Sven Regeners Buchmesse-Blog "Irgendwas mit Sex sollte man schreiben"
14. Oktober 2008
Der Tag davor
oder:
Mütze auf, wenn der Preis kommt
12.36 Uhr: Ich packte gerade die Medikamententasche für die Buchmesse (Aspirin, Ibuprofen, Paracetamol, Alka Selzer, Talcid, Vitamin C, Nasenspray, Mobilat, Bepanthen, Maaloxan, Jodsalbe, Gummihandschuhe, Amoxicillin, Erythromycin, Doxycylin, Hansaplast), als Hamburg-Heiner anrief.
Sven: Hamburg-Heiner, du!
Hamburg-Heiner: Ich hab gehört, es geht wieder los.
Sven: Du meinst die Bloggerei?
HH: Ja. "Herr Lehmann bloggt", heißt es im SPIEGEL.
Sven: Naja, aber sie haben "Herr Lehmann" in Anführungszeichen gesetzt, immerhin, mehr erwartet man ja schon gar nicht mehr.
HH: Ich auch.
Sven: Das hätte bei dir aber zweimal in Anführungszeichen gemusst, also "'Herr Lehmann' bloggt"!
HH: Das ist kleinlich und stumpf, Kamerad. Und was ist da los beim Deutschen Buchpreis?
Sven: Wieso? Ist doch alles in Ordnung. Das dickste Buch bekam am meisten Geld, das ist doch logisch.
HH: Aber zehnmal so viel wie die anderen, kann mir doch keiner sagen, dass das logisch ist.
Sven: Nein, ich meine die Richtung stimmt, proportional gesehen ist das natürlich nicht logisch, da sollte man mal auf der Buchmesse ein Panel drüber machen. Überhaupt, ich bin gar nicht auf ein Panel eingeladen. So wegen Kindle oder so, eigentlich komisch, normalerweise wird man doch auch immer mal auf ein Panel eingeladen ...
HH: Kindl, sowas kann doch kein Mensch trinken, das ist ja noch schlimmer als Schultheiss.
Sven: Mein Reden.
HH: Ich hab den SPIEGEL gerade hier, wegen Preise und so: Guck dir mal die ersten fünf Bücher in der Bestseller-Liste an, da geht doch alles drunter und drüber: Charlotte Roche: 14,90, Ildikó von Kürthy: 17,90, Sven Regener: 19,95, Paulo Coelho: 19,90, Ken Follet: 24,95.
Sven: Ja und? Das ist doch ziemlich gleichmäßig!
HH: Ja, aber jetzt die Seitenzahlen: Charlotte Roche: 220, Ildikó von Kürthy: 256, Sven Regener: 281, Paulo Coelho: 240, Ken Follet: 1120, tu dir das mal rein!
Sven: Ja und?
HH: Das macht pro Seite in Cent: Charlotte Roche: 6,77, Ildikó von Kürthy: 6,84, Sven Regener: 7,10, Paulo Coelho: 8,29, Ken Follet: 2,23. Am Ende aufgerundet, ich meine auf den Hundertstel-Cent.
Sven: Den oder das Cent?
HH: Keine Ahnung, ich bin innerlich immer noch bei Pfennig, aber aus dem Jahr 1982, dann passt das wieder ganz genau, so preislich.
Sven: Stark!
HH: Ja. Jedenfalls: Oberflächlich betrachtet ist die Sache ganz einfach: Die Plazierung ist umso höher, je billiger das Buch pro Seite ist, jedenfalls bei den ersten vier. Nur Ken Follet passt da nicht so rein.
Sven: Das ist ja auch Dumping, das kommt dann wahrscheinlich nicht mehr so gut an.
HH: Ich glaube: "Gehe nie über 20 Euro", das ist die Regel.
Sven: Ja, aber da ist mir noch was aufgefallen.
HH: Was denn?
Sven: Die Preisgestaltung: Roche, v. Kürthy und Coelho alle am Ende mit 90 Cent, aber Regener und Follet: 95 Cent. Das ist irgendwie stark. Da kommt es auf die fünf Cent auch noch an. Nichts mit bourgeoisem Laissez-faire, nichts mit: "Behalten Sie den Rest" und so, sondern schön: "Die fünf Cent hätte ich bitte auch noch gern."
HH: Das liegt ja auch an den Verlagen: Eichborn, Lübbe, das sind brave, gute Trash-Verlage, das sind Verlage, die sich noch an die Arbeiterklasse richten und wo für ehrliches Schreiben und ehrliches Drucken noch ehrliches Geld verlangt wird. Die haben nichts zu verschenken.
Sven: Noch besser wäre gewesen: "Der kleine Bruder": 19,99.
