Buchecke


:: Home
:: Suche


:: 24 (4)
:: Abenteuer (55)
:: Alias (1)
:: Babylon 5 (7)
:: Buffy & Angel (25)
:: Comics (diverse) (17)
:: Die Bibliothek von Babel (30)
:: Fantasy (diverse) (181)
:: Farscape (1)
:: Heftromane (314)
:: Horror (diverse) (168)
:: Komödien (diverse) (2)
:: Krimi (diverse) (59)
:: Literatur (diverse) (26)
:: Mystery (diverse) (102)
:: Perry Rhodan (122)
:: Roswell (4)
:: Sachbücher (103)
:: Science Fiction (diverse) (715)
:: Star Trek (43)
:: Stargate (1)
:: Thriller (61)
:: TV (diverse) (10)
:: Vampire (37)
:: Zeitschriften / Magazine (15)


:: Artikel (6)
:: Interviews (7)
:: Nachrufe (2)


:: Weitere Sendungen


:: SciFi-Forum: Buchecke


Science Fiction (diverse)



Charles Stross

Glashaus

rezensiert von Thomas Harbach

Betrachtet der Leser aufmerksam die letzten beider Werke aus der Feder der britischen Science Fiction Autoren Alistair Reynolds “Ewigkeit” und den vorliegenden “Glashaus” von Charles Stross fällt auf, dass sie bei all ihrem Streben, möglichst weit in die Zukunft, möglichst tief in den Weltraum vorzudringen und dabei den Menschen dank Nanotechnologie, Biogenetik und komplexere soziale Strukturen zu verändern, inzwischen wieder zur guten alten Erde oder einer ihr zum verwechseln ähnlichen Parallelwelt zurückkommen. Alistair Reynolds schuf eine fiktive Welt, in welcher der Film Noir im Grunde niemals gestorben ist. Der eine Handlungsarm spielt in einer amerikanischen Großstadt etwa in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Charles Stross “Glashaus” beinhaltet ein Experiment, in welchem eine Gruppe ausgesuchter Menschen unter den Lebensbedingungen ausgehendes 20. Jahrhundert zusammenleben und von den Forschern überwach werden. Es ist allerdings kein Zufall, dass zwischen den Zeilen der Leser in diesem unter einer Glaskuppel geschaffenen Biotop deutliche Züge des erzkonservativen, vorgeblich christlichen Amerikas der Gegenwart erkennt, mit ihren Traditionen wie Familie und Gemeinschaft im Vordergrund und den dunklen, subversiven Tendenzen, die im Hintergrund gären. Wenn sich die Mitglieder der Testgruppe jeden Sonntag in der Kirche treffen müssen, um ihre Punktestände zu erhalten - Punkte gibt es für gutes Sozialverhalten, wer sich nicht in diese aus ihrer Sicht historische Gemeinschaft einfügt, wird mit Abzügen bestraft - und ihre “Sünden” aufgezählt zu bekommen. So werden Ehebruch und Mord mit den fast gleichen Punktabzügen bestraft. Schwangerschaft dagegen mit hohen Punktzuschlägen belohnt, was zu einer drastischen Entgleisung der Situation in einer Gemeinschaft führt. Die Reaktion des kirchlichen Würdenträgers entspricht den szizophrenen Verhalten, das insbesondere Amerika in seiner jetzigen Zerrissenheit zeigt. Um dieses Experiment besser in den Kontext zu seiner Zukunftsromane zu integrieren, hat sich Charles Stross nicht nur die Mühe gemacht, es zu einem Teil einer Verschwörung “unvorstellbaren Ausmaßes” - Klappentext - zu machen, sondern in seinem Rahmen die handelnden Protagonisten möglichst fremdartig darzustellen. Seine Zukunft entspricht den Prämissen, welche er in den “Accelerando” Romanen erschaffen hat. Eine Anything Goes Gesellschaft, die sich von den schweren Kriegen erholt Eine Art ständige Orgie mit Teilnehmern, die immer wieder und immer mehr auf der Suche nach dem nächsten Kick sind. Sei es Sex, der inzwischen emotionslos und die Grenzen austestend, stetig betrieben wird, seien es Drogen oder körperliche Veränderungen. Der Kriegsveteran Robin unterzieht sich einer Kalibrierung seines Langzeitgedächtnisses, um seinen Erinnerungen zu entfliehen. Zumindest impliziert Stross auch, dass er nach seiner Dienstzeit unter gewalttätigen Schüben gelitten hat. Während seiner Bewährungsphase lernt er eine Frau kennen, in die er sich - ohne das er diese Gefühle noch kennt, für den Leser ist es trotz aller Exotik erkennbar - in eine Frau, die ebenfalls diese Bewährungsphase nach der Neujustierung durchläuft. Gemeinsam melden sie sich zu dem oben schon angesprochenen Experiment. Robin findet sich im Körper einer Frau wieder, während seine Geliebte ohne es zuerst zu wissen zu einem Ehemann wird. Diese Prämisse ist eigentlich die unglaubwürdigste Komponente des gesamten Romans. Stross Menschen werden mit einem wichtigen Teil ihres Wissens in diese fiktive Vergangenheit versetzt und müssen sich somit gegen ihre bisherige Lebensart mit einem neuem, anderen Leben auseinandersetzen. Der Ich- Erzähler Robin dient