Erfundene Zitate Darum geht es in dem Fall Robert Menasse

Robert Menasse
Foto: Arne Dedert/ picture alliance/dpaDer österreichische Autor Robert Menasse tritt in seinen Schriften und Reden vehement für die europäische Idee ein, zuletzt in seinem in Brüssel spielenden Roman "Die Hauptstadt". Doch offenbar erfand er in Interviews Zitate und Sachzusammenhänge, um für mehr Europa zu werben. Die rheinland-pfälzische Landesregierung prüft nun, ob sie ihm wie geplant die Carl-Zuckmayer-Medaille verleihen kann, der Künstler entschuldigte sich mittlerweile.
Worum geht es genau?
Robert Menasse hat über Jahre den Europapolitiker Walter Hallstein mit angeblichen Aussagen zitiert, die erwiesenermaßen erfunden sind. Laut Menasse soll Hallstein, der 1958 der erste Präsident der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wurde, gesagt haben: "Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee." Zuerst verbreitete Menasse diesen Satz 2013 in zwei Essays, die er gemeinsam mit Ulrike Guérot schrieb, einer Professorin für Europapolitik. Die Texte erschienen in der FAZ und der österreichischen "Presse".
Zwei weitere Sätze schrieb Menasse Hallstein zu, die dieser nachweislich nie gesagt hat: "Das Ziel des europäischen Einigungsprozesses ist die Überwindung der Nationalstaaten." Und: "Ziel ist und bleibt die Überwindung der Nation und die Organisation eines nachnationalen Europa." Die angeblichen Zitate finden sich unter anderem in Reden, die Menasse im Jahr 2017 hielt.
Im Dezember 2017 behauptete Robert Menasse zusätzlich, Hallstein habe seine Antrittsrede als EWG-Präsident 1958 in Auschwitz gehalten. Auch das ist nachweislich falsch.
Wann flog der Schwindel auf?
Der Historiker Heinrich August Winkler bezweifelte bereits 2017 im SPIEGEL die Echtheit von Menasses Hallstein-Zitaten. Winkler schrieb: "Falls Guérot und Menasse sich auf Quellen stützen können, die der bisherigen Forschung nicht bekannt waren, sollten sie diese nennen. Solange es keine belastbaren Belege für die Hallstein zugeschriebenen Zitate gibt, müssen diese als apokryph, das heißt als unecht, gelten." Winkler führte in dem Text (Lesen Sie ihn hier in voller Länge) auch aus, warum die politische Person Hallstein durch die falschen Zitate nicht angemessen dargestellt wird.
Winklers Text blieb allerdings folgenlos, bis "Die Welt" den Fall im Dezember 2018 aufgriff. Ein "Welt"-Redakteur hatte nach Angaben der Zeitung ein angebliches Hallstein-Zitat ungeprüft übernommen, Winkler fragte ihn telefonisch nach der Quelle. Robert Menasse räumte daraufhin gegenüber dem Redakteur ein, die Zitate erfunden zu haben.
Wie rechtfertigt sich Menasse?
Gegenüber der "Welt" schrieb Menasse zu der fraglichen Stelle: "Die Quelle (Römische Rede) ist korrekt. Der Sinn ist korrekt. Die Wahrheit ist belegbar. Die These ist fruchtbar. Was fehlt, ist das Geringste: das Wortwörtliche." Er habe "eine Diskussion provoziert und einen Denkraum des Möglichen eröffnet, den es vorher nicht gab, einfach dadurch, dass ich eine Autorität zu meinem Kronzeugen erklärt habe, der nichts dagegen gehabt hätte". Ein freier Umgang mit Quellen sei für Journalisten und Wissenschaftler tatsächlich nicht zulässig, so Menasse weiter. Für Dichter gelte das aber nicht.
In der "Welt", die am Samstag erscheint, entschuldigt Menasse sich nach Angaben der Zeitung: Die Anführungszeichen seien ein Fehler gewesen. Menasse bezeichnete demnach die Kritik an seinem Umgang mit Zitaten aber auch als "künstliche Aufregung". Ulrike Guérot nahm zu dem Sachverhalt ebenfalls Stellung. Sie habe Teile zu den Artikeln beigetragen, aber die von Menasse beigesteuerten Zitate nicht überprüft. Im Nachhinein sei es dumm gewesen, das nicht zu tun.
Ist der SPIEGEL von den falschen Zitaten betroffen?
In der Ausgabe 42/2017 verwendete Jakob Augstein in einer SPIEGEL-Kolumne das angebliche Hallstein-Zitat "Ziel ist und bleibt die Überwindung der Nationen und die Organisation eines nachnationalen Europas." Er schränkte dabei aber ein, Hallstein "solle" das so gesagt haben. Winkler erwähnte diese Verwendung in seinem SPIEGEL-Text über Menasse.
Wie geht es nun weiter?
Am 18. Januar soll Robert Menasse die Carl-Zuckmayer-Medaille verliehen werden. Der Preis wird von der rheinland-pfälzischen Landesregierung für "Verdienste um die deutsche Sprache und um das künstlerische Wort" vergeben. Laut einer Sprecherin der Staatskanzlei in Mainz seien derzeit Gespräche mit allen Beteiligten im Gange: "Aufgrund der Debatte um umstrittene Äußerungen des österreichischen Schriftstellers Robert Menasse suchen wir das Gespräch mit dem Autor und den Mitgliedern der Fachkommission, die ihn als Preisträger vorgeschlagen hatte, um den Sachverhalt zu prüfen." Der rheinland-pfälzische CDU-Fraktionschef Christian Baldauf forderte, Menasse dürfe die Zuckmayer-Medaille nicht erhalten.
Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version des Artikels bezeichneten wir Ulrike Guérot als Professorin für Europarecht, in Wirklichkeit ist sie Professorin für Europapolitik. Wir habe den Fehler korrigiert.