
"News of the World"-Skandal Murdochs Handy-Hacker schockieren die Briten
Rupert Murdoch dürfte in diesen Tagen nicht allzu ruhig schlafen. Der Handy-Abhörskandal, der seine britische Sonntagszeitung "News of the World" seit Jahren beschäftigt, erreicht immer gewaltigere Ausmaße - und er droht die Geschäfte des australischen Medienzaren im britischen Markt ernsthaft zu beschädigen.
Seit der "Guardian" am Montag enthüllte, dass Privatschnüffler der Murdoch-Zeitung im Jahr 2002 die Handy-Mailbox der entführten und später ermordeten 13-jährigen Milly D. angezapft haben sollen, ist die Insel in Aufruhr.
Dass das Revolverblatt in den vergangenen Jahren die Mailboxen von Dutzenden Prominenten heimlich abgehört hatte, um saftige Lästergeschichten zu finden, war mehr oder weniger achselzuckend hingenommen worden. Doch die Enthüllung, dass die Journalisten nicht einmal vor entführten Kindern Halt gemacht haben, sorgt nun für einhellige Empörung.
"Schockierend" nannte Premier David Cameron die Vorwürfe. Der Labour-Abgeordnete Chris Bryant warf den Journalisten vor, Gott gespielt zu haben. In der Fragestunde des Premierministers forderte Cameron am Mittwoch eine offizielle Untersuchung der Vorgänge. "Jeder hier im Parlament und in diesem Land ist aufgewühlt durch die Dinge, die bekannt geworden sind und über die im Fernsehen berichtet wird", sagte der konservative Politiker im Unterhaus. Vor allem müsse herausgefunden werden, warum die Ermittlungen der Polizei vor einigen Jahren nicht das ganze Ausmaß der Abhörmaßnahmen aufgedeckt hatten.
Tatsächlich lässt die Skrupellosigkeit der Zeitungsschnüffler den Atem stocken: Sie sollen sogar Nachrichten auf der Mailbox des verschwundenen Mädchens gelöscht haben, um Platz für weitere Informationen zu schaffen. Damit zerstörten sie nicht nur potentielle Beweismittel, sondern weckten auch falsche Hoffnungen: Die Familie hatte das Löschen der Nachrichten als Lebenszeichen ihrer Tochter gedeutet. Die Eltern gaben bekannt, dass sie gegen die "News of the World" gerichtlich vorgehen wollen.
Coulson trat gleich doppelt zurück
Milly D. scheint kein Einzelfall gewesen zu sein: Scotland Yard untersucht inzwischen sämtliche Fälle von vermissten Kindern seit 2001 auf Hinweise, ob Mailboxen von Angehörigen durch Murdoch-Journalisten abgehört wurden. Unter anderem wird auch das Verschwinden Madeleine McCanns noch einmal unter die Lupe genommen.
Auch Familien von Opfern der Londoner Terroranschläge am 7. Juli 2005 standen auf der Liste der "News of the World"-Schnüffler. Obendrein übergab der Verlag News International am Dienstag E-Mails an Scotland Yard, die beweisen, dass die "News of the World" unter Chefredakteur Andy Coulson in den Jahren 2003 bis 2007 Polizeibeamte im Austausch für Informationen bezahlt hat. Coulson ist wegen des Skandals bereits zweimal zurückgetreten - einmal 2007 als Chefredakteur, einmal im Januar dieses Jahres als Sprecher von Premier Cameron.
Die neuen Abgründe, die sich im Verhalten der Journalisten auftun, könnten der Wendepunkt in dem Abhörskandal sein, der seit 2006 schwelt, aber dem Verlag News International bislang kaum geschadet hat. Stets hatte das Unternehmen behauptet, es handele sich nur um zwei schwarze Schafe, die Gesetze gebrochen hätten - den Redakteur Clive Goodman und den auf Honorarbasis arbeitenden Privatschnüffler Glenn Mulcaire. Beide haben bereits eine Gefängnisstrafe abgesessen. Doch längst ist klar, dass die Abhörpraktiken zum Alltag der Redaktion gehörten - und wohl von ganz oben gedeckt und angeordnet wurden.
Inzwischen sieht es so aus, als seien Polizei und Politik entschlossen, die Machenschaften vollständig aufzuklären. Am Mittwochnachmittag debattierte das Unterhaus über die neuen Enthüllungen. Mehrere Redner forderten zusätzlich zu den laufenden Ermittlungen der Polizei eine öffentliche Untersuchung des Skandals. Die Regierung will erst den Ausgang der polizeilichen Untersuchung abwarten, doch die Opposition drängt auf Eile.
"Die Schuldigen werden bestraft werden"
Vertreter von Labour und Liberaldemokraten fordern auch, Murdochs geplante vollständige Übernahme des Satellitensenders BSkyB zu verhindern. Der Milliarden-Deal wird derzeit von der britischen Regierung geprüft. Im zuständigen Kulturministerium hieß es, der Abhörskandal werde die BSkyB-Entscheidung nicht beeinflussen, diskutiert werde nur eine mögliche Kartellbildung. Doch wird sich in dem aufgeheizten politischen Klima das eine schwer von dem anderen trennen lassen.
Ein Scheitern des BSkyB-Deals wäre ein hoher Preis für die Vergehen der Journalisten - und die Höchststrafe für Murdoch. Selbst wenn es dazu nicht kommt, hat der Medienmogul geschäftliche Einbußen hinzunehmen: Mehrere Anzeigenkunden, darunter Ford und T-Mobile, erklärten, nicht mehr in der "News of the World" inserieren zu wollen.
Ins Visier gerät auch wieder Murdochs britische Statthalterin, die Chefin von News International, Rebekah Brooks. Sie war von 2000 bis 2003 Chefredakteurin der "News of the World", damals hieß sie noch Rebekah Wade. Die Abhöraktion im Fall Milly D. passierte also unter ihrer Führung. Als erster hochrangiger Politiker forderte Oppositionsführer Ed Miliband sie indirekt zum Rücktritt auf: Sie solle "ihre Position überdenken", sagte der Labour-Chef. Politiker scheinen zunehmend die Angst vor Brooks, der mächtigsten Medienfrau des Landes, zu verlieren. Ein Indiz, das illustriert, wie groß die Probleme von News International sind.
Das Unternehmen versichert, Murdoch stehe zu 100 Prozent hinter seiner Verlagschefin. Aber Brooks weiß, wie wackelig ihre Position ist. In einem Statement an ihre Mitarbeiter ging sie in die Offensive: "Es ist unvorstellbar, dass ich von diesen schrecklichen Vorwürfen wusste, oder schlimmer noch, sie abgesegnet habe", schrieb sie. Sie kündigte hartes Durchgreifen gegen alle Beteiligten an. "Die Schuldigen werden bestraft werden." Nach diesen markigen Worten wird sie zurücktreten müssen, sollte ihr eine Verwicklung nachgewiesen werden.
Paul McMullan, Ex-Redakteur der "News of the World", sagte der BBC, Brooks habe die Abhörpraktiken der Redaktion gekannt: "Natürlich wusste sie Bescheid."