"Radfahrer verpesten die Umwelt mit ihrer Vorbildlichkeit": Leander Steinkopf legt eine bitterböse Abrechnung mit der Hauptstadt der Hipster und Alternativkultur vor.
Foto: Martin Popp / Eyeem/ Getty Images/EyeEm Premium
Wenn die Welt eines nicht braucht, dann noch weitere literarische Berlin-Lobhudeleien. Zumindest keine über Bio-Hipster, Kreuzberger Alternativkultur und überhaupt das unendliche Feel-good-Klima mit Feierabendbier an der Spree.
All dies vermittelt Leander Steinkopfs Debüt mit dem ironischen Titel "Stadt der Feen und Wünsche" glücklicherweise nicht. Statt mit gespielter Begeisterung begegnet er Deutschlands politischem und kulturellem Zentrum mit bitterbösem Sarkasmus, der ein ganz neues Genre begründet: die Anti-Berlin-Erzählung.
Und wer könnte besser all die vermeintliche Schönheit zertrümmern als ein waschechter Dandy? Mit dem Ich-Erzähler lernen wir einen ernüchterten Endzwanziger kennen, der zwischen den Hauptstadtpartys, Türken-Märkten und bierversifften Spielplätzen sämtliche Illusionen über den Haufen geworfen hat.
Mit zwei Frauen pflegt er Beziehungen, die man zeittypisch als "kompliziert" beschreiben würde. Hier und dort landet er in Cafés oder bummelt durch Parkanlagen und Einkaufsmeilen. Obgleich sein Blick jenem des Flaneurs entspricht, wie er uns prototypisch etwa im 19. Jahrhundert bei Proust begegnete, mangelt es ihm an jeglicher Bewunderung für seine Umgebung. Ästhetischer Genuss an den Kleinigkeiten des Alltags? No way.
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Vielmehr überzieht der Misanthrop die urbane Romantik mit allerlei Häme: Berlin gleicht einer riesigen Betäubungsshow für Glückssucher und Psychopathen gleichermaßen, versteht sich als ein Biotop für nervige Weltverbesserer, gerade "die Radfahrer verpesten die Umwelt mit ihrer Vorbildlichkeit", zudem kleben überall Plakate mit Gesundheits- und Bildungskampagnen.
Nicht einmal Liebeleien kommen hier gut weg. Als der Ich-Erzähler beispielsweise die Anbandelung zweier Zeitgenossen schildert, entlarvt er spöttisch die scheinbare Einzigartigkeit des Moments. Die Umarmung geht über in ein Küssen, "und sie wird mit ihrer Zunge mechanisch in seinem Mund herumwühlen, wie ein Bagger, der eine Grube aushebt" - Wumms!
Manche Seelen passen nicht in die Konfektionsware
So amüsant wie radikal verderblich arbeitet sich Steinkopf an einem konstruierten Individualismus ab, der im Kern längst zum Mainstream geworden ist. Seien es alte, nun wieder moderne Modetrends oder scheinbar exklusive Musik - alles erweist sich als austauschbar.
Da überrascht es kaum, dass der Autor sich stets der Sprache der Ökonomie bedient, um die Kreisläufe des Immerselben zu erfassen. Nicht einmal vor dem Inneren der Persönlichkeit macht die Konsum- und Verwertungslogik halt: "Mit den Seelen ist es wie mit den Körpern, manche passen einfach nicht in die Konfektionsware [...]. Und weil die Welt sich nicht wandeln wird, muss man sich selbst anpassen, hält die Seele mit Hosenträgern oben, dass man sie nicht verliert".
Leander Steinkopf
Foto: Peter-Andreas Hassiepen
Ähnlich dem genialen Generationenporträt "Sieben Nächte" (2017) von Simon Strauß zeichnet auch der 1985 geborene Journalist und Schriftsteller Steinkopf in seinem Erstling gekonnt die Bruchstellen einer jungen, städtischen Mittelschicht nach, die nicht müde wird, sich unentwegt mit sich selbst zu beschäftigen und zu bespaßen, um nicht am eigenen Relativismus zu verzweifeln. Vom Zauber Berlins, wie ihn zuletzt wohl Ilma Rakusa mit ihrem luziden Tagebuch "Aufgerissene Blicke" (2013) noch festhielt, bleibt in "Stadt der Feen und Wünsche" nur noch eine Schimäre übrig, ein Trugbild.
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Erbaulich mutet das nicht an. Aber mit derselben Intensität, mit der andere die Metropole im Herzen Europas noch immer stilisieren, schreibt Steinkopf sie enthusiastisch nieder. Erinnernd an Thomas Bernhards prosaische Hasstiraden hat er ein Buch voller zynischer Energie verfasst, die einen packt, mitreißt, oft zum Widerstand provoziert. Man wird einer keifenden Abrechnung gewahr, bitterböse und gallig vom ersten bis zum letzten Wort. Dabei bemerken wir, wie ungemein sympathisch die Freude an der Zerstörung sein kann.