
Auf den Spuren von "Justified" Mehr Kumpel als Gangster
"Man wird dort wahrscheinlich auf Sie schießen", sagt Margene Lyon warnend mit erhobenem Zeigefinger und wünscht dann weiterhin eine gute Reise nach Harlan County. Die alte Dame aus Tennessee kennt den kleinen Landkreis im tiefsten Kentucky noch aus ihrer Jugend.
In den dreißiger Jahren herrschten dort raue Sitten. Brutal unterdrückte Bergarbeiterstreiks gaben der Gegend den Spitznamen "Bloody Harlan". Ein Freund von Lyons Familie war zu dieser Zeit dort Sheriff - und in seinen Geschichten drehte es sich immer um Mord und Totschlag.
Um jede Menge Gewalt und Verbrechen geht es auch in den Büchern des Krimiautors Elmore Leonard, die in Harlan County spielen. Darauf basierend produziert der US-Fernsehsender FX seit drei Jahren die erfolgreiche Serie "Justified". Auch im TV ist Harlan County vor allem eines: kriminell gefährlich.
Die knapp 30.000 Einwohner des verschlafenen Landkreises erkennen ihre Heimat allerdings auf der Mattscheibe häufig nicht wieder. Und das hat nur bedingt damit zu tun, dass die Serie aus Kostengründen im fernen Kalifornien gedreht wird.
"Nur der Vorspann wurde hier produziert", sagt Tracy Bailey vom hiesigen Fremdenverkehrsamt. "Sie haben dafür das Kunststück fertiggebracht, den einzigen zwielichtig aussehenden Nachbarn aus meiner Straße im Vorbeifahren zu filmen." Der Mann sei ein lieber Kerl - und wusste bis vor kurzem überhaupt nicht, dass er regelmäßig im Fernsehen zu sehen ist.
Die echte Mags Bennett
In Harlan und Umgebung geht es recht friedlich zu. Hier gibt es Hunderte kleine Kirchen, und der Ausschank von Alkohol ist nur in einer einzigen Gemeinde im Kreis erlaubt. Die größte Aufregung im County verursachen Schwarzbären, die sich manchmal im Stadtgebiet sehen lassen. Die Wappentiere von Harlan durchwühlen dann die Mülltonnen. Natürlich existiert auch ein verrufenes Viertel mit Drogenproblemen. Aber das trägt zumindest den malerischen Namen Sunshine - Sonnenschein.
"In der ersten Staffel von 'Justified' treiben bei uns Neonazis mit Raketenwerfern ihr Unwesen", sagt Jerry Asher und muss lachen. "Was für ein Schwachsinn." Der ehemalige Minenarbeiter und ehrenamtliche Helfer im Kentucky Coal Mining Museum schlägt die Hände über den Kopf zusammen.
Seit einiger Zeit berät er die Macher der Serie, damit "Justified" ein wenig realistischer wird. "Ich schaue mir unsere alten Zeitungsarchive an und schicke ihnen dann interessante Geschichten", sagt Asher. Manchmal gibt er ihnen nur typische Redewendungen, die dann in die Dialoge einfließen. Inzwischen waren die Autoren schon ein paar Mal auf Recherchereise in Harlan. Und auch die "Justified"-Schauspieler Walton Goggins und Jeremy Davies verirrten sich in den Südosten von Kentucky.
Ashers Missionierungsdrang trägt Früchte: Die Figur der Mags Bennett, die in der zweiten Staffel von "Justified" der Oberbösewicht ist, hat ein reales Vorbild. Die besagte Dame versorgte jahrzehntelang Harlan County mit schwarz gebranntem Schnaps. Mit den Erlösen ihres kriminellen Imperiums finanzierte sie die College-Ausbildung von Richtern, Polizisten und Ärzten in der Umgebung. Ein Umstand, der ihr bis zu ihrem Tod eine Art Gehe-nicht-ins-Gefängnis-Karte bescherte.
Abgeschieden am Black Mountain
Immer mehr Touristen kommen nun nach Harlan County, um auf den blutigen Spuren von "Justified" zu wandeln. Im Besucherzentrum von Harlan hat man für sie eine kleine Vitrine mit Requisiten aus der TV-Serie gefüllt: Ausweise, Namensschilder und anderen Kleinkram gibt es zu sehen. Als Highlight dürfen Fans eine Jacke anprobieren, die Hauptdarsteller Timothy Olyphant bei den Dreharbeiten trug. Sie ist überraschend klein.
Im Harlan County freut man sich über die zusätzlichen Besucher und noch mehr über die neue Einnahmequelle. Dem Landkreis geht es finanziell nicht besonders gut. Die hiesige Bergbauindustrie, die einst den Aufstieg von Harlan begründete, befindet sich in der Krise. Erst vor kurzem wurde wieder eine Kohlenzeche geschlossen, Hunderte Kumpel verloren ihren Job. Der Tourismus soll für ein wenig Aufschwung sorgen.
Dabei setzt man vor allem auf Outdoor-Aktivitäten: Ein riesiges Offroad-Areal für Quadfahrer, jede Menge Wanderpfade und die längste Seilrutsche Kentuckys locken schon jetzt Abenteuerlustige in die Gegend um Harlan. Auch die Geschichte der Minenstädte möchte man den Besuchern näherbringen. Der ehemalige Schacht Portal 31 wurde aufwendig zum Erlebnismuseum umgebaut und erzählt eindrucksvoll vom Schicksal der Kumpels.
Nicht gerade förderlich für den Tourismus ist jedoch die abgeschiedene Lage der Gemeinden am Black Mountain. "In 'Justified' sieht es immer so aus, als ob wir nur einen Katzensprung von Lexington entfernt sind", sagt Jerry Asher. "Dabei dauert die Autofahrt von dort hierher über drei Stunden." Für Fans der Serie sollte dies jedoch kein Hinderungsgrund sein, um nach Harlan zu fahren: Auch ohne Neonazis und Raketenwerfer lohnt sich der Trip. Und es wird auch nicht auf einen geschossen.