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Science Fiction (diverse)



China Miéville

Der Eiserne Rat

rezensiert von Thomas Harbach

Mit „Der eiserne Rat“ legt China Mieville seinen vierten und gleichzeitig seinen dritten in der Welt von Neu Crobuzon spielenden Roman vor. Während „Perdido Street Station“ in erster Linie die vielschichtige, fremdartige und faszinierende Stadt dieser Welt vorstellte, wirkte der zweite Band „The Scar“ wie eine Mischung aus Hermann Melville und „Mad Max“ auf Speed. Mit „The Iron Cuncil“ versucht er im Grunde beide Romane einschließlich einer extrem politischen Meinung zu verbinden.

Der dritte hier vorliegende Roman ist eine Verfremdung der europäischen industriellen Revolution des neunzehnten Jahrhunderts unter Beimischung einiger Komponenten der Steampunk- Literatur. Unabhängig vom eigenständigen Hintergrund des Buches erinnert vieles an die einzige Kooperation zwischen Bruce Sterling und William Gibson: „Die Differenzmaschine“. Wie im Cyberpunk der Mensch seine Zukunft im Netz gesucht hat, wirkt Mievilles anarchischer technologischer Ansatz beunruhigend und verbindet einen Science Fiction Romane mit den Horrorwelten Gigers oder David Cronenbergs.

Zusätzlich zu einer Reihe von diskutierungswürdigen linksorientierten politischen Aussagen fesselt Mievilles Konzept von den „Remade“- Geschöpfen. Menschen werden zwangsweise in Fabriken zur Bestrafung in fremdartige, kaum mehr menschliche Formen umgegossen. Ein herausragendes Beispiel sind die Kaktusmenschen. Politisch herrscht oberflächlich in der Stadt eine brutale Militärdiktatur, die sich hinter einem Bürgermeister und einem Parlament verbirgt. Im Grunde haben aber verschiedene oppositionelle Gruppen den ersten Schritt zur Anarchie getan. Außerdem führt die Stadt einen wesen- und menschenvernichtenden Krieg gegen die Tesh. Viele dieser Ideen erinnern an die unsichere Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Auch wenn sich die Machthaber demokratische Mäntel umhängen, entlarvt sie der eher sozialistisch orientierte Mievielle als Opportunisten. Jegliche gesellschaftliche Ordnung geht in den durch ausufernde Gewalt und Bandenkriege immer unbewohnbar werdenden Straßenzügen verloren.

Im Grunde teilt sich der Roman in drei seperate Handlungsarme auf, deren Grundintention erstaunliche Ähnlichkeiten aufweist.

Unter dem komplexen Background versteckt sich eine umgekehrte Quest. Eine Handvoll Unzufriedener werden von Cutter in eine abgeschiedene Gegend geführt. Sie suchen nicht nur den Golem Schöpfer Judah, sondern versuchen Mythos und Hintergrund des eisernen Rats und seinen geheimnisvollen Anführer zu finden. Der eiserne Rat besteht aus einer Gruppe von Eisenbahnarbeitern, die gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen rebelliert haben und in die Wildnis geflohen sind. Im Gegensatz zu den typischen Fantasy- Geschichten müssen Mieville oft unfertige oder gebrochene Charaktere sich in ihrer Suche selbst finden. Sie sind keine Helden oder wollen Heldentaten vollbringen, sondern hoffen auf inneren Frieden. Nur selten – wie in unserer Realität – erfüllt sich diese zu einer Sucht ausartende Suche.

Auf einer weiteren Handlungsebene zeigt Mieville an Hand eines weiteren Charakters – Ori – die unterschiedlichen revolutionären Strömungen in New Crobuzon auf. Sein Protagonist tritt einer der gewalttätigsten Gruppen bei und plant, den amtierenden Bürgermeister der Stadt zu ermorden.