HH: Das hätte die Buchhändler aber gezwungen, jede Menge Ein-Cent-Münzen vorzuhalten.
Sven: Vorhalten, das ist überhaupt ein Wort, das in den letzten fünf Jahren erst aufgetaucht ist, vorher gab es das in dieser Bedeutung nicht, glaube ich.
HH: Eigentlich ein Begriff aus der Harmonielehre, Vorhalt.
(Anmerkung S.R.: Man muss nämlich wissen, dass HH und ich früher gemeinsam in Hamburg Musikwissenschaften studiert und gemeinsam die Kurse Harmonielehre 1, 2 und 3 besucht haben, wobei Hamburg-Heiner zwar die besseren Zensuren, ich dafür die unkonventionelleren Lösungen gehabt hatte, aber das nur am Rande!)
Sven: Das schweift jetzt zu weit ab.
HH: Okay, nur dies noch: Hast du die Mütze gesehen?
Sven: Welche Mütze?
HH: Die von Uwe Tellkamp auf dem dpa-Foto, das auf SPIEGEL ONLINE zu sehen ist.
Sven: Diese barettähnliche Sause da auf seinem Kopf?
HH: Ja, die ist toll, die hat sowas "Panzerkreuzer Potemkin"-haftes und kontrastiert so schön mit der Krawatte - ich meine, das hat Pfiff.
Sven: Ob das Gestreifte, ob das echtes Zebra ist?
HH: Das sei mal dahingestellt. Warum ich das aufbringe: Das könnte der Beginn eines neuen Trends sein.
Sven: Wie meinst du das?
HH: Vielleicht war es gar nicht der Preis pro Seite, obwohl Tellkamp da auch von allen Kandidaten am besten abschneidet, 2,54 Cent, das ist fast schon so gut wie Ken Follet, aber nein, vielleicht war es ja die Mütze.
Sven: Das wäre allerdings der Hammer.
HH: Der Hammer ist immer schon eine schlechte Metapher gewesen, außer im Heavy Metal, Sven! Weißt du schon, was du in deinem Blog schreiben willst?
Sven: Irgendwas Erbauendes. Was die Leute aufrichtet in schwerer Zeit. Was man da so erlebt auf der Buchmesse und so. In kurzen, knappen Sätzen. Die trotzdem schön sind.
Oder ich schreib
Es untereinander
Dann
Ist es ein
Gedicht.
HH: Was willst du da schon groß erleben?
Sven: Keine Ahnung, irgendwas mit Sex sollte man schreiben, das ist gerade bei Blogs wichtig, damit das bei den Suchmaschinen vorne mit reinkommt, wenn die Leute nach Sex fragen.
HH: Was hast du denn vor auf der Buchmesse?
Sven: Ich hab die ganze Zeit Interviews, und Arte filmt mich dabei und so.
HH: Das ist doch total öde.
Sven: Ja, gut, aber es gibt auch noch die Arno-Schmidt-Gesellschaft, die haben immer einen schönen Stand gehabt in den letzten Jahren. Da könnte man mal von berichten. Vielleicht kommt da ja auch mal der J. P. Reemtsma vorbei.
HH: Der kommt ganz gewiss nicht. Und wenn, dann ohne Bart, und dann erkennt ihn keiner.
Sven: Vielleicht könnte ich ja auch mal den Simmelwitz erzählen.
HH: Sven!
Sven: Was denn?
HH: Nicht den Simmelwitz erzählen, hast du verstanden? Auf keinen Fall den Simmelwitz.
Sven: Aber ich dachte ...
HH: Nein!
Sven: Aber ...
HH: Nein!
Sven: Ich ...
HH: Nein. Nicht den Simmelwitz.
Sven: Okay.
HH: Nicht den Simmelwitz.
Sven: Okay. Ist ja gut.
HH: Auf keinen Fall.
Sven: Okay, okay.
HH: Ich muss dann mal wieder raus, den Wasserstand beobachten.
Sven: Viel Glück. Und Gummistiefel nicht vergessen.
HH: Worauf du einen lassen kannst.
Und dann legte er auf. Schön, dass er wieder da ist, der alte, treue Freund. Aber er ist neuerdings etwas nervös, er hat sich eine Eigentumswohnung auf der Veddel gekauft, weil das in Hamburg das kommende Viertel ist usw. usf., und jetzt hat er Angst vor Hochwasser wegen der Klimakatastrophe. So kann auch Immobilienbesitz zum Fluch werden.
Ich hab dann weitergepackt. Und noch etwas Valium dazugelegt. Die Buchmesse regt einen ja schon im Vorfeld immer so auf ...