Zoff bei Buchmessen-Symposium: Chinesische Delegation sorgt für Eklat

Von Anne Seith, Frankfurt am Main

Schon beim Vorab-Symposium zur Frankfurter Buchmesse kommt es zu Tumulten: Als zwei kritische Autoren ein Statement abgeben wollen, verlässt die offizielle chinesische Delegation den Raum. Die Diskussionen über Meinungsfreiheit mit dem diesjährigen Ehrengastland drohen, hitzig zu werden.

Autoren Bei Ling (l.) und Dai Qin: Schwieriger Dialog mit den Landsleuten Zur Großansicht
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Autoren Bei Ling (l.) und Dai Qin: Schwieriger Dialog mit den Landsleuten

Als die Dissidenten Dai Qing und Bei Ling auf die Bühne gerufen werden, ist das Maß offensichtlich voll. Die Mitglieder der offiziellen chinesischen Delegation stehen schweigend von ihren Plätze in der ersten Reihe auf, verlassen ohne ein Wort den Saal. Einen Moment lang herrscht entsetzte Stille. Dann versucht Herbert Wiesner, Generalsekretär der Schriftstellervereinigung PEN, den Eklat noch zu verhindern. "Das ist die falsche Demonstration", ruft er vom Podium aus. "Das ist wirklich nicht kooperativ."

Buchmesse-Chef Juergen Boos, der gemeinsam mit Wiesner und den Autoren Dai Qing und Bei Ling auf der Bühne sitzt, schweigt betreten. Erst auf Nachfrage erklärt er kleinlaut: "Ich bin sehr enttäuscht." Katastrophaler hätte der Auftakt wohl kaum sein können.

Dabei sollte das zweitägige Symposium "China und die Welt - Wahrnehmung und Wirklichkeit" eigentlich genau das Gegenteil bewirken. Vorurteile abbauen. Diskussion möglich machen. Die Veranstaltung wurde gemeinsam von der Buchmesse und dem diesjährigen Ehrengast China organisiert.

Doch schon die Vorbereitung läuft aus dem Ruder. Bei der Gästeliste kommt es zu einem beschämenden Hin und Her. Nach einem Einspruch der chinesischen Partner macht die Buchmesse eine Einladung an die Regimekritiker Dai Qing und Bei Ling rückgängig. Das öffentliche Echo ist fatal, von "Selbstzensur" ist die Rede. Die Buchmesse lasse sich schon vor Messebeginn einschüchtern.

Alles dreht sich um Dai und Bei

Zum Symposiumsbeginn scheint Boos die Sache kurzzeitig im Griff zu haben. Er ist zurückgerudert, hat sich öffentlich und ausführlich entschuldigt. Die Buchmesse sei ein "Marktplatz der Freiheit", erklärt der 48-Jährige auch im SPIEGEL-Interview. An diesem Samstagmorgen sagt Boos noch einmal: "Das habe ich nicht gewollt."

Dai und Bei sitzen nach einer privaten Anreise nun doch im Publikum. Und auch die Delegierten der Volksrepublik sind gekommen, trotz Boykottdrohung. Mit versteinerter Miene sitzen sie direkt neben den beiden Regimekritikern, die ganz selbstverständlich auf reservierten Sitzen in der ersten Reihe Platz genommen haben.

Seit ihrer Ankunft sind Bei und Dai von Journalisten und Kameras umringt, geben Interviews und erzählen ihre Geschichten. Bei berichtet, wie er für die Herausgabe eines Literaturmagazins 2000 wegen "illegaler Veröffentlichungen" in Haft kam, dann ausgewiesen wurde. Dai erzählt die peinliche Geschichte, wie ihre offizielle Einladung für diese Veranstaltung auf seltsamen Wegen verlorenging - und dann nicht noch einmal wiederholt werden sollte. Und wie kurz vor ihrer Abreise ihr Flugticket plötzlich storniert war.

Alles dreht sich um die kleine, lebhafte 68-Jährige in ihrem beigen Kostüm und den Schriftsteller mit dem Zopf und der schwarzen Nickelbrille. Auch Organisator Peter Ripken ist immer wieder an ihrer Seite. Er will jetzt keinen Fehler mehr machen, Standfestigkeit demonstrieren.