Wie in seinen ersten drei Romanen schäumt das Buch über vor Einfällen, exzentrischen und außerordentlichen Charakteren und einem endlosen Strom grotesker Kreaturen in einer absolut fremdartigen, aber inzwischen durch frühere Arbeiten bekannten, wenn nicht vertrauten Atmosphäre. Höhepunkt ist die bizarre Reise des Eisernen Rats – in einem Zug, der seine Schienen wieder aufnimmt, um keine Spuren zu hinterlassen und den eigenen Mythos vom unheilvollen revolutionären Organ zu bestärken. In der im Original cacotopic Zone wird der morbide und gewalttätige Untertön deutlich verstärkt. Zusammen mit den oft genetisch veränderten gequälten Kreaturen und der an klassische Werke wie Oliver Twist erinnernden modernen Sklavengesellschaft zeigt sich Mieville von seiner stärksten Seite. Geschickt laviert er seine nicht unbedingt sympathischen Figuren in außerordentlich farbenprächtig und dreidimensional geschriebene und beschriebene Szenarien. Doch mit der Auflösung dieser einzelnen Bögen Handlungsbögen zeigt sich auch die überraschende Schwäche des Buches. Die Bestandteile geben kein harmonisches Ganzes. Zwischen diesen einzelnen und weit verstreuten Höhepunkten bricht der Roman auseinander. Ganze Kapitel wirken inhaltsleer und ausufernd. Im Gegensatz zu den kompakten, trotz ausufernder Phantasie sehr disziplinierten und stilistisch vielseitigen früheren Romanen findet dieser Text keine Spur. Ungewöhnlich lange benötigt Mieville, um seine Charaktere in ihren einzelnen Lebensabschnitten zu etablieren. Die Exposition besteht aus Fragmenten, die keine Kontinuität aufweisen. Die Absicht könnte in der Tatsache begründet liegen, dass „Der eiserne Rat“ im Herzen, aber nicht im Verstand ein politisches Buch sein soll. Durch diesen Ansatz fehlt ihm die Intimität und emotionale Verbundenheit, die gute Unterhaltungsliteratur auszeichnen soll.

In Bezug auf die politische Ausrichtung des Romans schöpft Mieville aus fast allen historischen Quellen – Diktatur, Diktatur des Proletariats, parlamentarische Demokratie und schließlich Anarchie – ohne sich konkret festlegen zu wollen. Oft deutet er politische Bezüge wie zu den Pariser Kommunen nur geschickt an. Durch die oft oberflächliche und im eigenen Haus unkritische Auseinandersetzung mit historischen Begebenheiten und einer Reihe von sozialistischen und anarchistischen Bewegungen macht sich der Autor keine Freunde. Das Spektrum reicht vom pathetisch bis kraftvoll und kombiniert die oft so typische Legendenbildung mit in diesem Fall historischen Fakten. Dabei kann sich Mieville nicht entscheiden, einen legendenträchtigen historischen Roman zu schreiben oder eine spannende Geschichte zu entwickeln. Die erste Hälfte des Buches wird von dem geheimnisvollen Rächer und der Legende um den Eisernen Rat als Instrument des unterdrückten Volkes und der Hoffnung auf eine neue Zukunft dominiert. Aus Angst zu patriotisch- pathetisch und damit unglaubwürdig zu wirken, reduziert Mieville im zweiten Teil des Buches diese anscheinend überdimensionalen Figuren/ Wesen/ Maschinen auf eine unterdurchschnittliche Erscheinung. Damit nimmt er ihnen komplett den unverwechselbaren Reiz. Vergleicht ein aufmerksamer Leser die verwobene Geschichte in „Perdido Street Station“ mit dem vorliegenden Text, wird die Enttäuschung noch größer. Weiterhin dreht und windet er die historischen Bezüge in seinem Sinne und verliert damit den für außen stehende Leser erkennbaren Faden. Wenn er schon anstrebt, einen politischen Roman zu verfassen, in welchem die unterdrückten Arbeiter gegen die monopolistischen/ kapitalistischen/ diktatorischen Organe der Stadt rebellieren, dann sollte dieser Komplex am besten an Hand von einzelnen, sehr gut als Identifikationsfigur für Leser charakterisierten und komplexen Charakteren erfolgen. Mievielle engt bewusst und wahrscheinlich provozierend diese Basis ein. Seine Erzählung wirkt phasenweise wie „Das Manifest“ unter Drogen geschrieben. Mit dieser extremen und polarisierenden Sicht sucht er die Nähe zu anderen politischen Autoren, ohne seine phantastische Grundlage zu verlassen. Wie aber viele andere politische Streitschriften scheitert aber an seinen Ambitionen. Zu wenig sprechen seine Thesen für sich selbst. Zu selten versucht er seine Position zu erläutern anstelle der Parolen, die seine Geschichte durchziehen.

