rezensiert von Thomas Harbach
Seit den frühen achtziger Jahren hat Jeffrey Thomas mit dem Schreiben phantastischer Geschichten in seiner einzigartigen persönlichen Schöpfung „Punktown“ begonnen. Im Rahmen des gleichnamigen Anthologiewerkes hat der Leser viele Facetten dieser surrealistischen, amorphen und nicht greifbaren Cyberpunkstadt auf einem fremden Planeten mit archaischen Wurzeln kennen gelernt. Dieser Band ist ebenfalls im FESTA- Verlag allerdings in der kurzlebigen SF- Reihe erschienen. Jeffrey Thomas weigert sich insbesondere in seinen kurzen Werken, dem Leser über die einzigartige perverse Stimmung hinaus Fakten zu liefern. Es gibt in dieser scheinbar lebenden Stadt – deren Vorbild Fritz Langs „Metropolis“ gewesen ist mit Verweisen insbesondere auf China Mieville – keine Straßenkarten, keine Wegweiser und vor allem keine Beständigkeit. Alles ist in Bewegung, es muss sich alles ändern, damit es bleibt, wie es ist. Diese inneren Widersprüche zeigen sich in den gebrochenen und doch optimistischen Charakteren, in den hoffnungslos sentimentalen gescheiterten Existenzen, die wie ihre Umgebung jegliche Ordnung verloren haben. In den besten seiner Geschichten feiert Thomas die Widererweckung der implizierten und manchmal auch sehr explizierten Perversität des Gothic Horror, in seinen schwächeren Texten erdrückt die Atmosphäre jegliches zartes Handlungspflänzchen. Das er die Stadt auf einer fremden Welt und dem Erbe eines außerirdischen Volkes angesiedelt hat, erweitert auf der einen Seite seine handlungstechnischen Spektren, auf der anderen Zeit fehlt ihm die düstere historische Manipulation durch die Alten, die unter der Erde auf ihre zweite oder dritte Chance gewartet haben. Egal wie sehr man die Außerirdischen beschreibt und verfremdet, sie bleiben im Gegensatz zu den egoistischen Göttern distanziert und nicht immer wirklich erschreckend. „Monstrocity“ ist sein erster Punktown- Roman und doch ähnelt er von der Struktur eher seinen in den letzten Jahren ausschließlich in Kleinverlagen veröffentlichten Kurzgeschichtenbänden. Einer Fuge gleich fügen sich die einzelnen Episoden- verbunden durch den Ich- Erzähler – schließlich zum einem Ganzen, zu einem echten Epigonen H.P. Lovecrafts im positivem wie auch im negativem Sinne zusammen. Christopher Rubys Marsch in die oft nur im metaphorischen Sinne persönliche Hölle beginnt mit einem Mord. Ein Mädchen wird geköpft. Rubys Freundin hat sich wie die Ermordete für obskure Schriften interessiert. Das Necronomicon soll es sein. Im Gegensatz zu seinen vielen anderen Kollegen hat Jeffrey Thomas aber die originelle Idee, das Buch der Bücher auf Diskette kopiert feilzubieten. Ansonsten ließe sich der Transport zu einer fremden Welt auch schwerlich wirklich überzeugend begründen. Rubys Freundin Gabrielle möchte in einem zu Beginn neckischen Spiel herausfinden, ob man wirklich die Alten beschwören kann, ob das Buch und dessen Besitzer die anderen Götter und Dämonen – in diesem Fall aus anderen Dimensionen – rufen und kontrollieren