganz bewusst zwei Ikonen des phantastischen Genres: Richard Matheson und George Romero. Die Kompaktheit der Erzählung erinnert nicht zufällig an Richard Mathesons mehrfachen verfilmten „I am Legend“. Dank einer Reihe von Anspielungen auf die populäre Subkultur verwurzelt King seine phantastische Geschichte sehr zielstrebig in unserer „realen“ Gegenwart. Das Zombiemotiv erscheint als Hommage an George Romero. Immer wieder finden sich Anspielungen auf dessen „Night of the living Dead“ und eine ironische Analyse des Konsumverhaltens von Zombies – siehe „Dawn of the Dead“.
Der Plot folgt einer anderen Richtung. Diese entspricht dem „technologischen“ Horror – siehe „Christine“ oder mit Abstrichen „The Mangler“. Trotzdem trägt die Geschichte eher die Züge alter Monstergeschichten, eben in der Tradition der Vampirgeschichten – „Salem´s Lot“ – oder der Werwölfe – „Cycle of the Werewolf“ und als angelehnte Inkarnation „It“ – oder der Haunted House Geschichte – „The Shining“ – oder eben zu guter Letzt der Science Horror Variante – siehe „The Tommyknockers“ oder den misslungenen „Dreamcatcher“. Im Grunde ist „Puls“ auch eine moderne Variante der Doomsday- Geschichte und Kings Rückkehr zu seinem wahrscheinlich interessantesten, wenn auch nicht unbedingt besten Werk „The Stand“.
Nun nicht unbedingt Zombies, aber zumindest moderne, lernfähige Untote… mit einem Handy in der Hand oder zumindest zur schlechtesten Zeit am eigenen Ohr.
Kings tiefe Verbeugung vor der populären Trivialunterhaltung beginnt mit der Charakterisierung des Protagonisten. Der junge Comickünstler Clay Riddell hat gerade seine Graphicnovel „The Wanderer“ an Dark Horse Comics verkauft. Nicht an die großen Häuser Marvel oder DC, sondern an das neben Image beweglichste Comichaus. Für Riddell ein
nicht nur künstlerischer, sondern in erster Linie wirtschaftlich notwendiger Erfolg.
Freudestrahlend macht er sich aus der großen Stadt auf dem Heimweg. Er hat seiner Familie kleine Mitbringsel gekauft und möchte sich selbst auch etwas gönnen. Als der Puls das bisherige Leben der Menschheit durcheinander bringt, steht er gerade in der Schlange eines fahrbaren Eiswagens. Außerdem besitzt Riddell kein Handy. Plötzlich bricht um ihn herum überall Gewalt aus. Menschen beißen und zerfleischen sich, Polizisten erschießen Passanten, man hört Schüsse und Explosionen. Riddell glaubt, mitten in einen riesigen terroristischen Anschlag/ Alptraum geraten zu sein. Zuerst denkt er unwillkürlich an Nervengas.
In diesen Augenblicken besitzt der Leser gegenüber dem geschockten Protagonisten einen entscheidenden Vorteil: In einer Art Präambel hat King sowohl den Puls auch die folgenden Ereignisse seinem eigentlichen Roman vorangeschickt. Diese Taktik weckt die Aufmerksamkeit der Leser. Clay weiß zwar, dass die wie Hammerschläge aufeinander folgenden Ereignisse nicht gut sind, er kann sie aber über lange Zeit nicht einordnen. Der Leser dagegen erkennt, dass die Handys erst für die verrückten Menschen und dann für die Zombies verantwortlicht sind. Mit diesem Trick wahrt Stephen King auch die notwendige Kontinuität. Viele Zombiestoffe scheitern im Grunde am zweiten Akt. Selbst in Romeros bahnbrechenden Filmen stellt sich der Leser schnell die Frage, wieso die Ordnungskräfte mit den wenigen zu erst erscheinenden Zombies nicht fertig werden. Dann plötzlich bricht die Höhle durch eine Invasion der Untoten los. In seinem Roman erschafft King urplötzlich dank des Pulses und der Verbreitung von Handys auf einen Schlag eine Horde von Untoten und setzt gleichzeitig die Ordnungskräfte außer Gefecht. Wie eine Spirale setzt sich seine boshafte Denkweise weiter fort. Im Falle einer Katastrophe wollen mehr und mehr Menschen die Ordnungskräfte alarmieren und greifen natürlich nach ihren Handys… Schon alleine aus diesem so einfachen Grund funktioniert sein Roman deutlich besser als die bislang prädestinierten Viren oder Vodooflüche. Außerdem geht diese Verbreitung den Lesern – meistens unterwegs und mit einem Handy bewaffnet – deutlich tiefer unter die Haut und King erreicht den beabsichtigten Schockeffekt. Aber King nutzt diese Ausgangssituation aber wie so oft, um unter die dünne Haut unserer so genannten Zivilisation zu schauen und sie genüsslich einer Obduktion zu unterziehen.
Auf den ersten Blick scheint Kings Idee, die Untoten als lernfähig und steuerbar zu beschreiben, innovativ. Doch auch hier folgt er der Tradition George Romeros, insbesondere der zynischen Leitlinie seiner letzten beiden selbst inszenierten Zombiefilme. In „Puls“ rotten sich die Zombies nach den ersten Gewaltexzessen zusammen, eine Art Kommunikation bildet sich und sie legen ihre Verletzten in Fußballstadien unter riesengroße Ghettoblaster. Diese Bilder bleiben dem Leser auch lange nach der Lektüre im Gedächtnis und schreien fast nach einer Verfilmung durch George Romero. Mit einem ironischen Augenzwinkern karikiert King ihren schlechten Rockmusikgeschmack.
