Neue Krimis von Karin Slaughter Wenn Hardcore-Machos Angst bekommen

Autorin Karin Slaughter: bietet weit mehr als unterhaltenden Thrill
Foto: Karin SlaughterSie gilt als Paradebeispiel für vieles, das falsch läuft in der aktuellen Krimi-Produktion: Karin Slaughter, heißt es, schreibe Serienthriller nach Bestseller-Baukastenweise, brutal, blutig, belanglos. Ekliger Schund oder gut gemachte, aber triviale Unterhaltung, je nach Standpunkt. Zeit umzudenken: Mit "Cop Town - Stadt der Angst" und "Pretty Girls" kommen zwei neue Romane der US-Schriftstellerin auf den deutschen Markt, die weit mehr bieten als spekulativen Thrill.
Vor 40 Jahren lässt Slaughter ihren Roman "Cop Town" spielen, und dennoch hat sie nicht nur einen historischen Roman geschrieben, geht es ihr nicht um Nostalgieproduktion. Misogynie, Homophobie, Rassismus und Korruption mögen heute nicht mehr so weit verbreitet und ganz bestimmt nicht mehr so offensichtlich sein wie im Atlanta des Jahres 1974 - ein massives Problem sind sie nicht nur dort auch heute noch.
Slaughter nimmt uns mit in eine Zeit, in der Männer so wortkarg und cool sein wollen wie der Filmschauspieler Steve McQueen und Frauen in deren Augen so sexy und jederzeit verfügbar sein sollen wie "Deep Throat"-Star Linda Lovelace. Doch Mitte der Siebzigerjahre beginnen die alten Gewissheiten zu bröckeln, die Welt hat sich bereits verändert, auch wenn das in der Südstaatenmetropole noch nicht so ganz angekommen ist.
Vor allem nicht bei den weißen Cops, die sich immer noch aufführen wie verzogene Prinzen der Stadt - aber nicht damit klarkommen, dass sie inzwischen für einen schwarzen Bürgermeister arbeiten und ihr jahrzehntealtes System der Vetternwirtschaft nicht mehr so reibungslos funktioniert wie gewohnt. Bei der Polizei von Atlanta herrscht auch zehn Jahre nach dem Civil Rights Act und der Abschaffung der Segregation noch eine strikte Trennung zwischen Weiß und Schwarz. Einig sind die beiden Fraktionen sich nur in einer Sache: Frauen haben bei der Polizei nichts zu suchen.
Polizeiroman mit subversiver Erzählstrategie
"Sie wichsten in meine Handtasche. Pissten in meine Schuhe. Schissen in meinen Kofferraum": Das erzählt eine erfahrene Polizistin dem Rookie-Cop Kate über ihre eigene Anfangszeit beim Atlanta Police Department, nachdem Kate schon nach wenigen Tagen hinschmeißen will. Die Lektion: Wenn du dich durchsetzen willst, musst du noch tougher sein als deine männlichen Kollegen. Doch Kate sucht ihren ganz eigenen Weg, will etwas verändern, sich nicht einfach anpassen. Ebenso wie Maggie, die aus einer klassischen Cop-Familie stammt und irgendwann ihrem Onkel, einem knallharten Karrierepolizisten und Hardcore-Macho, sagen wird: "Die Welt dreht sich nicht nur immer weiter - sie lässt dich dabei auch stehen."
Maggie und Kate mischen sich gegen den Willen ihrer männlichen Kollegen in die Jagd auf einen Cop-Killer ein. Während man im Department überzeugt davon ist, dass der Täter ein schwarzer Drogensüchtiger sein müsse, der aus Hass auf die Weißen agiert, finden die beiden Frauen ein ganz anderes denkbares Motiv: Die ermordeten Cops waren möglicherweise heimliche Homosexuelle. Doch das darf nicht sein in einer Gesellschaft, in der es als männlich gilt, Frauen physisch und verbal zu erniedrigen, und das Schlimmste, das einem Mann passieren kann, ist, dass man ihn für schwul hält.
"Cop Town" ist ein Polizeiroman mit einer geradezu subversiven Erzählstrategie: Slaughter bedient sich bei den Konventionen des buddy movie, dem männlichsten aller Filmgenres, und stellt diese auf den Kopf, indem sie Frauen in den Männerrollen besetzt und die Männer als läppische (aber nicht ungefährliche) Macker inszeniert, die hinter Bierdosen und Zoten ihre Angst und Verunsicherung nur noch mühsam verbergen können. Dabei verpackt sie nicht nur Gender-Fragen in eine extrem spannende Erzählung, sondern beweist auch einen Sinn für Sozialgeografie, zeigt bis ins Detail, wie die Stadt vertikal und horizontal funktioniert - oder eben nicht. Damit leistet Karin Slaughter für Atlanta nicht weniger als David Simon mit "The Wire" für Baltimore oder Richard Price mit seinen Polizeiromanen für New York.
Mit "Pretty Girls" erscheint in Deutschland aufgrund eines Verlagswechsels (von Blanvalet zu Harper Collins Germany) fast zeitgleich ein zweiter Roman von Karin Slaughter. Eine Koinzidenz, die für die Verkaufszahlen ungünstig sein dürfte, aber für den Leser ihren Reiz hat.
Denn auch wenn "Pretty Girls" eine wesentlich dichter an konventionellen Thrillern geschulte Geschichte erzählt, gibt es interessante Parallelen. Auch hier schreibt Slaughter über zwei Frauen, die lernen müssen, sich in einer Männergesellschaft zu behaupten. Claire und Lydia sind Schwestern, die in einen - mitunter arg überkonstruierten - Plot hineingezogen werden, bei dem es um Snuff Movies geht, Filme, bei denen vor laufender Kamera Frauen gefoltert, vergewaltigt und ermordet werden.
Das klingt spekulativer, als es dann ist: Bei der Darstellung von Gewalt bleibt Slaughter vergleichsweise dezent, die größte Stärke des Romans liegt in der Empathie, mit der sie von der sukzessiven Wiederannäherung zweier Frauen erzählt, die aufgrund eines traumatischen Erlebnisses in ihrer Jugend - die dritte Schwester verschwand spurlos - sich selbst und einander jahrzehntelang entfremdet waren.

Karen Slaughter:
Cop Town
Stadt der Angst
Aus dem Amerikanischen von Klaus Berr.
Blanvalet;
544 Seiten; 14,99 Euro

Karen Slaughter:
Pretty Girls
Aus dem Amerikanischen von Fred Kinzel.
Harper Collins;
500 Seiten; 19,90 Euro