können. Als sich die Freundin mehr und mehr zurückzieht, ergreift Ruby die Initiative und tötet sie schließlich in einem Akt impulsiver Selbstverteidigung. Der Spannungsbogen bis zum Mord wird ganz bewusst in einer distanzierten Rückblendenstruktur erzählt. Der erste Hinweise, dass zumindest diese abgeschlossene Novelle ursprünglich nicht als Bestandteil eines Romans gedacht worden ist. Nach dem explosiven Auftakt ist insbesondere dieser erste elementare Handlungsbogen sehr kompakt, stilistisch dialogtechnisch überraschend zurückhaltend und in Bezug auf die Beschreibungen kraftvoll und intelligent beschrieben worden. Die morbide Atmosphäre Punktowns und die verführerische Kraft des Bösen bilden eine unheilvolle Symbiose, die Christopher Ruby in den Abgrund ziehen wird. Dabei bleiben die Motive des jungen Mannes eher im Dunkeln. Oberflächlich, stellenweise fast klischeehaft versucht Jeffrey Thomas die Intention des Protagonisten herauszuarbeiten, scheitert aber an einer durchschnittlichen Charakterisierung, die als Initialzündung im Grunde nicht ausreicht. Diese Schwäche gleicht Thomas durch eine Vielzahl bizarrer Hintergrundideen zumindest teilweise aus. Das Problem von „Monstro- City“ liegt in der Tatsache, dass die Geschichte mit dem ersten Mord nicht zu Ende ist. Christopher Ruby macht sich auf die Suche, weitere Schuldige zu bestrafen. Die Stadt vor dem unsagbar Bösen zu retten. Je tiefer Ruby allerdings in die schmuddelige Unterwelt von Jefrey Thomas Schöpfung einsteigt, desto größer wird die Distanz zwischen den unsagbaren Grauen H.P. Lovecrafts und den aus de Annalen des Cyberpunks wiedergeborenen und extrapolierten Ideen des jungen Amerikaners. Siebenjährige Mädchen, die ihre Klassenkameraden umbringen, weil die noch nicht körperlich geliebt worden sind, lassen alles verblassen, was H.P. Lovecraft überhaupt an Schrecken verbreiten konnte. Spätestens mit solchen Szenen – und ihren nicht weniger perversen Gegenübern in unserer teilweise kranken Realität – zeigt sich, dass die Zeit zumindest an den Großen Alten vorbeigezogen ist. Am Ende des sehr geradlinigen Handlungsbogens steht der Leser ein wenig ratlos dar. Was könnten die alten Götter – beschworen natürlich von einem ganzen Kult, der in einem engen Zusammenhang mit Rubys neuer Freundin, einer außerirdischen Polizistin steht – dem Chaos, der Anarchie Punktowns noch hinzufügen? Im Grunde nichts. Und in diesem Nichts endet auch der Handlungsstrang. Thomas übernimmt zu viele bekannte Versatzstücke aus den zahlreichen an Lovecrafts Mythos angelehnten Werken und verzichtet auf jegliche Extrapolation oder Innovation. Wenn er seinen Roman auf einer Legende enden lässt, unterstreicht er zum einen die Irrealität des gesamten Geschehens – hier wäre es sinnvoller gewesen, Christopher Rubys Lebens- und Leidensweg als verbale Geschichte zu inszenieren – zum anderen behält er seine ironische Distanz zu den Werken des Meisters. Die Verknüpfung zwischen Punktown und den Alten funktioniert objektiv betrachtet leider nicht.
