

Emanzipation Pause ist nicht

Ich will ja auch nicht immer nur meckern, man muss schon sagen, in den vergangenen Jahrzehnten und Jahren ist einiges besser geworden im feministischen Sinne. Man kann öffentlich nicht mehr so leicht unwidersprochen behaupten, dass Frauen einfach lächelnd und schweigend kochen und putzen sollen, man muss sich gewählter ausdrücken. Gut, man muss nicht.
Man kann es halten wie der Leser, der mir schrieb: "In meiner Traumvorstellung schmierst du deinem Mann ein schönes Brot für die Mittagspause, in Polen." Oder wie der Leser, der mir schrieb, ich würde zu viel über Sexismus schreiben: "Und immer gibt es den einen Idioten, der sich als sexistischer Lauch hervortut, aber über die vielen normalen Männer, die ihre (sic) Frauen respektieren und als gleichberechtigt ansehen, reden wir nicht, schade eigentlich."
Das sind nur zwei Beispiele, ich könnte aber ein Vielfaches der Zeichenzahl, die ich hier zur Verfügung habe, füllen mit Forderungen, ich - oder wir Feministinnen, wir Frauen generell - sollte/n uns nicht immer beschweren, wenn mal etwas schiefläuft, also schiefläuft im Sinne von: Ungleichheit, Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen. Als würde irgendwer einem Mediziner, der Krankheiten erforscht, sagen: Da drüben steht ein Gesunder, du ignorante Sau.
Von Frauen werden immer noch andere Tugenden erwartet als von Männern, und von Frauen, die sich öffentlich äußern dürfen und gehört werden, noch wesentlich stärker: Dankbarkeit und Demut und die unbändige Freude darüber, überhaupt das Maul aufmachen zu dürfen.
Ein Leser schrieb mir: "Die Welt hat genug schlechte Nachrichten und Schlagzeilen. Und auch genug Nörgler über jedes Thema. Schreiben Sie mal auf, wofür Sie dankbar sind." Ein Mensch, der sich im Internet Nicole nennt, schrieb mir: "In meinen Augen sollten die Frauen und vor allem Sie wieder viel mehr Demut und Respekt gegenüber Männern aufbringen, die Ihr leichtes Lotterleben überhaupt ermöglichen. Bevor Sie sich wie bisher unreflektiert, görenhaft und peinlich in der Öffentlichkeit äußern, sollten Sie sofort zunächst einmal z.B. in einem Kloster in sich gehen und sich wieder melden, wenn man sie danach fragt, sind wir uns da einig?"
Feministinnen als performativer Widerspruch
Menschen schreiben mir regelmäßig - ungefähr täglich -, dass sie es, vornehm ausgedrückt, unfair finden, wenn Feministinnen immer so viel kritisieren und nicht auch dankbar sind. Gern auch: Dankbar für die vermeintlich vom Patriarchat persönlich entwickelten Dinge, die wir benutzen. (Zitat eines Lesers: "Das Hotelzimmer, in dem Du wohnst, hat übrigens das Patriarchat gebaut, genauso wie die kleinen elektronischen Helferlein, die du so gerne benutzt.")
Besonders dankbar sollen Feministinnen mit Migrationshintergrund sein. Wir sollen froh sein, in Deutschland zu leben, froh, in Europa zu leben. Denn wer nicht gerade an eine unterernährte Ziege angekettet im Schlamm liegt und ausgepeitscht wird, sollte auch mal das Schöne in der Welt sehen.
Dieses Feedback paart sich nicht selten mit der Arbeitshypothese, dass Feministinnen, die sich in Medien kritisch äußern dürfen, ein performativer Widerspruch sind.
Menschen fragen sich: Wie kann das sein? Dass die von Diskriminierung sprechen, aber auf der Startseite von meinem Browser? In meinem Fernseher? In den Öffentlich-Rechtlichen? Wie geht das zusammen? Sind diese Frauen nicht der Beweis dafür, dass Frauen heute alles dürfen?
"Moralisch suspekt"
Die Philosophin Kate Manne, die ich vor Kurzem schon mal zitiert habe, als es um Misogynie bei Linken und Rechten ging, erklärt frauenfeindliche Strukturen so, dass diejenigen, die an ihnen beteiligt sind, nicht unbedingt alle Frauen hassen oder verachten. Sie können einzelne Frauen lieben und verehren (gern die, die für sie sorgen oder mit ihnen schlafen) oder selbst Frauen sein.
Stattdessen gibt es in misogyn verfassten Gesellschaften eine "asymmetrische moralische Unterstützungsbeziehung" zwischen Frauen und Männern: "Männer (nicht unbedingt alle) glauben, dass Frauen (nicht unbedingt alle) ihnen bestimmte Dienste und Fähigkeiten schulden, und zwar mehr als umgekehrt."
Diese Dienste und Fähigkeiten sind: moralischer Respekt, Anerkennung, Bewunderung, Hochachtung und Dankbarkeit sowie moralische Aufmerksamkeit, Sympathie und Fürsorge. Wer das als Frau nicht leistet, gibt manchen Männern das Gefühl, ihnen etwas zu verwehren, worauf sie Anspruch hätten.