"Man sollte zu Einladungen stehen"

Als die Veranstaltung endlich beginnt, geht die Aufarbeitung weiter. Frankfurts Oberbürgermeisterin Petras Roth (CDU) kritisiert in ihrer Eröffnungsrede die "Ungeschicklichkeiten" im Vorfeld. "Ich kämpfe für Demokratie", sagt sie. Fordert "Standfestigkeit". "Auf jeden Fall sollte man, wenn man eine Einladung ausspricht, zu der Einladung stehen." Man dürfe nicht von vornherein Angst vor einer "Abfuhr" durch die chinesischen Behörden haben.

Als dann noch PEN-Vertreter Wiesner und Boos die beiden chinesischen Autoren für ein Statement auf die Bühne bitten, geht es drunter und drüber. Die chinesische Delegation verlässt den Raum. Dai Qing geißelt ruhig die "unmoderne Art" ihrer Landsleute, Bei bedankt sich, dass die Buchmesseleitung nicht "eingeknickt ist". Kurz darauf springt ein Mitarbeiter der chinesischen Botschaft empört auf die Bühne: "Wenn jemand nicht zuhören will, kann er gehen", sagt er. "Auch das ist für mich Demokratie." Dann sagt er noch: "Ich habe keinerlei Auftrag bekommen, das hier zu sagen."

Buchmessechef Boos sagt, er sei dennoch sehr enttäuscht, wenn sich jemand der Diskussion stellen wolle und dann gehe.

Kurz darauf muss er erneut zurückrudern. Sich erneut entschuldigen. Diesmal bei den chinesischen Gesandten.

"Nicht gekommen, um Demokratieunterricht zu bekommen"

Es hat eine kurze Pause gegeben, anschließend sind wieder alle Gäste im Saal. Die chinesischen Partner seien "verärgert, dass wir das Programm eigenmächtig geändert haben", erklärt Boos dem verdutzten Publikum.

Dem sonst recht cool wirkenden Messechef mit dem grauen Haar ist die Anspannung deutlich anzumerken. Er will die Buchmesse als Plattform verstanden wissen, auf der auch "über die kritischen Themen" Chinas ausführlich gesprochen wird, wie er dem SPIEGEL erklärte. Doch eins wird schon an diesem Samstag deutlich: Die Ehrengäste wollen sich keine rechtsstaatlichen Schulstunden erteilen lassen. Man fühle sich "sehr ungerecht behandelt", ruft der frühere Botschafter in Deutschland, Mei Zhaorong, in den Saal. Die Delegation sei "nicht gekommen, um Demokratieunterricht zu bekommen. Diese Zeiten sind vorbei!" Seine Landsleute klatschen lauten Applaus.

Am Ende bleibt Boos nur noch der Appell an das Publikum: "Bitte, bauen Sie keine Mauern im Kopf auf." Es gehe um die Diskussion. Es klingt fast wie ein Flehen.

Als böses Omen für die eigentliche Buchmesse wollen die Organisatoren den peinlichen Auftakt dennoch nicht verstanden wissen. Bei der eigentlichen Veranstaltung hätten beide Seiten ihr eigenes Programm: "Wir reden dem Gastland nicht rein in seine Veranstaltungen, aber wir lassen uns auch nicht reinreden in unsere", sagt Boos im SPIEGEL-Interview. Und dass die Chinesen einigen kritischen Schriftstellern wie Yan Lianke die Reise nach Deutschland verweigern, "fällt letztlich auf das Gastland zurück", findet Boos.

Der Buchmessechef will auf Diplomatie setzen: "Es ist immer die Frage, was wirksamer ist: öffentliche medienwirksame Gegenrede über China oder das Gespräch mit China."

Auch Regimekritiker Bei findet die Messe eine gute Idee. "Sie kann die chinesische Propaganda nicht stoppen", sagt er. Aber die Veranstaltung sorge auch dafür, dass sich China kritischen Stimmen stellen müsse.

