

S.P.O.N. - Im Zweifel links Böser Geist der sozialen Kälte


Thilo Sarrazin stellt sein neues Buch vor: "Ideologisierte Medienklasse"
Foto: Maurizio Gambarini/ dpaGott bewahre uns! Thilo Sarrazin ist wieder da. Neues Buch, Startauflage 100.000, Vorabdruck in der "Bild"-Zeitung, TV-Auftritte folgen. Das ganze Programm, das wir vom letzten Mal schon kennen. "Deutschland schafft sich ab" hatte eine Millionen-Auflage. Nun kommt "Der neue Tugendterror". Der Autor klagt über "die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland". So eng sind die offenbar nicht. Woher käme sonst Sarrazins Erfolg?
Aber darum geht es in Wahrheit gar nicht. Schon mit dem ersten Buch strebte Sarrazin eine Revolution an: Er wollte das biologische Denken wieder in die politische Debatte einführen. Nun nimmt Sarrazin nicht weniger als die Gründungsidee des Westens aufs Korn: die Gleichheit des Menschen.
Es ist die Geschichte einer Kränkung. Mehr als eine Million Menschen haben Sarrazins Buch gekauft. Aber ihm, dem Anhänger der Zuchtwahl, blieb der Zuspruch der Meinungseliten versagt. Das kann er nicht verzeihen. Sarrazins Buch über den Tugendterror zieht seine Wucht nicht aus der Sorge um das Wohl der Welt, sondern aus der gekränkten Eitelkeit des Autors.
"Das, was mir zustieß", schreibt er, "erlebte ich zum Zeitpunkt des Geschehens als außerordentlich. Es hat mein Weltbild verändert." Nun hasst er die Eliten - und er verbirgt es nicht:
"Ich glaube, dass aktuell eine herrschsüchtige, ideologisierte Medienklasse ganz informell und ohne großen Plan zusammenwirkt mit einer opportunistischen und geistig recht wenig profilierten Politikerklasse."
Den Medien und der Politik wirft er vor, "ungeliebte störende Tatsachen in bloße Meinungen und - umgekehrt - erwünschte Meinungen in angebliche Tatsachen umzuwandeln." Aber er selbst tut nichts anderes. Er widerlegt immerzu Prämissen, die außer ihm niemand aufstellt. Er behauptet, sich jeder Polemik zu enthalten, während er in Wahrheit fortwährend polemisiert. Das erste unterläuft die Logik. Das zweite die Redlichkeit. Beide zusammen sind Mittel der Propaganda.
Seitenlang zerpflückt Sarrazin den angeblichen "Code der Medienklasse":
- "Sekundärtugenden wie Fleiß, Genauigkeit und Pünktlichkeit haben keinen besonderen Wert."
- "Das traditionelle Familienbild hat sich überlebt. Kinder brauchen nicht Vater und Mutter."
- "Alle Menschen auf der Welt haben nicht nur gleiche Rechte, sondern sie sind auch gleich, und sie sollten eigentlich alle einen Anspruch auf die Grundsicherung des deutschen Sozialstaats haben."
Das alles ist vollkommener Unsinn, den niemand verbreiten würde - außer Sarrazin.
Auf der Suche nach den Wurzeln des Tugendterrors, der Meinungskartelle, der Denkverbote steigt er hinab in die Vergangenheit. Er liest Platon, Macchiavelli, Tocqueville, Freud und findet überall - sich selbst. Sokrates mit dem Schierlingsbecher, hätte das nicht auch er sein können? Selten konnte man die Entfaltung einer narzisstischen Persönlichkeit derart genau verfolgen.
Auf dem Weg vom Politiker über den Bundesbanker zum Bestsellerautor hat Sarrazin sich selbst neu geschaffen: als böser Geist der sozialen Kälte. Ging es im ersten Buch noch um Genetik, Biopolitik und Demografie, hat Sarrazin inzwischen den Tiefpunkt seiner sozialen Temperatur erreicht.
Das Andere - bei Sarrazin ist es bedrohlich, minderwertig
Außer Sarrazin weiß jeder: Die Menschen sind gleich, weil sie Menschen sind, und ungleich, weil sie Individuen sind. Sie sind gleich und ungleich. Und längst nicht jede Ungleichheit ist unerträglich. Sie muss nur gut begründet sein. In den westlichen Ländern richtet sich die soziale Kritik gegen die unzureichenden Begründungen der Ungleichheit.
Aber für Sarrazin ist die ganze Idee linker Unfug, ja mehr noch:
"Nach dem Scheitern der unterschiedlichsten Gesellschaftsutopien blieb die Gleichheitsidee als ihr kollektives Waisenkind in der Welt. Sie prägte die katholische Soziallehre, den Feminismus, die Bewegung der Schwulen und Lesben, die Theologie-, Philosophie- und Soziologie-Lehrstühle und sowieso alle heimatlos gewordenen Sozialisten, Marxisten und ihre geistigen Erben. Und natürlich war und ist sie an zentraler Stelle in den Köpfen unserer mehrheitlich links, grün und sozial eingestellten Medienvertreter."
Die antimoderne Gegenrevolution, die Sarrazin vorschwebt, hat eine lange Tradition in Deutschland: Treitschke, Nietzsche, Plenge, Gentz, auch Carl Schmitt. Julius Langbehn, der berüchtigte Rembrandtdeutsche, schrieb 1890: "Gleichheit ist Tod, Gliederung ist Leben." Der moralische Spielraum für solche Ideen ist seit Auschwitz kleiner geworden. Das kümmert Sarrazin nicht. Er will die Ungleichheit wieder in ihr Recht setzen. Und die ungleiche Wertigkeit. Das ist eigentlich der Kern seines Arguments: Andere Kulturen, anderes Leben, überhaupt das Andere - das ist schlecht, bedrohlich, minderwertig.
Vordenker einer reaktionären Renaissance
Sarrazin zitiert zustimmend die Klage der Italienerin Oriana Fallaci über die "Demagogie, die im Namen der Gleichheit Leistung und Erfolg, Werte und Wettbewerb negiert, die eine Mozart-Symphonie und eine Monstrosität namens Rap ... auf ein und derselben Ebene ansiedelt." Er zitiert nicht Adolf Hitler, der 1928 im Berliner Sportpalast sagte: "Das deutsche Volk hat seinen spezifischen Wert und kann nicht 70 Millionen Negern gleichgesetzt werden. ... Negermusik herrscht, aber setzen wir einem Jimmy eine Symphonie Beethovens entgegen, so ist der Sieg entschieden."
Aber wenn die Menschen und Kulturen und Rassen nicht gleich sind, wenn die einen höher stehen als die anderen, dann können die Hohen wohl auch den Anspruch erheben, die Niedrigen zu beherrschen? Mit den besten Argumenten, und sogar zum Nutzen der Beherrschten.
Sarrazin zieht diese Konsequenz nicht. Das überlässt er anderen. Er arbeitet am Fundament einer neuen nationalkonservativen Ideologie. Gegen Frauen, Homosexuelle, Muslime, Migranten und Linke: Sarrazin schließt die argumentative Versorgungslücke, die sich beim auf Ressentiment sinnenden Kleinbürgertum auftut. Er ebnet Gedanken und Argumentationsfiguren den Weg in die Mitte der Gesellschaft, die sich unlängst noch am rechten Rand herumgedrückt haben.
Thilo Sarrazin ist der Vordenker einer reaktionären Renaissance.