US-Depesche zu Hochzeit im Kaukasus High-Society-Gelage mit Geldregen

Hochzeitsgast Kadyrow (2007): Vergoldete Pistole im Hosenbund
Foto: APDiese vertrauliche Depesche, vom SPIEGEL in Auszügen dokumentiert, stammt vom 31. August 2006. Unterzeichnet ist sie von William Burns, der von 2005 bis 2008 Botschafter in Moskau war. Das State Department dementiert jedoch, dass die Depesche von Burns selbst verfasst sein soll.
"Am 22. August verheiratete (der Ölmagnat) Gadschij Machatschow seinen 19 Jahre alten Sohn Dalgat mit Aida Scharipowa. Die Hochzeit in Machatschkala (der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Dagestan) offenbarte einen Mikrokosmos sozialer und politischer Beziehungen im Nordkaukasus.
Das beginnt mit Gadschijs eigener Geschichte. Erstmals trat er als ein Clanführer der Awaren in Erscheinung, der größten ethnischen Gruppe in Dagestan. Nach dem Niedergang der russischen Zentralmacht stellte jeder Clan eine eigene Miliz auf, um seine Mitglieder in den Bergen wie auch in der Hauptstadt zu schützen. Gadschij wurde Führer in seinem Heimatdistrikt.
Das gesellschaftliche Kapital, das er sich durch Nationalismus erworben hat, verwandelte er in finanzielles und politisches Kapital - als Chef der staatlichen Ölgesellschaft von Dagestan und Abgeordneter von Machatschkala in der russischen Duma. Seine Ölgeschäfte - für die er auch eng mit US-Firmen zusammenarbeitete - haben ihn so wohlhabend gemacht, dass er sich Luxushäuser in Machatschkala, Kaspiisk, Moskau, Paris und San Diego leisten konnte. Hinzu kommt eine große Sammlung von Luxuswagen, darunter ein Rolls-Royce, mit dem Dalgat Aida bei deren Eltern abholte. (In Moskau hat Gadschij uns einmal in diesem Rolls-Royce mitgenommen, doch die Beinfreiheit war etwas eingeschränkt durch eine Kalaschnikow zu unseren Füßen. Gadschij hat zahlreiche Mordversuche überstanden, wie die meisten der noch lebenden Anführer Dagestans.)
Der Vortag
Gadschijs Sommerhaus ist ein riesiger Bau, der am Ufer des Kaspischen Meers liegt. Es besteht aus einem gewaltigen runden Empfangsraum, an den sich ein 40 Meter hoher grüner Flughafentower auf Säulen anschließt. Er kann nur per Aufzug betreten werden und birgt ein paar Schlafzimmer, einen Empfangsraum und eine Grotte, deren Glasboden aus der Abdeckung eines riesigen Aquariums besteht.
Am Nachmittag des 21. August füllte sich das Haus mit Besuchern. Der Parlamentspräsident von Inguschien fuhr mit zwei Kollegen vor, unter den Besuchern aus Moskau gab es Politiker und Geschäftsleute. Eine Gruppe von Jugendfreunden Gadschijs wurde angeführt von einem Mann, der aussah wie (Rebellenchef) Schamil Bassajew an seinem freien Tag: Flip-Flops, T-Shirt, Baseballmütze, Vollbart. Der Mann stellte sich dann aber als Oberrabbiner des Bezirks Stawropol heraus.
Die Köche schienen Tag und Nacht ganze Schafe und Kühe in einem Kessel simmern zu lassen, jedenfalls warfen sie Tierteile auf die Tische, sobald jemand den Raum betrat. Der Alkoholkonsum war erstaunlich. Als der Alkohol einmal knapp zu werden drohte, ließ Gadschij aus dem Ural Tausende Flaschen Beluga-Exportwodka einfliegen. Auch das Unterhaltungsprogramm begann bereits an diesem Tag. Gadschijs Star - ein Sänger namens Awraam Russo - war leider verhindert, weil er ein paar Tage vor der Hochzeit zusammengeschossen wurde. Unterbrochen wurde das Gelage nur durch eine Runde Wasserski auf dem Kaspischen Meer.
Hochzeit, Tag eins
Eine Stunde vor Beginn des Hochzeitsempfangs war der Saal voll mit Gästen. Die Männer ergingen sich draußen an der Luft, die Frauen besetzten eine Anzahl von Tischen drinnen. Ältere Damen mit Kopftuch beaufsichtigten Dutzende weiblicher Teenager. Polizei patrouillierte auf dem Gelände, Scharfschützen hatten sich auf dem Dach platziert.
Um Punkt zwei Uhr begannen die Männer, den Saal zu betreten, Politiker und Oligarchen, von elegant bis vorsintflutlich. Dazu Wacha, der betrunkene Ringer, die Parlamentarier, ein Mitglied des Föderationsrats, der Nanophysiker ist. Das Dagestaner Milieu scheint eines zu sein, in dem sich Gebildete und Revolverträger leicht mischen können, häufig in ein und derselben Person.
Dalgat und Aida stiegen aus dem Rolls-Royce und wurden singend in die Halle geleitet, durch einen Chor von Jungen, der auf beiden Seiten des roten Teppichs aufgestellt war. Die Knaben trugen imitierte mittelalterliche Rüstungen, dazu kleine Schilde und Schwerter.