Zu Diskussionen kommt es auch an diesem Samstag noch, als sich der erste Sturm der Empörung gelegt hat. Gegen Mittag startet die erste geplante Podiumsdiskussion, es geht um das Selbstbild und die Außenwahrnehmung Chinas. Und an klaren Fragen und deutlichen Antworten mangelt es nicht. Es wird über Nichtregierungsorganisationen gesprochen und über Umweltschutz. Auch auf Dai Qings Frage nach den Menschenrechten gehen die Diskussionsteilnehmer ein. Doch die Argumentation zeigt auch, wie schwierig der Dialog ist.

Die Grundrechte stünden in der chinesischen Verfassung, sagt der ehemalige Botschafter Mei. Aber über Freiheit gebe es "verschiedene Auffassungen". Wenn etwa die Leute nichts mehr zu essen hätten, weil das Land instabil sei, nützen ihnen auch Grundrechte wenig. "Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral", zitiert er dann in perfektem Deutsch den Schriftsteller Bertolt Brecht.

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1. Ehrengast China bei der Buchmesse - drohen weitere Eklats?
sysop 12.09.2009
Schon beim Vorab-Symposium zur Frankfurter Buchmesse kommt es zum Eklat. Die Diskussionen über Meinungsfreiheit mit dem diesjährigen Ehrengastland drohen hitzig zu werden.Wird es Ihrer Meinung nach zu ählichen Situationen kommen? Diskutieren Sie mit!
2.
KLMO 12.09.2009
Zitat von sysopSchon beim Vorab-Symposium zur Frankfurter Buchmesse kommt es zum Eklat. Die Diskussionen über Meinungsfreiheit mit dem diesjährigen Ehrengastland drohen hitzig zu werden.Wird es Ihrer Meinung nach zu ählichen Situationen kommen? Diskutieren Sie mit!
Ich wüste nicht, was es über Meinungfreiheit zu diskutieren gäbe...
3. Langer Löffel
Akka1 12.09.2009
Wer mit dem Teufel aus einem Topf essen will, braucht einen langen Löffel! Es ist immer wieder bemerkenswert wie - schon bei der Olympiade - der chinesischen Regierung auf den Leim gegangen wird. Widerlich, diese Kriecherei!
4. Wieso...
Jotan 12.09.2009
Zitat von sysopSchon beim Vorab-Symposium zur Frankfurter Buchmesse kommt es zum Eklat. Die Diskussionen über Meinungsfreiheit mit dem diesjährigen Ehrengastland drohen hitzig zu werden.Wird es Ihrer Meinung nach zu ählichen Situationen kommen? Diskutieren Sie mit!
...nimmt man eigentlich auf diese Diktatur aus China dermaßen Rücksicht? Sagt den Chinesen endlich mal die Wahrheit! Ihr Land ist eine D I K T A T U R und endsprechend nicht zu hofieren.
5.
Ludwig Schmidt 12.09.2009
Zitat von sysopSchon beim Vorab-Symposium zur Frankfurter Buchmesse kommt es zum Eklat. Die Diskussionen über Meinungsfreiheit mit dem diesjährigen Ehrengastland drohen hitzig zu werden.Wird es Ihrer Meinung nach zu ählichen Situationen kommen? Diskutieren Sie mit!
Der eigentliche Eklat ist, dass dies ein Eklat sein soll. Hier in DEU herrscht die freie Rede nach Art 5 GG. Diese findet gewisse Einschränkungen in den anderen unveränderlichen Grundrechten, nicht aber in den Befindlichkeiten der VR China. Die Chinesen sind unsere Gäste. Man soll sie gut und anständig behandeln-vor ihnen kuschen gehört da aber nicht zu. Ich habe hohen Respekt vor der jahrtausendealten Kultur der Chinesen, wie vor den Menschen in China. Es ist ihr Land. Sie sollen es gestalten, wie sie es möchten. Es wäre schön, wenn die Chinesen diesen Respekt umgekehrt auch zeigen könnten. Und wenn nicht: Good bye!
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