Geheimprozeß vor MI 5
Einmal mehr bewies Kim Philby, daß er ungewöhnlich starke Nerven besaß: Statt bei erster Gelegenheit ebenfalls zu fliehen, kehrte er nach London zurück und setzte sich der Gefahr einer peinlichen Untersuchung aus.
Doch auch jetzt noch hatte er eine gute Chance. Es ließ sich freilich nicht ändern, daß ausgerechnet MI 5 (Spionageabwehr) beauftragt worden war, die Frage nach dem »dritten Mann« zu untersuchen. Sobald aber MI 5 einen SIS-Beamten wie Philby unter die Lupe zu nehmen begann, mußten zwei recht entgegengesetzte Auffassungen von Sicherheitspolitik aufeinanderstoßen.
Das Arbeitsprinzip von MI 5 bestand darin, Akten und Dokumente sorgfältig zu prüfen; die Organisation setzte sich aus Agentenjägern zusammen, die Erfahrung darin hatten, gegen Verdächtige Beweise beizubringen. Der Grundsatz des rivalisierenden Seeret Intelligence Service dagegen hieß: persönliches Vertrauen.
Wie vorauszusehen, gerieten die beiden Organisationen sofort in Streit, welches Verfahren im Falle Philby anzuwenden sei. MI 5 wollte eine
© 1967 The Sunday Times und Opera Mundi. gründliche Untersuchung vornehmen; der SIS machte einen Gegenvorschlag: General Sir Stewart Menzies -- noch immer Chef der Organisation -- sollte sich einen Tag lang mit Philby unterhalten, um herauszufinden, ob irgend etwas nicht in Ordnung sei. Dieser Vorschlag wurde von MI 5 selbstverständlich abgelehnt.
Der Streit verschärfte sich durch die inzwischen schon traditionellen Feindseligkeiten zwischen Mitgliedern des SIS und des MI 5. Zu Beginn des Krieges war der MI 5 von Grund auf reorganisiert worden, energische Zivilisten, ausgebildete Nachrichten-Leute, kontrollierten die Operationen aufs genaueste.
Chef von MI 5 war seit 1946 ein in der Unterwelt gefürchteter Polizeibeamter, Sir Percy Sillitoe; als seine rechte Hand fungierte Dick White, der 1936 als junger Akademiker zu MI 5 gestoßen war. Nach und nach konnte MI 5 einige berühmt gewordene Erfolge im Kalten Krieg für sich verbuchen, zum Beispiel die Entlarvung der Spione Nunn May und Klaus Fuchs.
Der SIS dagegen war durch Zufall einer Reorganisation entgangen; seine Führungsspitze setzte sich nach wie vor aus früheren Militärs zusammen; außerdem gab es den alten Stamm der ehemaligen Polizeibeamten aus Indien, und es war noch nicht allzu lange her, daß der stellvertretende SIS-Chef Oberst Claude Dansey sagen konnte, er werde »niemals einen Akademiker einstellen«.
Freilich zeigte sich dann, daß der SIS große Schwierigkeiten hatte, dem robusten sowjetrussischen KGB gewachsen zu bleiben »Es war damals einfach unmöglich, wirklich wichtige Nachrichten aus Rußland zu bekommen«, sagte ein ehemaliger SIS-Mann, »und das änderte sich erst, als in den sechziger Jahren Penkowski zu uns kam.«
Der SIS war entschlossen, nicht auf Philby, der noch immer als der beste Mann galt, zu verzichten. Das Gefühl, vom MI 5 unter Druck gesetzt zu werden, bekräftigte nur diesen Entschluß.
Philby blieb zunächst nichts anderes übrig, als seine Tarn-Position beim Foreign Office aufzugeben. Mit diesem »Rücktritt« versuchten denn auch sowohl Harold Macmillan im Jahre 1955 sowie Edward Reath im Jahre 1963 in ihren Erklärungen vor dem Unterhaus, die Gemüter zu beruhigen. Reath sagte, Philby sei vom Außenminister im Juli 1951 aufgefordert worden, zurückzutreten, »was er auch getan hat«.
Dann erklärte Heath, daß Philby eine Zeitlang »irgendeine Stelle hatte, die er sich wahrscheinlich selbst verschaffte«. Im Jahre 1956 habe das Foreign Office beim »Observer« angefragt, ob Philby dort eine Anstellung bekommen könne. Und natürlich sei Philby als Korrespondent für den »Observer« tätig gewesen, als er im Januar 1963 floh.
