
Artikel-Crowdfunding Geldgeschichten
Durch die USA reisen, auf den Spuren des französischen Philosophen Alexis de Tocqueville? Nachschauen, wie es um die Demokratie in Amerika 177 Jahre nach Tocquevilles "Über die Demokratie in Amerika" bestellt ist? Mit dieser Idee sind Sarah Bidoli und Sebastian Horn aus Berlin im Oktober zu einer fünfwöchigen USA-Rundfahrt aufgebrochen. Die Kosten für Flugtickets und Ausrüstung kommen zum Teil aus dem Internet.
Auf der Crowdfunding-Seite Startnext haben die beiden ihr Projekt vorgestellt und Geld gesammelt. 34 Unterstützer gaben insgesamt 1180 Euro - und schickten die Blogger auf Dokumentarreise. Auf "Tocqueville 2012" haben die beiden ihre Begegnungen in Fotos, Videos und Blog-Einträgen festgehalten. Über ihre Seite konnte jeder die Reise mitverfolgen.
Auf diversen Plattformen, von Indiegogo bis Kickstarter, suchen Kreative nach Finanzierung. Bei Gadgets und Videospielen klappt das schon recht gut, regelmäßig kommen Hunderttausende Dollar zusammen. Warum nicht auch Journalismus so finanzieren, wo doch das klassische Geldverdienen über Werbung nicht mehr ganz so gut läuft wie früher?
Umverteilung im Freundeskreis
"Die meisten Geldgeber sind Freunde, gehören zur Familie oder zum größeren Bekanntenkreis", sagt Sarah Bidoli. Auch sie selbst unterstützt Crowdfunding-Projekte mit Geld. "Meistens sind das Leute, die man über tausend Ecken kennt." Damit die Umverteilung im Freundeskreis - und möglichst noch darüber hinaus - funktioniert, brauchen die Crowdfunder ein gutes Netzwerk.
Dirk von Gehlen hat so ein Netzwerk. Er will ein Buch über Kunst und Kultur schreiben, über neue Geschäftsmodelle im Internet. "Meine These ist: Das Kulturprodukt wird ergänzt um den Entstehungsprozess, mit dem Internet können alle dabei sein", sagt von Gehlen. Um das zu beweisen, verzichtet er auf Verlag und Vorschuss, anders als bei seinem ersten Buch.
Mehr als 300 Unterstützer haben für "Eine neue Version ist verfügbar" insgesamt mehr als 11.000 Euro zugesagt, über das Doppelte der benötigten Summe. Zu den Unterstützern gehören Szenepromis wie Sascha Lobo und Wolfgang Blau. Die Käufer haben Außenwirkung: "Das ist für mich als Autor vielleicht sogar frustrierend, weil die Leute nicht in erster Linie meinetwegen das Buch kaufen, sondern wegen der schlauen Menschen, die auf der Liste stehen", sagt er.
Schreiber als Selbstvermarkter
Ein bekannter Journalist schreibt über Journalismus, Crowdfunding und Internet, seine Journalistenfreunde zahlen. Dirk von Gehlen bestreitet seinen Startvorteil gar nicht - glaubt aber, dass sich das Prinzip auf andere Communitys übertragen lässt. "Wenn man sich ganz klar an eine bestimmte Zielgruppe wendet, dann kann das sicher auch für lokale Recherchen in einer Kleinstadt funktionieren", sagt er.
Ein Allheilmittel für die Finanzierungskrise des Journalismus ist das Crowdfunding allerdings nicht, allenfalls ein zusätzliches Geschäftsmodell. Und es verlangt den Geldsammlern einiges ab: Sie müssen ihr Projekt bewerben, am besten mit einem schicken Video, und ihre Unterstützer bei Laune halten. Nicht zufällig stellt er sich auf seiner Buchseite als "SZ-Redakteur und Suhrkamp-Autor" vor.
"Es ist ein anderer Druck", sagt von Gehlen, "bei meinem Buch beim Suhrkamp-Verlag war das eine Person, der ich mich erklären musste. Wenn ich mich jetzt verspäte oder keine Lust habe, dann muss ich das mehr als 300 Leuten beibringen." Er tritt als Einzelkämpfer auf, muss sich Dinge wie Marketing, Lektorat und Druck kümmern. Künftig, vermutet er, könnten Verlage einige dieser Arbeiten auch bei Crowd-finanzierten Büchern übernehmen.
"Teil der Arbeit werden"
Eigentlich stehen diverse Crowdfunding-Plattformen für solche Experimente und Projekte bereit. Trotzdem will eine weitere Seite im kommenden Jahr Journalisten bei der Finanzierung von Recherchen helfen: Krautreporter nennen Sebastian Esser und Wendelin Hübner ihr Projekt. Die Geldgeber, versprechen sie, sollen "selbst Teil dieser journalistischen Arbeit" werden.
Ebenso wie Dirk von Gehlen warnen sie davor, das Crowdfunding zu überschätzen. Krautreporter sei schlicht eine "tolle neue Möglichkeit, Journalismus zu finanzieren". Sie wollen außerdem eine Community aufbauen, die sich für Journalismus starkmacht. Damit später nicht nur Kollegen die Arbeit von Kollegen finanzieren, muss diese möglichst viele Besucher und Geldgeber erreichen.
Tocqueville-Bloggerin Sarah Bidoli freut sich, dass ihr Netzwerk sie auf Reisen geschickt hat. "Aber mit der nächsten Idee warten wir lieber noch ein bisschen, ich kann meinen Bekanntenkreis nicht sofort wieder um Geld anhauen."