hier als Leitfigur. Im Rahmen hat Charles Stross seinen Lesern gezeigt, wie oberflächlich diese futuristische Gesellschaft ist. Das ausgerechnet Robin und sein Partner die größten Schwierigkeiten haben, miteinander als Mann und Frau zu leben, dass ihr Mann/ sie nicht als Exfreund über weite Strecken nicht erkennt, dass seine jetzige Frau die futuristische Liebe ist - immerhin kommunizieren die beiden miteinander - wirkt unglaubwürdig. Dazu sind die Kontraste zwischen der Zukunft und dieser im Grunde puritanischen Vergangenheit viel zu gross und die Wahrscheinlichkeit zu niedrig, das alleine aufgrund des Druckes der Punktevergabe diese Umwandlung so reibungslos und plötzlich funktioniert. Natürlich durchlaufen die Teilnehmer am Experiment schnell alle Phasen unseren Lebens. Vom heimischen Herd über den Geld verdienenden Mann, die Ehefrau und Mutter, die sich später um die Kinder - eine gänzlich neue Erfahrung, das Zeugen und Austragen der Kinder im Mutterleib widerspricht der biotechnologisch an Züchtungen erinnernden futuristischen Gesellschaft - , das Heim und den Herd kümmert. Auch wenn sich Robin nicht nur als bisheriger Mann gegen diese Rolle zu wehren sucht, wirkt diese Opposition teilweise zu aufgesetzt, zu erwartet, als das sie wirklich überzeugen kann. Charles Stross reduziert seine Geschichte ja in diesem Abschnitt auf eine gegenwärtige Atmosphäre und auf die einzelnen Charaktere, denen der Leser folgt, ja folgen muss. In seinen bisherigen Romanen lag seine Stärke eindeutig auf außergewöhnlichen Ideen, zukünftigen Gesellschaften, die sich unglaublich weit von unserer Gegenwart entfernt haben, einer Extrapolation der Bio- und Nanotechnologie. “Glashaus” wird zwischen den synonymen Komponenten eines markanten Charles Stross Romans und der extrem humanistischen Experimentebene im “Glashaus” im wahrsten Sinne des Wortes aufgeteilt. Auch wenn eine gewisse Interaktion zwischen diesen beiden Handlungsteilen stattfindet, kann und sollten sie getrennt betrachtet werden. Insbesondere das Zukunftsszenario wirkt teilweise aufgesetzt und im Vergleich zu den mit satirischen Seitenhieben insbesondere auf Amerika nach dem 11. September durchsetzten Plot im Glashaus statisch. Der Leser hat das Gefühl, als hätten Stross Network Zivilisationen das Ende der Fahnenstange erreicht. Die Kühle, welche Texte wie „Accelerando“ dominierte, weicht insbesondere während des Experiments einer unsicheren, aber auf Emotionen basierenden Gesellschaft. Ganz bewusst verbindet der Autor mit dem Ich- Erzähler den Zuschauer sehr viel enger mit dem Text und kann die verschiedenen Komponenten wie Action/Spionage/Verschwörung auf der einen Seite sowie Satire/Ironie/ Sarkasmus auf der anderen Seite intensiver abhandeln. Dabei nimmt Charles Stross in seiner Glashausgesellschaft Elemente der populären Fernseh- und Kinokultur auf und beginnt diese leicht zu verfremden. Der aufmerksame Leser wird nicht nur Anspielungen auf „The Prisoner“ finden, sondern Elemente aus Ira Levins „The Stepford Wives“ – sowohl Buch als auch die erste gelungene Verfilmung – sowie die Bourne- Trilogie mit Matt Damon oder „Der einzige Zeuge“. Ganz bewusst extrapoliert Stross die Paranoia gegenwärtiger Gesellschaften auf einen Mikrokosmos reduziert in eine mögliche Zukunft und schafft sich so eine künstliche, aber jederzeit wieder erkennbare Spielwiese. Alleine das Punktesystem, das Kinder, Küche und Kirche bevorzugt, weist deutlich die Richtung, welche Charles Stross in seinem bislang griffigsten Buch kritisiert und karikiert. Das die Wissenschaftler vordergründig das dunkle Zeitalter der Menschheit untersuchen wollen, ist einer der treffenden bösen Seitenhiebe auf unsere gegenwärtig brüchige globale Ordnung. Im Gegensatz zu den Protagonisten erkennt der Leser schnell die Zeit wieder, beginnt über das unsichere Verhalten der Teilnehmer zu schmunzeln, vielleicht auch ein wenig zu lächeln. Mit grimmiger Konsequenz treibt Stross den Lesern das Lachen aus, während seiner Protagonisten überraschend schnell die Vor- aber auch Nachteile ihrer neuen Umgebung kennen lernen. Mehr und mehr halten sie den Lesern den Spiegel vors Gesicht und entlarven die zwar überspitzt dargestellte „Gegenwart“ als faschistoide Diktatur. Wobei die Kirche die Rolle des Staates in diesen kleinen Gemeinschaften – später erfährt der Leser zusammen mit den Teilnehmern, das es mehr als ein Glashaus gibt – übernommen hat, sich aber nicht weniger unchristlich verhält.