Sogar kritische Abgeordnete mußten den Eindruck gewinnen, Philby sei 1951 gänzlich aus dem Staatsdienst entlassen worden. In Wahrheit verlor er nur einen angesehenen Posten in Amerika. Vielleicht wurde innerhalb des SIS ein wenig darüber diskutiert, wie man von Kims Begabung weiterhin Gebrauch machen könne -- auf jeden Fall aber war er am Ende des Jahres wieder dabei. Er arbeitete abermals als wichtiger Agent »an der Front«, diesmal auf Zypern.
Es scheint allerdings, als habe ihn der SIS in einem komplizierten und gefährlichen Spiel eingesetzt -- wahrscheinlich sollte er versuchen, nach Rußland zu gelangen und dort bessere Informationen zu beschaffen.
Und während sich Philby an seinen neuen Auftrag machte, begann MI 5 unter der Leitung von Dick White die Karriere Philbys gründlich zu untersuchen; Philby wußte, daß eine solche Untersuchung früher oder später zu einem neuen Angriff auf seine Position führen mußte.
In einer kleinen, klatschsüchtigen Kolonie wie Zypern kann ein Neuankömmling kaum lange Zeit verheimlichen, wer er ist. Nachdem Philby im Oktober 1951, drei Monate nach seiner Amtsniederlegung«, auf Zypern eingetroffen war, wurde er daher bald in der Gesellschaft herumgereicht.
Nach und nach entstand der Eindruck, Philby habe irgend etwas mit dem »British Middle Bast Office«, dem Britischen Nahost-Amt, zu tun. Ein Bekannter fragte ihn gelegentlich, was er eigentlich vorhabe. »Leute unter die Lupe zu nehmen«, antwortete Philby. »Aber das ist doch meine Aufgabe.« Philby grinste. »Ich glaube, es ist Platz genug für uns beide.«
Philbys Büro befand sich in einem der Gebäude einer Agrarforschungs-Station in der Nähe von Athalassa, die »das Gestüt« genannt wurde. Seltsamerweise war die Forschungsstation mit Sendemasten, unterirdischen Tunneln und starker Bewachung versehen.
Philby hielt sich selten dort auf. Seine eigentliche Tatigkeit bestand darin, SIS Aufträge zu erfüllen. Statt ein Agentennetz zu leiten, arbeitete Kim Philby jetzt selbst als Agent. Während dieser Periode zeigte er plötzlich ein starkes Interesse für armenische Volksmusik und unternahm auffallend haufig Ausflüge, die ihn von Zypern wegführten.
Immer wieder ließ er sich im »Melkonian Institute« sehen, wo sich viele Armenier aus allen Ecken der Levante, hauptsächlich Flüchtlinge aus dem sowjetischen Armenien, trafen. Es heißt auf Zypern, man habe vom Melkonian Institute aus in vier Tagen eine Botschaft nach Sowjet-Armenien schicken können.
Als guter Klavierspieler konnte Philby sein Interesse für das Melkonian Institute mit seiner Musikliebe begründen. Etwas schwerer waren allerdings seine Ausflüge zu erklären, vor allem seit einer grotesken Begegnung im Winter 1952 in der Osttürkei.
Damals fuhren zwölf Wissenschaftler des British Council zu einer Expedition in ein Gebiet nahe der türkischrussischen Grenze. Sie hielten in dem türkischen Grenzdorf Bayazit, um zu tanken. Der Tankwart erzählte ihnen, es sei noch ein anderer Engländer im Ort. ein Mann, der mit Rucksack zu Fuß unterwegs sei.
Die Wissenschaftler hielten das für höchst unwahrscheinlich. Auf der Straße waren sie an keinem Menschen vorbeigekommen. Und was hatte auch ein einzelner Engländer in einem Gebiet zu suchen, das unter derart scharfer militärischer Kontrolle stand? Trotzdem stapften die Forscher durch den Schnee in das Dorf. In einer Teestube. einer Baracke aus Blech und Zeltpfählen. fanden sie den Engländer; er trank Tee, rauchte eine Zigarette und unterhielt sich auf Türkisch mit den Einheimischen: Es war Klm Philby.
Einer der Wissenschaftler erkannte ihn und fragte, was er um Himmels willen hier mache. Philby reagierte bemerkenswert gelassen: »Ich suche geologische Proben. Ich bin im Urlaub.« D. der Wissenschaftler von Philbys Beziehungen zum SIS gehört hatte, fragte er nicht weiter. Sie nahmen Philby im Auto bis Erzurum mit. Als sie ihn abgesetzt hatten, debattierten die Forscher darüber, wie er nach Dogubayazit gekommen sein mochte.
