

Am Anfang sieht man die Demonstranten gemeinsam Brote schmieren und Fußball spielen, später stehen sie auf dem brennenden Maidan und verschanzen sich hinter selbstgebauten Schutzschilden vor den Scharfschützen, am Ende legen sie ein Blumenmeer vor den Bildtafeln der Getöteten aus. Die Motive des Filmes sind grundsätzlich bekannt, wir haben sie in den letzten Monaten so oder ähnlich in etlichen Nachrichtensendungen gesehen. Aber ihre dramaturgische Anordnung ist neu.
"My Revolution - Video Diary from Kiev" heißt die Dokumentation von Annie Berend, Anne Breer und Nickolai Owscharow, die jetzt von ihren Produzenten auf YouTube gestellt wurde. Der Titel ist Programm: Der Blickwinkel ist subjektiv, über Skype kommentieren Aktivisten, Blogger und Journalisten, wie sie selbst eben gerade das Geschehen auf dem Maidan wahrgenommen haben. Der Film beginnt mit dem Aufflammen der Proteste am 21. November und endet mit dem Einmarsch der pro-russischen Soldaten auf der Krim. Er liefert gleichsam Zeitgeschehen aus der Smartphone-Perspektive.
Anfang der siebziger Jahre sang Gil Scott-Heron die berühmte Zeile "The Revolution Won't Be Televised". Die Revolution wird nicht im Fernsehen übertragen. Mag vieles an der medienökonomischen Kritik des Black-Power-Poeten noch aktuell sein, diese Zeile ist es nicht mehr. Skype, Twitter, Handyfilme: Ob Arabische Revolution oder das Erdbeben und die folgende Atomkatastrophe von Fukushima, moderne Kommunikationsmittel liefern Bilder im Überfluss von den Brennpunkten in aller Welt.
Neue Formen des Dokumentarischen
Doch wie umgehen mit dieser Bilderflut? Der Produzent und Filmautor Stephan Lamby, als Regisseur politischer Reportagen vielfach preisgekrönt, entwickelt zurzeit neue Formen des Dokumentarischen. Nach dem Reaktorunglück von Fukushima etwa schnitt er zeitnah den Film "Tsunami - die Katastrophe via Skype" zusammen, in dem junge Japaner über Videofilme Auskunft über die Ereignisse und ihre eigene Versehrtheit gaben. So entstand eine autonome Erzählung, die über die übliche News-Dramatik hinausging.
Zeitnah, zumindest im Versuch authentisch, aufs redende Subjekt zurückgeworfen ist nun die von Lamby produzierte Ukraine-Doku "My Revolution", die nach ihrer Ausstrahlung auf YouTube für die Verwertung auf einem regulären öffentlich-rechtlichen Fernsehsender umgeschnitten werden könnte. Eine stärkere Wucht entwickelt sie allerdings wahrscheinlich in dieser direkten Form - und sie hätte dies, diese Kritik muss doch sein, übrigens auch ohne die etwas arg suggestive Musik getan. Die martialischen Trommeln nerven irgendwann.
Trotzdem: Die Revolution wird gesendet. Vorerst eben auf YouTube. Die etablierten Sender müssen sich die Frage stellen, wie sie in Zukunft mit diesem Zeitvorsprung des Videosenders umgehen wollen.
Sehen Sie hier die Video-Dokumention in voller Länge.
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