Von Zeit zu Zeit überschüttete jemand die Tänzer mit Geld. Es waren einige 1000-Rubel-Noten darunter, aber die bevorzugte Währung waren 100-Dollar-Scheine. Der Boden war bedeckt damit.
Gadschij ging von Tisch zu Tisch und stieß mit jedermann an. Die 120 Drinks, die er schätzungsweise runterkippte, hätten jeden umgebracht, aber Gadschij hatte seinen afghanischen Kellner bei sich, der ihm aus einer Wodkaflasche einschenkte, die Wasser enthielt. Am Ende des Abends war er immer noch in Form. Da trafen wir ihn, als er mit zwei spärlich bekleideten Russinnen tanzte. Eine, stellte sich heraus, war eine Moskauer Dichterin. Später trug sie ein unverständliches Gedicht zu Ehren Gadschijs vor.
Gegen sechs Uhr abends waren die meisten Gäste zu Gadschijs Haus am Meer zurückgekehrt, um zu schwimmen und betrunken Wasserski zu fahren. Um acht Uhr war der Saal im Haus wieder voll, unaufhörlich wurden Speisen und Getränke aufgetragen, und einige enorm dicke Gäste tanzten die Lesginka (den kaukasischen Volkstanz, Anm. d. Red).
Hochzeit, Tag zwei
Auf den meisten Tischen waren die üblichen Gerichte aufgetragen, dazu ganze gebratene Störe und Schafe. Um acht Uhr abends strömten plötzlich Dutzende schwerbewaffnete Kämpfer auf das Gelände für den großen Auftritt des Tschetschenen-Führers Ramsan Kadyrow, der in Jeans und T-Shirt kam und mit einem etwas schrägen Gesichtsausdruck. Zum Andenken an den Geburtstag des ermordeten Vaters von Ramsan Kadyrow kündigte Gadschij dann ein Feuerwerk an. Es begann mit einem Knall, der Gadschij und Ramsan zusammenzucken ließ. Von Anfang an hatte Gadschij darum gebeten, dass keiner seiner Gäste, von denen die meisten Waffen trugen, Freudenschüsse abgeben solle. Während der gesamten Hochzeitsfeier hielten sich die Männer daran und schlossen sich nicht einmal dem prächtigen Feuerwerk an.
Nach dem Feuerwerk tanzte eine Gruppe von zwei Mädchen und drei Jungen im Hof gymnastische Versionen der Lesginka. Erst schloss sich Gadschij ihnen an und dann Ramsan, der tölpelhaft tanzte und seine vergoldete Pistole hinten im Hosenbund seiner Jeans stecken hatte. Ein Hausgast wies später darauf hin, dass die komplette Vergoldung die Waffe unbrauchbar gemacht habe, und fügte feixend hinzu, Ramsan sei vermutlich ohnehin nicht in der Lage, einen Schuss damit abzugeben.
Gadschij und Ramsan überschütteten die Kinder mit 100-Dollar-Noten. Gadschij erzählte uns später, dass Ramsan dem glücklichen Paar 'einen fünf Kilo schweren Klumpen Gold' als Präsent überreicht habe. Nach dem Tanz fuhren Ramsan und seine Armee wieder zurück nach Tschetschenien.
Ein Awaren-Oberst des russischen Geheimdiensts FSB, der sternhagelvoll neben uns saß, war schwer beleidigt, weil wir ihm nicht erlaubten, Cognac in unseren Wein zu schütten. 'Das ist doch praktisch dasselbe', insistierte er. Wir neigen zu einer gewissen Nachsicht mit dem Obersten: Er ist Chef der Anti-Terror-Einheit von Dagestan. Und Gadschij erzählte uns, dass Extremisten früher oder später noch jeden umgebracht hätten, der sich dieser Einheit angeschlossen habe.
Wir waren weitaus besorgter, als ein Kamerad des Obersten aus dem Afghanistan-Krieg - Leiter der juristischen Fakultät an der Universität von Dagestan und zu betrunken, um noch sitzen, geschweige denn stehen zu können - seine Pistole zog und fragte, ob wir Schutz benötigten. Daraufhin kamen Gadschij und seine Leute herüber, klemmten ihn zwischen ihre Schultern und ließen uns außer Reichweite gelangen.
PS: Die praktischen Lehren einer kaukasischen Hochzeit
Kadyrows Besuch war ein Zeichen des Respekts und einer politischen Allianz. Das ist ein notwendiges politisches Instrument in einer Region, in der Schwierigkeiten nur durch persönliche Beziehungen gelöst werden können. Die 'Machthorizontale', wie die Beziehung zwischen Gadschij und Kadyrow, ist das genaue Gegenteil der 'Machtvertikalen', die von Moskau oktroyiert wird. Die Machtvertikale (sagt ein Geschäftspartner von Gadschij) sei für den Kaukasus ungeeignet. Moskauer Bürokraten würden diese Region nie verstehen.
Das war kein Plädoyer für Demokratie. Gadschij erläuterte uns, dass Demokratie im Kaukasus immer scheitern werde. Hier werde der Staat als Erweiterung der Familie verstanden, in der das Wort des Vaters Gesetz sei. Gadschij: 'Wo gibt es da Raum für Demokratie?'"
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die Depesche stamme vom ehemaligen US-Botschafter in Moskau, William Burns. Laut State Department soll Burns die Depesche jedoch nur unterzeichnet haben, nicht aber der Verfasser sein. Wir haben diesen Zusatz entsprechend eingefügt.