Am Ende des gut zu lesenden und teilweise ungewöhnlich aktuellen Romans sucht der Autor allerdings einen handlungstechnischen Kompromiss. Anklänge an Orwells „1984“ sind unverkennbar, aber Stross scheut die gänzlich nihilistische Note.
Der Plot steuert nicht nur auf die ersichtliche Revolution gegen den Status Quo zu, Stross macht es den Rebellen zu einfach, das System zu stürzen und dann in eine seltsame Zwittergesellschaft einzutauchen. Das Ende hinterlässt einen faden Beigeschmack und negiert vor allem viele der pointierten und sehr intelligent vorgetragenen Kritikpunkte. Als Ganzes betrachtet zeigt Stross, welche unglücklichen Wege Gesellschaften nehmen und nehmen müssen, die auf Misstrauen, Gier und Hass aufgebaut sind. Ob die Alternativen beständiger und sozialer sind, verschweigt der Autor in seinem Gedankenmodell. Hier wäre es vielleicht sinnvoll gewesen, die futuristische Gesellschaft zu einem sozialistischen Ideal auszubauen – eine Idee, welche sowohl Stross als auch Ken McLoud in anderen Büchern nur teilweise erfolgreich durchgespielt haben -, um den Kontrast zwischen Fiktion – dem Glashaus – und Realität – der fernen Zukunft – noch drastischer und nachhaltiger darzustellen. Unabhängig von diesen Schwächen ist „Glashaus“ eine der besten Arbeiten Charles Stross, eine intelligente Auseinandersetzung mit der aus seiner Sicht kritisch zu betrachtenden Gegenwart. Eine These wie auch Provokation, welche zum Nachdenken anregen soll und vor allem auch anregt.

Charles Stross: "Glashaus"
Roman, Softcover, 499 Seiten
Heyne- Verlag 2007

ISBN 3-4535-2360-1

Weitere Bücher von Charles Stross:
 - Die Kinder des Saturns
 - Du bist tot
 - Supernova

Leserrezensionen

:: Im Moment sind noch keine Leserrezensionen zu diesem Buch vorhanden ::
:: Vielleicht möchtest Du ja der Erste sein, der hierzu eine Leserezension verfasst? ::