FILM Wim's Nick
Eine chinesische Dschunke treibt, offenbar unbemannt, den East River hinab durch New York aufs offene Meer zu; auf dem Deck eine lackschwarze Urne, ein Schneidetisch und eine laufende, sich geisterhaft drehende Filmkamera: seltsam schöne, seltsam pathetische Bilder. Nicholas Ray hat sie im Frühjahr 1979 inszeniert, 67jährig, kurz vor seinem Tod -- für einen Film, der von seinem Tod handeln und sein Epitaph sein sollte.
Von diesem Film, den er damals zusammen mit Ray zu drehen begann S.216 und der »Lightning Over Water« heißen sollte, erzählt nun Wim Wenders in »Nick's Film": Von ihnen selbst sollte er handeln; von der Freundschaft zwischen einem jungen deutschen Regisseur, der eben in Hollywood Fuß zu fassen beginnt, und einem großen alten Kino-Abenteurer, dem bewunderten Regisseur von »Johnny Guitar« und »Denn sie wissen nicht, was sie tun«, den der Hollywood-Apparat längst verachtungsvoll ausgespuckt hat; und sie selbst wollten die Hauptrollen spielen.
Mit dem Tag, an dem Wenders aus San Francisco zu Besuch nach New York kam und die Idee zu diesem gemeinsamen Film entstand, sollte er beginnen und quasi dokumentarisch Rays Leben und Arbeiten angesichts des nahenden Krebstodes zeigen.
Er sollte aber auch fiktiv die Rolle, die Ray in Wenders' Film »Der amerikanische Freund« gespielt hatte, weiterentwickeln, die Figur eines Künstlers, der längst als tot gilt und im Verborgenen von »Fälschungen« seiner eigenen Werke lebt; und er sollte vom Aufbruch dieses alten Künstlers zu seiner letzten Reise erzählen, mit der Dschunke ostwärts nach China, auf der Suche nach einem Geheimmittel gegen den Krebs, gegen den Tod.
Sonderlich klar kann den beiden dieses Konzept nie gewesen sein; und vielleicht wußten sie insgeheim, jeder für sich, daß die Kunst-Partie gegen den realen Tod, die sie spielten, nicht zu gewinnen war. Wochenlang haben sie an der Rekonstruktion ihres ersten Tages geschrieben, probiert und gedreht, im Wechsel jeder jeweils für den anderen Darsteller oder Regisseur.
So ist, bewußt »schön« photographiert, ein eleganter und fast altmodisch gefühlvoller amerikanischer Film-Anfang entstanden: Exposition eines Ortes -- Rays weitläufig chaotische New Yorker Loft-Wohnung im frühen Morgenlicht; Exposition einer Beziehung -- hier die sanft stilisierte Scheu des jungen Deutschen, da die Impulsivität des elend abgemagerten, hustenden, krächzenden und doch seinen Raubvogelkopf stolz reckenden alten Amerikaners; Exposition eines Klimas -- sorgenvolle Hilflosigkeit voreinander schlägt um in kindliche Unternehmungslust: Let's make a movie!
Mit diesem Film-Beginn beginnt nun »Nick's Film«. Was darüber hinaus zustande kam, ist Fragment: nachgestellt Dokumentarisches (Ray auf der Fahrt zum Vassar-College, wo er vor Studenten einen Vortrag hält, Ray als Regisseur bei einer Theaterprobe zu Kafkas »Bericht für eine Akademie"), Rays Dschunken-Bilder, preziöse Alptraum-Tableaus von Wenders (Ray als delirierender König Lear in einem weißen Klinikbett, dann Wenders selbst an dessen Stelle in blutigem Licht) und zuletzt ein Monolog des Sterbenden vor der Kamera, für die Kamera -- er will, als er zu Ende ist, zum Kameramann nicht »aus« sagen, weil er weiß, daß diesmal »aus« für immer »aus« heißt.
Was die Bruchstücke in »Nick's Film« zusammenhält, ist Video-Material, das Rays Assistent während der Arbeit gedreht hat. Seine Verwendung erst macht »Nick's Film« zu einem Film über die Entstehung eines Films über die Entstehung eines Films. Wenn Wenders, von der eigenen Virtuosität fasziniert, manchmal Bild um Bild dieses grelle Roh-Material und seine sorgsam schattierten Kino-Arrangements gegeneinandersetzt, spielt er skeptisch den »Wahrheits«-Charakter des Inszenierten und des Authentischen gegeneinander aus: Noch mal ein Künstler, der seine eigenen Werke »fälscht«.
Doch das ist nicht das Thema. »Nick's Film« zeigt, wie ein sterbender alter Mann nicht, in klinisches Weiß verpackt und durch schonendes Schweigen stumm gemacht, zu krepieren bereit ist, sondern zu Hause zusammen mit Freunden seinen Tod als letzte Aufgabe, letzte Arbeit begreift.
Die Frage, ob da nicht Wenders noch seine Agonie schamlos ausbeute, stellt Ray selbst im Film, dem Drehbuch gemäß -- und damit ist sie beantwortet. Er hat sein Sterben leben, und das heißt für ihn: filmen wollen. Wenders hat dabei geholfen -- und am Rand auch ein wenig sich selbst verklärt.
»Nick's Film« ist ein leises, sentimentales Denkmal für diesen tapferen alten Mann. Es schafft, was der gebrochene, abgetakelte Hollywood-Veteran sich mit heroischem Pathos von »Lightning Over Water« erhofft hatte: seine Integrität zurückzugewinnen, sein Selbstgefühl, seine Würde. Ein Denkmal auf Zelluloid, worauf sonst? Leer laufende Kamera auf einer chinesischen Dschunke. Urs Jenny