Debatte Drehbücher für Amokschützen
Berlin - "Die Wumme bebt in meiner Hand, Blut spritzt an die Tunnelwand, der Terror ganz verwundert schaut, das Blei ihm seinen Kopf zerhaut".
Dieser Vers gehört zu einem Gedicht irgendwo im Angebot von "counter-strike.de". Die Schlusszeilen des Textes lauten: "Wie gut doch, dass die meisten wissen: "Auf Indizierung wird geschissen!".
Solche Geschmacklosigkeiten finden sich zuhauf im Internet und sind auch ein Grund, weshalb der Bundeskanzler nicht nur mit den Fernsehmachern, sondern weit dringender noch mit den Internet-Providern ins Gespräch kommen will. Denn unreflektierte Gewaltverherrlichung findet nicht nur in Videospielen statt, sondern ist genauso in zahllosen Texten nachzulesen, die irgendwann ins Netz gestellt werden, wo sie niemand mehr entfernt.
Wer bei guten Suchmaschinen beispielsweise "pumpgun" eingibt, stößt auf eine Reihe von Texten, die verbreitete Gewaltphantasien von Jugendlichen offenbaren. Ein Beispiel aus "kaschemme.de":
" Aus dem Schlaf gerissen, schnappt sie sich die am Bett lehnende Pumpgun... Fenster auf, ein paarmal schießen, horchen - endlich Ruhe..... ...Ein Fahrradkurier hält neben ihr an und fragt sie nach einer Adresse. Sie lächelt. Er lächelt zurück. Sekunden später knallt sein Kopf auf den Lenker. Sarah zündet noch schnell seinen buschigen Haarzopf an und drückt ihm eine herumliegende, zersplitterte Bierflasche in den durchtrainierten Bauch."
Die Autoren verherrlichen häufig Pumpguns als Waffen für kaltblütige Morde und zelebrieren Schüsse aus dem Hinterhalt:
"Hmmm, nun ja - es gab siebzehn Tote durch Handgranaten, ein paar Tote durch eine aus dem Hinterhalt kommende Pumpgun-Attacke, zwei gesprengte Minderjährige...
Getarnte Gewaltphantasien
Dabei beschreiben die Autoren solche Phantasien in der Regel als Traum-, oder Alptraumgeschichten, und die Betreiber entsprechender Websites versuchen mit humorvollen Wendungen zu rechtfertigen, warum eine solche Geschichte im Netz überlebt. So endet die Kaschemmengeschichte mit dem Nachsatz: "Der Kaschemmenwirt meint: Tja, das hat man nun davon, wenn man den Mädelz erlaubt, die Kopftücher abzunehmen."
Wohlmeinende mögen das unter Sarkasmus und trockenem Humor abhaken, aber die Abstumpfung gegenüber Gewalt vollzieht sich hier ganz ähnlich wie beim Anschauen von Gewaltvideos.
Beängstigende Erfurt-Parallele im Netz
Bereits am vergangenen Freitag, dem Tat-Tag von Erfurt, stand bei "horrorgifs.de" unter "two hours shit" eine Horror-Phantasie vorne an, die in etwa widerspiegelt, was das kranke Hirn von Robert Steinhäuser so begeistert hat: Im eigenen Tod skrupellos mit seinen vermeintlichen Demütigern abzurechnen und dabei als Negativ-Held in die Geschichte einzugehen. Auch bei "horrorgifs" geht dem Selbstmord als purer Racheakt ein Massenmord voraus, und zwar an allen, von denen sich die Hauptfigur gedemütigt fühlte und die ihm zufällig im Weg stehen und nicht passen:
"WILLST DU ETWA DEIN LEBEN LANG GEDEMÜTIGT WERDEN!!!?????"..."neeeeeeiiiiiinnnn!!" Jim nimmt eine abgesägte Pumpgun aus der Tasche und bindet sie sich mit einem Seil um die Schulter, dann nimmt er einen Halfter mit je 2 Barettas und bindet sich den Halfter um. "Jaaa gleich werden sie nicht mehr lachen!!!!"... In der 2. Etage stürmte er eine Tür mit der Aufschrift: "Hier wohnt Maria und Mike Micic." "Ha ha ha ihr seid toooot!!!" .... Maria öffnet die Tür ... und Jim schießt ihr den Kopf mit der Pumpgun in Stücke."
Auch diese Geschichte wurde bislang nicht aus dem Internet entfernt, obwohl die Parallele zur Tat von Robert S. an ihrem Ende unverkennbar wird, als schließlich drei Polizisten auftauchen, die der Phantasietäter genauso niederschießt wie der reale Amokläufer von Erfurt. Und auch in dieser Geschichte, die bereits vor dem Erfurter Massaker im Netz stand, erschießt sich der Amokläufer schließlich triumphierend in einem kleinen Zimmer und sieht seinen Auftrag als Racheengel erfüllt:
"...Ok, ich sterbe immerhin mit Erfolg" Jim setzt sich hin lädt seine Pumpgun nach und hält sie sich in den Mund...BOOM ertönt es laut. Als die Polizisten das kleine Zimmer betreten, sehen sie nur eins: Blut im ganzen Zimmer ....Jim beobachtet sie aus der Luft in der Ferne dabei mit den Worten "Ich habe Rache vollführt..... Ich habe Rache vollführt... ".
Vor Achtlosigkeit im Umgang mit solchen Jugendlichen hat Bundespräsident Johannes Rau am Freitag in seiner Erfurter Trauerrede gewarnt und gemahnt, Menschen nicht in Scheinwelten abgleiten zu lassen. Für Website-Betreiber übersetzt könnte das heißen: Auch wer für den Content im Internet sorgt, sollte solchen Menschen lieber helfen, statt ihre Texte für das Unterhaltungsbedürfnis von Horrorfans zu missbrauchen. Denn mit deren Verbreitung wächst die Gefahr, dass sich manch ein Leser mit ähnlichen Gewaltphantasien bestätigt sieht und durchknallt.
"Wahnsinn lässt sich nie verhindern, aber verringern", steht auf einem Zettel im Blumenmeer von Erfurt. Der Appell gilt auch den Betreibern einschlägiger Internet-Seiten.