Fast nahtlos gleitet die Handlung dann aus dem Splattergenre in „Day of the Triffids“ Gefilde. Wie in diesem klassischen Roman John Wyndham erfährt der Leser die Veränderung der Zivilisation durch die Augen eines der wenigen Normalmenschen. Zu Beginn des Buches greift King seinem Protagonisten vor, im zweiten Teil des Romans schränkt er die übergeordnete Erzählperspektive deutlich ein. Die außen stehenden Betrachter werden gezwungen, mit Clay zusammen die fast surrealistische Veränderung der altbekannten Vereinigten Staaten von Amerika zu verfolgen.
Die Zombies entfremden sich von den Menschen mehr und mehr. Sie bilden Nester und ihr Geist schließt auf einer telepathischen Ebene zu einer neuen Existenz zusammen. Diese Transformation ist faszinierend. Aber auch kaum mehr Furcht erregend. Die Horrorelemente gehen in diesem Szenario verloren.
Trotz des rasanten Tempos und der zumindest zu Beginn düsteren, später nur noch subtil bedrohlichen Atmosphäre kann sich „Cell“ nicht mit Kings besten Romanen messen. Das liegt in erster Linie an den überraschend blassen Protagonisten. Nur einmal im Verlauf des Romans gelingt es King, seine Leser emotional zu packen. Dazwischen finden sich zwar immer wieder Ansätze, seinen Figuren eine gewisse Tiefe zu geben und durch Rückblenden ihr normales Leben als Kontrast zu der auf den Kopf gestellten Welt hinzuziehen.
„The Shining“ – einer von Kings lesenswertesten Romanen – ist nicht nur eine Geistergeschichte, sondern die tragische Geschichte eines gescheiterten Mannes und nicht eines Monsters. „The Green Mile“ zumindest inhaltlich ein anderes Extrem ist bevölkert mit überaus menschlichen, sehr natürlich beschriebenen Charakteren auf beiden Seiten des Gesetzes. Die Liste könnte fast endlos fortgesetzt werden: von seiner ersten Schöpfung „Carrie“ über die die Freunde in „Es“ oder der Novelle „The Body“ bis zum Gefangenen aus „Rita Hayworth and the Shawshank Redemption“. Sie alle bleiben dem Leser im Gedächtnis, auch wenn er sich vielleicht nicht mehr an alle Details der oft verschachtelten Handlung erinnern kann.
Der Leser erfährt über den Comiczeichner Clay nur wenig: Frau und Kind, von der Ehefrau moralisch und wahrscheinlich auch materiell unterstützt, vom Sohn geliebt. Gleich zu Beginn des Buches klammert er sich an das Portfolio, mit dem er einen Job bei Dark Horse erhalten hat. Der einzig wirklich emotionale Moment in seinem Agieren und Reagieren ist der Augenblick, in welchem seine Zeichnungen beschädigt worden sind. Nicht die hunderten von Toten um ihn rum, nicht die Verwüstung oder zumindest zu Beginn die Angst um seine Familie. Zu sehr konzentriert er sich auf seine Arbeit, ohne das King diese Entschlossenheit wirklich effektiv einsetzen kann. Kaum hat er sich von seiner Arbeit sprich Mappe wahrscheinlich auch innerlich verabschiedet, verschwindet sein letzter Charakterzug und er wird im wahrsten Sinne des Wortes blas und unscheinbar. Im Gegenzug gewinnen die Untoten und ihr seltsames Verhalten nicht an Profil. Mit einer Mischung aus Unglaube und Faszination verfolgt der Leser zwar deren Treiben, aber King hat nicht den extravaganten Mut, einen zweiten Handlungsträger in Form eines Untoten zu etablieren. Je mehr er den Roman auf seinen Showdown/ Höhepunkt hin konzentriert, um so deutlicher wird ersichtlicht, dass „The Stand“ zumindest plottechnisch Pate gestanden hat. Im letzten Moment steuert der Autor dann gegen und verzichtet auf die Etablierung eines Antagonisten. Damit zerstört er zumindest in dem vorliegenden Buch die Ansätze, die sein erstes Weltuntergangsdrama so effektiv gemacht haben.
„Puls“ ist ein unterhaltsamer Roman, eine spannende, erstaunlich geradlinige Geschichte. Natürlich finden sich einige blutige, sehr explizierte und unter die Haut gehende Szenen. Außerdem kann King wie kaum ein anderer lebender Autor seinen Schrecken in unserer Realität, vor unserer Haustür entfalten. Das neue Buch ist deutlich kompakter als zum Beispiel „Tommyknockers“ oder „Dreamcatcher“, aber genau wie diese beiden Invasionsgeschichten führt es kein Eigenleben wie eben „The Shining“ oder „Dead Zone“. Der Leser nimmt am Geschen eher passiv teil und leidet nicht mit den tragischen, so wunderbar normalen Protagonisten. Handlungstechnisch ist „Puls“ im Vergleich zum eher introvertierten „Buick“ ein deutlicher Fortschritt, in Bezug auf Charakterisierung und Tiefe im Vergleich zum Vorgänger ein deutlicher Rückschritt. Unwillkürlich entsteht der Eindruck, als wenn King nach dem schweren Autounfall und seiner erzwungenen Schreibpause noch nicht seine alte Form wieder gefunden hat und sich selbst ein wenig testet.
Stephen King: "Puls"
Roman, Hardcover, 430 Seiten
Heyne 2006
ISBN 3-4530-2860-0
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