Sie waren auf der Straße von Kars nicht an ihm vorbeigefahren; den Weg von Norden her hatte er nicht nehmen können, weil er wegen der Schneefälle unpassierbar war. An den Kontrollstellen auf der Straße nach Erzurum war Philby keinem der Wachtposten bekannt gewesen -- also konnte er auch nicht von dort gekommen sein.
So gab es offensichtlich nur eine Möglichkeit: Philby mußte eine Straße genommen haben, die von Eriwan in Sowjet-Armenien rund um den Ararat nach Dogubayazit führt. Die Grenze wurde damals auf der Seite der Türkei nur oberflächlich überwacht.
Auf der sowjetischen Seite aber war sie mit zwei Stacheldraht-Zäunen abgesperrt; außerdem gab es Wachtürme im Abstand von jeweils einer halben Meile. Wenn Philby von Rußland aus in die Türkei gekommen war, dann hatte er entweder ein unglaubliches Risiko auf sich genommen -- oder von sowjetischer Seite die Erlaubnis gehabt, die Grenze zu passieren. Die Wissenschaftler des British Council, die ohnehin gelegentlich mit SIS-Leuten zusammentrafen, hielten es für das beste, den Vorfall zu vergessen.
Während Philby von Zypern aus seine abenteuerlichen Unternehmungen betrieb, hatte der MI 5 die Untersuchung über die Vergangenheit des prominenten SIS-Mannes fortgeführt. Nach etwa einjähriger mühseliger Ermittlungsarbeit beschloß man, eine Art Scheinprozeß ohne authentischen Richter abzuhalten. In diesem Verfahren sollte festgestellt werden. ob bei einem Strafantrag gegen Philby mit einer Verurteilung zu rechnen sei.
Die Schein-Ankläger hatten indes nur wenig präzises Beweismaterial in der Rand. Sie konnten sich im wesentlichen nur an die beiden fehlgeschlagenen Operationen halten, die Wolkow-Affäre und das Fiasko der Albanien-Aktion.
Im Sommer 1952 wurde Philby endlich nach London zitiert, um sich seinen Anklägern zu stellen. Obwohl er in beide Fälle tief verwickelt war, wurde der Prozeß ein peinlicher Fehlschlag für die Behörden. Die Verhandlungen dauerten drei Tage, und an keinem Tag machte der Beschuldigte das geringste Geständnis.
Der führende Vertreter der Anklage war ein erfahrener Mann des MI 5, Helenus »Buster« Milmo. Einer der Geheimdienst-Juristen, die an der Verhandlung teilnahmen, faßte das rhetorische Turnier später mit den Worten zusammen: »Es war, als werde der gescheiteste Mensch der Welt vom größten Dummkopf ins Kreuzverhör genommen.« In der Tat verteidigte sich Philby so geschickt, daß ein anderer als Milmo die Sache auch nicht besser gemacht hätte.
Philby verfuhr nach einer relativ simplen Technik: Er leugnete alles und antwortete auf einfache Fragen so umständlich wie möglich ("Ich weiß, es macht einen merkwürdigen Eindruck, aber ich habe es nicht getan. Und so ist das auch gar nicht gewesen.")
Und da außer Philbys Beziehung zu Burgess in Washington kein konkreter Beweis vorhanden war, konnte die Anklage ihn nicht widerlegen.
»War damals schönes Wetter?« fragte Milmo zum Beispiel.
»Ich glaube, es war 15 Grad über Null, ein leichter Wind kam von Nordwest, es war etwas bewölkt« antwortete Philby, »ja doch, ich glaube, man könnte sagen, daß schönes Wetter herrschte.«
Selbst wenn der Befragte nicht stottert, können solche Antworten auf die Dauer jeden Fragesteller zermürben. Milmo wurde allmählich gereizt.
Die meisten SIS-Leute, die das Verfahren gegen Philby ohnehin für überflüssig hielten, fühlten sich durch den Verlauf der Verhandlung in ihrer Auffassung bestätigt. Die Männer vom MI 5 dagegen glaubten, diese pseudojuristische Farce habe Philby nur die im Ton zwar höfliche, sich aber endlos hinziehende Vernehmung durch den gefürchtetsten Ermittlungsbeamten des Geheimdienstes, William Skardon erspart.
