S.P.O.N. - Fragen Sie Frau Sibylle Die Zukunft ist da, die Buchbranche woanders
Amazon. Wähh bähh, Amazon. Der Feind. Offene Briefe schreiben, Amazon-Schilder verbrennen auf öffentlichen Plätzen, Texte über den Untergang des Kulturgutes Buch verfassen, weinen. Und weitermachen wie bisher. Wer ist das? Unsere Buchindustrie? Es gibt sicher Ausnahmen, die ich bewusst ignoriere - so macht man das in Zeitungen, um steile Thesen aufzustellen. Die These heute: Die Zukunft, vor der wir gewarnt wurden, ist da, die Buchbranche woanders.
Die gute alte Zeit der Verlegerpatriarchen mit Zigarren und einer unbändigen Liebe zum Buch, den leicht vertrottelten, weltfremden Autor, der vom Verleger durchgefüttert wurde und von dem man alles Weltliche fernzuhalten hatte, den autoritären Buchhändler - sie gibt es nicht mehr. Die meisten Unternehmen rund um das Buch sind in einer Art Zwischenwelt eingefroren. Sie betrauern die alten Zeiten und fürchten sich vor den neuen. Sie betrachten den Autor, die Autorin nicht als Geschäftspartner, sondern immer noch als pathologisches Ausnahmelebewesen, erwarten aber, dass der Schreibende sich selber vermarktet. Und ansonsten wissen die meisten auch nicht weiter.
Die Zukunft: irgendwas mit Internet oder E-Book. Lasst uns lieber in eine Erdhöhle gehen und abwarten, die Vertreter werden es schon richten. Vertreter? Ein wichtiger Beruf der Buchbranche, wie wir sie kennen. Aber wem verkaufen sie E-Books? Statt sich zusammenzusetzen angesichts der ernsthaften Bedrohung von Verlag und Handel durch Amazon und zum Beispiel eine Gegenplattform zu gründen, an der alle deutschsprachigen Verlage beteiligt sind, kauert man in der Erdhöhle und reagiert immer ein paar Schritte hinter der neuen Zeit. Von der natürlich keiner weiß, wohin sie sich entwickelt, sonst wären der Buchhandel und Verlag und die Autoren ja reich. Sind sie aber nicht, sie krebsen weiter, verkaufen weniger, haben Angst.
Seid mutig!
Ich glaube, dass auch in Zukunft nicht jeder Danielle Steel und "Shades of Grey" lesen will, dass auch immer noch Menschen gedruckte Bücher besitzen wollen, vielleicht ein paar weniger. Aber ob es die richtige Antwort ist, der Krise mit einem inflationären Herausschleudern unfertiger junger Autoren zu begegnen, die weder gepflegt werden noch Zeit haben, sich in Ruhe zu entwickeln, bezweifle ich.
Liebe Buchbranche, raune ich allwissend, statt der Krise mit Sparmaßnahmen und Angst zu begegnen, seid mutig. Begrüßt die neue Zeit mit einer Rose im Mund, redet mit Computercracks, hechelt nicht hinterher, sondern geht voraus. Bevormundet eure Autoren nicht und haltet sie nicht für Idioten, wenngleich viele das auch sein mögen. Geht mit dem "Bild"-Chef, dessen Name mir immer entfällt, ins Silicon Valley, überlegt euch, wie die Zukunft aussehen kann, und betrauert nicht die Vergangenheit.
Auch in zehn Jahren wollen Menschen noch Bücher lesen, in welcher Form ist doch vollkommen egal. Menschen müssen Zeit haben, Bücher zu schreiben, lieber Buchhandel. Mit eurem Prinzip, den Musikmarkt nachzuahmen, einem neuen Buch einen Monat in den Läden zu geben, ehe es im Keller verschwindet, und der Uninformiertheit mancher Mitarbeiter - besonders bei den großen Ketten - habt ihr euch selber ins Knie geschossen. Setzt wieder auf Qualität, dann wird es vielleicht was mit dem Überleben. Das war das Wort zum Wochenende.