Daraus entspringt laut Kate Manne eine Haltung, nach der Frauen und speziell Feministinnen "moralisch suspekt" sind: "Sie sind nicht fürsorglich und aufmerksam genug ( ), sie streben verbotenerweise nach Macht, auf die sie keinen Anspruch haben; und sie gelten aufgrund der ( ...) Verletzungen der Rollenerwartungen als moralisch nicht vertrauenswürdig."
Viel erreicht, jetzt erst mal sacken lassen
Die Idee, dass Menschen, die immer wieder Ungerechtigkeit kritisieren, sich irgendwie verdächtig verhalten, gibt es nicht nur als Vorwurf gegen Frauen, sondern auch allgemeiner von Reaktionären gegen Linke und Minderheiten. Thea Dorn schreibt in der aktuellen "Zeit" darüber, dass jetzt langsam mal gut ist. Diejenigen, "denen traditionell mit Intoleranz begegnet wurde", seien heute oft selbst intolerant. Sie fragt - und fragen wird ja wohl noch erlaubt sein -, ob wir die Gesellschaft nicht so beschreiben wollen, "dass viele emanzipatorische Erfolge errungen sind und es nun zunächst einmal darum gehen muss, denjenigen, die von diesen Erfolgen nicht profitiert haben und deren einstige soziale Gewissheiten und Ordnungsvorstellungen erschüttert worden sind - dass wir diesen Teilen unserer Gesellschaft Zeit geben, sich erst einmal mit den bisherigen Veränderungen zu arrangieren?"
Dabei geht es ihr nicht um extravagante Genderschreibweisen oder ähnliches. Als Beispiele für das, was man erst mal sacken lassen sollte, nennt Dorn: dass Homosexualität in Deutschland nicht mehr strafbar ist, dass Homosexuelle heute mehr Rechte haben, dass Männer ihren Ehefrauen keine Berufstätigkeit mehr verbieten dürfen, dass Vergewaltigung in der Ehe inzwischen als Straftat gilt, dass die Kinder von "Gastarbeitern" mitunter deutsche Staatsbürgerschaften haben, dass es eine dritte Option des Geschlechtseintrags gibt. Die "Emanzipationsgewinner", auch sie selbst, würden "bisweilen vergessen, wie viel wir in relativ kurzer Zeit erreicht haben. Und wie wenig selbstverständlich dies ist."
Mit Tempolimit Richtung Zukunft
Ich glaube nicht, dass Homosexuelle schon vergessen haben, dass sie bis vor Kurzem nicht alle Grundrechte hatten. Vor allem aber glaube ich nicht, dass es eine angemessene Vorstellung sozialen Wandels und politischer Bewegungen ist, es könnte irgendwann einen Punkt geben, an dem man sagt: So, Päuschen, reicht jetzt auch mal; erstmal alle, die noch minderheitenfeindliche Positionen haben, in Ruhe ankommen lassen. In "Toleranz" stecke, so Dorn, das lateinische "tolerare", "erdulden", und das müsse auch das "aufmüpfig-selbstbewusste Individuum" mal schnallen. Leider entgeht Dorn, dass Feministinnen, Homosexuelle, von Rassismus Betroffene, geschlechtlich nicht binäre Menschen einen Großteil der Zeit eh schon am Erdulden sind, sonst wären sie in dieser Gesellschaft gar nicht überlebensfähig.
"Klüger, weil integrierender, wäre es", schreibt Thea Dorn, "Bürger mit eher traditionellen Wertvorstellungen nicht als Geisterfahrer zu deklarieren, sondern davon auszugehen, dass auch sie Richtung Zukunft fahren, dabei allerdings für ein Tempolimit plädieren." Apropos: Im selben Duktus unterstellt Ulf Poschardt auf "Welt Online" mir und einem "taz"-Autor "Auslöschungs- und Bestrafungsfantasien". Ein origineller Dreh, den auch diejenigen gern benutzen, die von "Feminnazis" schreiben und damit zeigen wollen, wer die eigentlich Totalitären sind.
In Wien wurde kürzlich eine Frau mit Kopftuch auf der Straße rassistisch beleidigt und angespuckt. Als ein Video davon verbreitet wurde und viele Menschen das Verhalten der Angreiferin kritisierten, gab es zahlreiche Kommentare auch von solchen, die sich als "linksliberal" (eh oft ein Witz) bezeichnen. Im "Standard" schrieb der Ressortleiter für Innenpolitik: "Wenn der Mob online erst marschiert, ist er kaum noch aufzuhalten."
Die Täterin - im verbreiteten Video übrigens anonymisiert - sei "eine psychisch derangierte Person": "Da werden eben Frauen mit Kopftuch attackiert, da fällt die Meute auch über verwirrte Personen her. In der Radikalisierung der Standpunkte werden alle zu Opfern."
Es ist ein alter Trick von "Liberalen", so zu tun, als seien diejenigen, die gegen Sexismus und Rassismus kämpfen, die eigentlichen Feinde der Demokratie, die eigentlichen Nazis. Ein Trick, sie als verlogen und moralisch unglaubwürdig dastehen zu lassen, würde Kate Manne sagen. Peinlich ohne Ende, würde ich noch hinzufügen.