Philby hatte die vom MI 5 so sorgsam vorbereitete Untersuchung überstanden, und doch kam er in seiner Agentenlaufbahn nicht recht weiter. Im Oktober 1955 ereignete sich vielmehr ein grotesker Zwischenfall. Der Parlamentsabgeordnete Oberst Marcus Lipton fragte im Unterhaus, ob Philby etwa »der dritte Mann« sei, der den Sowjet-Agenten Maclean und Burgess die Flucht ermöglicht habe.
Die Anfrage elektrisierte das Parlament, und noch heute ist nicht völlig geklärt, was eigentlich gespielt wurde. Oberst Lipton selbst glaubt offenbar, die CIA habe ihm die Information zugeschoben, um die Regierung Englands derart in Verlegenheit zu bringen, daß sie etwas gegen Philby unternehmen müßte.
Eine eher machiavellistische Deutung spricht davon, Philbys eigene Freunde hätten die Sache arrangiert in der Erwartung, daß der Regierung nichts anderes übrigbleiben würde, als Philby zu rehabilitieren.
Die Wahrheit ist prosaischer. Liptons Informant war der Gerichtsreporter der »Empire News«, Johnny Hunt-Crowley. Der Herausgeber der »Empire News«, Jack Fishman, bediente sich eines alten journalistischen Tricks, mit dem eine Zeitung die Verleumdungsgesetze umgehen kann. Die Taktik beruht darauf, daß Zeitungen ungestraft alles veröffentlichen dürfen, was im Parlament während einer Debatte gesagt worden ist.
Fishman leitete zwei Labour-Abgeordneten, die für ihre allgemeingehaltenen Fragen im Parlament bekannt waren, eine Information zu: Oberst Lipton und Norman Dodds. Wie allerdings Fishman selbst überhaupt etwas über Philby erfahren hat, darüber äußert er sieh zurückhaltend und erzählt etwas von ostdeutschen Kontakten«.
In Wirklichkeit dürfte ein Kontaktmann des MI 5 dem »Empire News«-Reporter Hunt-Crowley Material über Philby zugespielt haben. Der Abgeordnete Lipton wurde schließlich noch bestärkt durch einen Artikel aus der »New York Sunday Times«, den Hunt-Crowley ihm zu lesen gab. Lipton glaubte, die Behauptungen dieses Berichts gingen auf die Beschuldigungen zurück, die von der amerikanischen CIA gegen Philby erhoben wurden. Daß der ganze Artikel in der Redaktion der »Empire News« in London geschrieben war, konnte er· nicht ahnen.
Die einzige offizielle Reaktion auf Liptons parlamentarische Frage allerdings muß die Drahtzieher der Aktion überrascht haben. Außenminister Harold Macmillan versicherte kategorisch: »Ich habe keinen Grund, zu der Schlußfolgerung zu kommen, daß Mr. Philby zu irgendeiner Zeit die Interessen Englands verraten hat oder daß ich in ihm den sogenannten »dritten Mann« zu sehen habe -- falls es überhaupt einen gegeben hat.«
Für den triumphierenden Philby der sich in der anschließenden Pressekonferenz höchst ungezwungen gab, sah es wie die endgültige Rehabilitierung aus.
Harold Macmillan erklärte einmal, als von den Geheimdienst-Organisationen die Rede war: »Ich erwarte nicht, daß der Jagdhüter jedesmal zu mir kommt und es mir meldet, wenn er einen Fuchs gefangen hat.« Er hielt sich an den Kodex« der besagt, Politiker sollten von ihren Nachrichten-Netzen wenig wissen und sich noch weniger um sie kümmern. Tatsächlich hatte Macmillan keine sonderliche Hochachtung vor der Ausbeute der Geheimdienste.
So sah er sich in einer unangenehmen Lage, als in der zweiten Oktoberhälfte 1955 eine Zusammenfassung des Falles Philby auf seinem Schreibtisch landete. Er hielt die Philby-Affäre für ein internes Gezänk« das die einander bekämpfenden Geheimdienste unter sich hätten ausmachen sollen. Statt dessen, so erklärte er, sei die Sache aufgeblasen worden und setze jetzt die Regierung in Verlegenheit. Und nun solle er den Schiedsrichter spielen.