Enttäuscht „MonstroCity“ auf der handlungstechnischen Ebene im Vergleich zu Jeffrey Thomas kurzen, oft fragmentarischen Storys, überzeugt der Roman durch den lebendigen, abwechselungsreichen Hintergrund. Diese literarische Form ermöglicht es dem Autor, fast zwanglos seinen Impulsen zu folgen und ohne störende Enge der Kurzgeschichte seine Welt weiter auszubauen. Immer auf die Balance zwischen Unterhaltung und Kritik schielend serviert er einen ungewöhnlichen Cocktail. Wie David Show, Jack Ketchum oder teilweise Stephen King in einigen seiner neuen Werke ist er sich seines Einflusses bewusst und versucht mittels der gnadenlosen Überzeichnung eine gewisse Warnung vor den selbst zerstörenden Gesellschaftsströmungen in seine Texte zu integrieren. Dabei reicht das Spektrum von falschen Religionen bis zu den manipulierenden Medien. Die Mischung aus Ironie und Sarkasmus stimmt. Die Scheinheiligkeit der verlogenen Gesellschaft entlarvt er nach einem Besuch Rubys bei einer jungen Prostituierten. Das schlechte Gewissen, das Vergnügen, die Schuld und schließlich die Abbitte. Auf wenigen Zeilen durchlebt der Leser zusammen mit dem Protagonisten eine ganze Bandbreite von Emotionen, ehrlichen und aufgesetzten. Kein Bild dieses Romans ist wirklich das, was es auf den ersten Blick erscheint. Die romantische Frauenfigur ist eine Polizistin, die Sexualmorde aufklären soll, der Held und Retter der Stadt ist ein Mörder. Punktown wird von innen zerfressen. Dabei spielt es keine Rolle mehr, ob die fischäugigen Dämonen und namenlosen Gottheiten den Untergang dirigieren oder teilnahmslos mit den Lemmingen mitmarschieren. Jeffrey Thomas will ja in seinem atmosphärisch dichten, manchmal erdrückenden Roman auch keine Antworten liefern, sondern den Leser durch diese perverse Unterwelt jagen, ihn erschrecken und schließlich durch eine eher aufgesetzte Heldentat von seinen inneren Zwängen reinigen. Leider gelingt es Thomas vor allem im Mittelteil des Buches nicht überzeugend, die geradlinige Handlung und den mehr und mehr dominierenden Hintergrund zu einem stringenten Spannungsbogen zu verbinden. Wenn der Mohr – in diesem Fall Christopher Ruby – seine Schuldigkeit getan hat und der Leser sich mehr Informationen über die fremdartige Wert und weniger selbst zweifelnde Monologe wünscht, droht die labile Struktur zusammenzubrechen. Bevor es zu diesem Supergau allerdings kommt, zieht Thomas in den letzten Kapiteln das Tempo deutlich an, zum Teil zu Lasten seiner Hintergrundbeschreibungen. Der Autor versucht die Geschichte zu einem vernünftigen, erstaunlich positiven Ende zu bringen. Viele vordergründige Ideen wirken eher wie eine kleine Sammlung von bekannten Horrorfacetten, sorgfältig für die Postcyberpunk und zynisch gesagt, für die Postbuchgeneration aufbereitet und blank poliert, aber weder innovativ noch sonderlich überraschend inszeniert. Vielleicht ist diese Vorgehensweise auch Absicht, um dem Leser in einer gänzlich fremdartigen Welt zumindest handlungstechnisch etwas Bekanntes, etwas Vertrautes anzubieten. Seine Bildsprache und sein Einfallsreichtum sind vielschichtig, intelligent und finden eine Entsprechung in China Mievielles beispielhaften Werken. Der morbide Charme seiner Großstadt entspricht einer futuristischen Vision von Kleudgens „Cosmogenesis“ und natürlich Jeff van der Meer „Die Stadt der Heiligen und Verrückten“. Thomas Betonung liegt auf der Selbstverstümmelung der Körper auf dem Weg zur emotionslosen Mensch- Maschine. Hier lebt – wie auch „Punktown“ – sein Roman auf, hier zeigt sich, was für ein ideenreicher und mutiger Autor Jeffrey Thomas ist, der schockieren und stimulieren möchte. Er ist jung und doch erfahren genug, um in seinen nächsten Büchern Form und Inhalt zu einer passenden Synthese zu verbinden. Zumindest die Form ist bereitet.
Jeffrey Thomas: "MonstroCity"
Roman, Softcover, 298 Seiten
Festa- Verlag 2005
ISBN 3-8655-2011-1
Weitere Bücher von Jeffrey Thomas:
- Punktown
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