Ärgerlich wird es, wenn er seinen sorgfältig etablierten, wenn auch wenig überzeugenden oder gar sympathischen Figuren den Raum zum Atmen nimmt. Je weiter ihre jeweilige Suche geht, um so uninteressanter und in der Charakterisierung schwächer werden sie. Außerdem wuchert der Autor mit Symbolen, ohne sie wirklich in seinen Handlungsaufbau zu integrieren. Insbesondere die Liebesgeschichte versucht Mieville an einer dramatischen Stelle mit dem für klassische Filme obligatorischen Regenschauer zu untermalen. Nach dessen Auftritt verschwindet er ebenso wie andere Indizien in der unergründlichen Stadt und wurde nicht mehr gesehen. Diese triviale, fast freche Nutzung von Bildern ohne sie in seinen ausufernden Handlungsfluss zu integrieren, steht in einem starken Kontrast zu vielen sehr guten Ideen, zu den wundervoll fremden Maschinenwesen, die der Autor im Vorbeiflug kreiert und zerstört. Aber diese guten Passagen sind augenscheinlich und damit fälschlicherweise nur Mittel zum Zweck, um eine Schlacht zu beschreiben oder einen Dialog wichtiger erscheinen zu lassen, als sie wirklich sind. Der Autor verliert sich in seiner wundersamen Welt und scheint im Laufe des Buches die Lust an seiner eigentlichen Erzählung verloren zu haben. Bedauerlicherweise wird ihm diese Lustlosigkeit am Ende des Romans zum Verhängnis: Als es auf jeden einzelnen Charakter ankommt und die Landschaft/ Stadt in den Hintergrund gedrängt wird, fehlen ihm die sprachlichen Bilder. Die Tode zweier seiner Protagonisten tragen nicht mehr die desillusionierende Botschaft in sich, die der Autor angestrebt hat.

Stilistisch ist China Mieville immer noch ein Experiment wert und „Der eiserne Rat“ gehört in seinem inneren Wesen zu den bewundernswerten Büchern, die das Genre weiterbringen. Das Problem dieses Romans hängt wahrscheinlich mit den politischen Ambitionen auf regionaler Ebene des Autoren zusammen. Er möchte nicht mehr unterhalten, sondern belehren und über diesen Weg erziehen. Das funktioniert bei einem aufgeklärten Publikum nicht auf diese fast arrogante Art und Weise. Mieville fehlt es an der politischen Weitsicht und vor allem Notwendigkeit, beide Seiten einer Münze zu betrachten. Wenn er mit seinem Buch Reaktionen provozieren wollte, dann ist das Pulver zu schwach, wenn er aufklären sollte, dann fehlt dem Autoren die Reife, wenn er nur unterhalten wollte, dann verfehlt er seine Absicht. „Der eiserne Rat“ ist immer noch ein guter, aber nicht herausragender Roman, es ist kein Manifest und nach „Perdido Street Station“ und „The Scar“ wäre eine literarische Weiterentwicklung des Autoren Mieville und nicht des Weltenschöpfers Mieville dringend notwendig, wenn er nicht als Kind seiner eigenen Revolution gefressen werden möchte.

China Miéville: "Der Eiserne Rat"
Roman, Softcover, 683 Seiten
Bastei 2005

ISBN 3-4042-4344-7

Weitere Bücher von China Miéville:
 - Andere Himmel
 - Un Lon Dun

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