Ohnehin konnte er mit dem Schriftstück nicht viel anfangen. Es war von dem Ständigen Staatssekretär des Foreign Office, Sir Ivone Kirkpatrick, und dem damaligen Foreign-Office-Berater beim SIS, Sir Patrick Dean, zusammengestellt worden und führte im einzelnen nur an, was als einwandfrei bewiesen gelten konnte: die kommunistische Vergangenheit Philbys und seine »unkluge Beziehung zu Burgess«, wie die offizielle Formel lautete.
Selbstverständlich gab es damals auch eine nicht unbedeutende Lobby, die sich für Philby einsetzte; an ihrer Spitze stand der einflußreiche konservative Abgeordnete Richard Brooman-White, ein ehemaliger SIS-Mann. Dennoch beweist nichts, daß ihr Vorhandensein für Macmillan ausschlaggebend war.
Macmillan fand einen Kompromiß. Nach außen hin lag ihm vor allen Dingen daran, daß er seine bekannte Auffassung von der Freiheit des einzelnen und der Staatsgewalt nicht verleugnen mußte. Daher war er bereit, ins Unterhaus zu gehen und Philby zu entlasten -- weil es keine Beweise gab.
Intern aber lautete sein Urteilsspruch kurz und bündig: Philby müsse gehen. Auf die Frage, wie es in diesem Zusammenhang mit der Freiheit des einzelnen bestellt sei, antwortete Macmillan: »Ich erschieß ihn ja nicht, ich feuere ihn nur »raus.«
Philby wurde im Oktober 1955 entlassen. Mindestens sechs Monate lang hatte er keine feste Stellung. Als er jedoch im September 1956 als Korrespondent des »Observer« und des »Economist« nach Beirut ging, war er insgeheim wieder als SIS-Frontagent angestellt. Und dem »Observer« -- seiner »Tarnfirma« hatte ihn ein höherer Beamter des Foreign Office empfohlen.
Schließlich arbeitete dann aber doch die Zeit gegen die wenig rühmliche Tradition des SIS. Schon 1953 war es zu einer gewissen Reform gekommen, als dem SIS ein Berater des Foreign Office beigegeben wurde. Der erste Inhaber dieses Postens, Sir George Clutton, später Botschafter in Warschau, sorgte tatsächlich dafür, daß die SIS-Operationen vom Foreign Office etwas besser kontrolliert wurden.
Cluttons Nachfolger, Michael Williams, war dann in jenes Unheil verwickelt, das die alte Ordnung gänzlich beseitigte -- die berüchtigte Eskapade des Fregattenkapitäns Crabb im April 1956. Froschmann Crabb kehrte von einer Unterwassermission gegen den schweren Kreuzer »Ordschonikidse«, mit dem die Sowjetführer Bulganin und Chruschtschow zu Besuch nach England gekommen waren, nicht zurück.
Als Schwanengesang der alten SIS-Garde hatte dieses Unternehmen den rechten pathetischen Klang. Daß man überhaupt auf einen derart unüberlegten und so unvorstellbar riskanten Plan verfiel, ist bezeichnend für den alten SIS, der für die Gefahren seiner Aufgabe völlig unempfindlich war.
Die Crabb-Affäre hatte nur einen Vorteil -- sie versetzte die Politiker endlich in einen solchen Zorn, daß sie den SIS radikal reorganisierten. Premierminister Anthony Eden bekannte sogar, er betrachte die ganze Operation als einen »persönlichen Affront«.
Der alte SIS-Chef trat sofort zurück und Williams, der unglückselige Foreign-Office-Berater, wurde versetzt. Die Entscheidung über den neuen SIS-Leiter verblüffte die Geheimdienst-Welt. Dick White wurde offiziell zum Chef des SIS ernannt.
Sir Dick White, Zivilist und »gelernter« Nachrichtenmann, war drei Jahre zuvor als Nachfolger Sillitoes an die Spitze von MI 5 gerückt. Daß der Chef von MI 5 jemals auf die andere Seite der Barrikade zum SIS hinüberwechseln würde, hätte niemand für denkbar gehalten.
Aber die Ernennung wurde durchgesetzt, hauptsächlich von Harold Macmillan, dem damaligen Außenminister, und zwar mit der aufschlußreichen Begründung, Sir Dick sei »der einzige Mann, dem wir trauen können«.
Schon sehr bald nach seiner Amtsübernahme im Juli 1956 machte White die verblüffende Entdeckung, daß sein altes Schreckgespenst, Klm Philby, noch immer im Geheimdienst herumspukte. Während White sich außerordentlich erregte, reagierte Macmillan mit bemerkenswerter Gleichgültigkeit. Er hielt von politischer Informationsbeschaffung so wenig, daß er offenbar glaubte, Philby könne von Beirut aus keinerlei Schaden anrichten.
