

Budapest/Hamburg - Vor dem ungarischen Parlament in Budapest protestierten am Montagabend etwa 1500 Demonstranten, überwiegend Studenten, die sich über Facebook organisiert hatten. Sie hielten sich Augen und Ohren zu, hatten ihren Mund mit Klebestreifen verschlossen oder hielten weiße Schilder in die Höhe - eine Anspielung auf mehrere Zeitungen und Zeitschriften, die in den vergangenen Wochen mit weißen Titelseiten erschienen waren, um gegen den Entwurf der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán für ein neues Mediengesetz zu protestieren.
Im Inneren des Parlamentsgebäudes fand der Protest erwartungsgemäß wenig Gehör: Seit den Wahlen im April verfügt Orbáns rechtspopulistische Partei Fidesz (Jungdemokraten) dort über eine Zweidrittelmehrheit - entsprechend deutlich fiel am späten Abend die Zustimmung aus für ein Gesetz, das die Macht der Medienbehörde NMHH in der Verfassung verankert. Demnach darf der Präsident der NMHH ohne parlamentarische Kontrolle Verordnungen und Vorschriften erlassen.
Zudem wird ein neuer Medienrat eingerichtet, dem fünf Mitglieder der Regierungspartei angehören sollen. Das Gremium soll private Rundfunkbetriebe, Zeitungen und Zeitschriften sowie Online-Medien, deren Berichte als "nicht politisch ausgewogen" oder als bedrohlich für die "allgemeinen Interessen" und "öffentlichen Sitten" erachtet werden, mit hohen Geldbußen belegen dürfen. Diese Bußgelder könnten manche Medien wirtschaftlich ruinieren. Journalisten müssen dem Gesetz zufolge ihre Quellen offenlegen, wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit geht.
"Rückschlag für die Demokratie"
Das Gesetz stößt nicht nur in Ungarn, sondern auch im Ausland auf scharfe Kritik. Neben internationalen Medienorganisationen wie dem Internationalen Presse-Institut (IPI) und dem Europäischen Zeitungsverlegerverband (ENPA) kritisierte auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) das Paragrafenwerk als Bedrohung für die Presse- und Meinungsfreiheit. Vor allem Print- und Onlinemedien seien gefährdet. Die Regulierung von Onlinemedien sei zwar technisch unmöglich, das Gesetz habe aber eine abschreckende Wirkung und führe zu Selbstzensur, erklärte die OSZE.
Der ungarischstämmige Publizist Paul Lendvai bezeichnete das neue Mediengesetz als Rückschlag für die Demokratie. Mit der neuen Regelung würden die Errungenschaften der freien Presse und die Medienfreiheit erheblich eingeschränkt, sagte der Chefredakteur der in Wien erscheinenden "Europäischen Rundschau" am Dienstag im Deutschlandradio Kultur.
Vertreter der Regierung bemühten sich in den letzten Wochen, die Sorgen aus dem In- und Ausland zu zerstreuen. Das Gesetz bewege sich im Rahmen des europäischen Grundrechtekanons und der demokratischen Wertvorstellungen der EU, sagte Europastaatssekretär Gergely Pöhle der "Neuen Zürcher Zeitung". Zudem stehe es Betroffenen frei, Strafentscheidungen vor Gericht anzufechten.
Im Dezember hatte die Regierung Orbán bereits die Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verschärft. So sollen die Nachrichten- und politischen Magazinprogramme der Fernsehsender MTV und Duna TV, sowie des Radiosenders MR künftig zentral von der ungarischen Nachrichtenagentur MTI produziert werden.
Annamária Szalai, die Präsidentin der nun nahezu allmächtigen Kontrollbehörde NMHH, wurde vom Ministerpräsidenten bereits im August ernannt - und zwar für neun Jahre. Die deutschsprachige "Budapester Zeitung" erinnerte daran, dass die langjährige Vertraute von Viktor Orbán in den frühen Neunzigern Chefredakteurin der "Miami Press" war - eines Erotikmagazins.
Redner bei der Demonstration vor dem ungarischen Parlament sagten, die neue Mediengesetzgebung erinnere sie an die Ära von János Kádár, der 1956 den Volksaufstand niederschlagen ließ. Das Gesetz tritt am 1. Januar in Kraft - also just zu dem Zeitpunkt, an dem Ungarn turnusgemäß für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. "Mit dieser Form von Medienkontrolle würde uns die EU heute nicht mehr aufnehmen", sagte ein Demonstrant.
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Zwei von etwa 1500 Demonstranten vor dem ungarischen Parlament in Budapest: Protest gegen neues Mediengesetz
Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen: Die Opposition befürchtet, dass sich die Medien aus Angst vor hohen Bußgeldern einer Selbstzensur unterwerfen werde.
Über Facebook organisiert: Die Demonstranten verbaten sich die Teilnahme von Politikern, um ihre Unabhängigkeit zu unterstreichen.
Weiße Schilder: Die Protestplakate sind eine Anspielung auf einige Zeitungen und Zeitschriften, die aus Protest mit leeren Titelseiten erschienen waren.
Sprechverbot: Wie die Demonstranten fürchten auch internationale Organisationen, dass das neue Gesetz die Presse- und Meinungsfreiheit gefährden könnte.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán: Demonstranten verglichen sein mit der Zweidrittelmehrheit der Partei Fidesz verabschiedetes Mediengesetz mit den Verhältnissen unter dem moskautreuen Kommunisten Kádár.
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