Im April hatte Philby die ersten Verhandlungen geführt, um sich eine neue Tarnbeschäftigung als Korrespondent in Beirut zu verschaffen. Ein höherer Foreign-Office-Beamter war seinetwegen offiziell an den »Observer herangetreten, und fast gleichzeitig hatte sich Philby durch einen Mittelsmann an den »Economist« gewandt.
Im Foreign Office war man offensichtlich besonders daran interessiert, Philby in dem wichtigen Spionagezentrum Beirut unterzubringen. Als Sir Dick White sein Amt übernahm, waren die Verhandlungen praktisch abgeschlossen. Whites Mißtrauen hatte sich, als Philby im September nach
»Beim Verlassen des Hafens von Portsmouth am 27. April 1956.
Beirut abreiste, zu einem sicheren Verdacht verstärkt.
Ohne jegliche Mühe wurde Kim Philby der populärste Mann der britisch-amerikanischen Kolonie in Beirut. Der englischsprechende Kreis ähnelte einem klatschsüchtigen Dorf und war durch Fehden und Zänkereien gespalten. Klm war ziemlich häufig betrunken, kippte bei Partys um oder benahm sich auffallend, wenn es ihm gelang, sich auf den Füßen zu halten. Zudem hatte er sich in Beirut dadurch in die Gesellschaft eingeführt, daß er einem anderen Mann die Ehefrau wegnahm: Eleanor Brewer, Frau des »New York Times«-Korrespondenten Sam Pope Brewer, wurde Frau Philby 111.
Trotzdem wurde er -- selbst in den letzten Monaten, als er allmählich unter der unerträglichen Last der Tarnung zusammenbrach -- immer wieder eingeladen. Betrunken oder nüchtern -- Philby gehörte zu den wenigen Männern, die in den Frauen einen Beschützerinstinkt wecken und dabei zugleich männlich wirken und respektiert werden. Im ganzen Libanon hatte er keinen einzigen Feind.
Anfangs war man ihm gegenüber ein wenig zurückhaltend gewesen, da ihm immer noch etwas von der Debatte um den »dritten Mann« anhaftete. Aber das änderte sich bald. Man sah in Philby einen Mann, den das Glück im Stich gelassen hatte und der nun erbittert versuchte, sich in dem harten Konkurrenzkampf der Auslandskorrespondenten durchzusetzen.
Der schlimmste Fehler, den ihm seine Freunde allenfalls vorwerfen mochten, war die unkluge, aber nicht unehrenhafte Freundschaft mit dem merkwürdigen Burgess. Sie wußten nicht -- oder nahmen nicht zur Kenntnis -, daß Philby viel Zeit mit den in Beirut stationierten SIS-Beamten verbrachte und oft nach Zypern fuhr.
Als Journalist hatte er von Anfang an manche Vorteile. Er sprach etwas Arabisch, kannte den Nahen Osten ziemlich gründlich -- und er war natürlich der Sohn des berühmten Araberfreundes St. John Philby. Der Ruhm des Vaters wirkte auf Kim zurück; nach Ansicht der Araber war seine Herkunft makellos, und bald hatte er überall Freunde.
Zielstrebig baute Philby auch seine offiziellen Kontakte aus. Er verbrachte mehr Zeit als alle anderen Auslandskorrespondenten mit Beamten der britischen und ·der amerikanischen Botschaft. Er sprach ständig beim Chef der SIS-Abteilung vor, einem seiner alten Freunde, und ging sehr kollegial mit Miles Copeland um, von dem jedermann wußte, daß er ein ehemaliger CIA-Mann war.
Philby war der am besten unterrichtete Mann in Beirut. 1958 sagte er zum Beispiel mit Sicherheit voraus, daß die amerikanischen Marinesoldaten im Libanon landen würden -- drei Tage, ehe sie tatsächlich eintrafen.
So vergingen in Beirut fünf Jahre. Philby hielt einen geregelten Tagesablauf ein, soweit das einem Journalisten möglich ist. Er stand um 10 Uhr auf, meistens verkatert; trank eine nach eigenem Rezept hergestellte »Prärieauster« und ging die wenigen hundert Meter zur Normandy Bar hinunter.
Dort sah er seine Post durch und trank den ersten Schnaps des Tages. Nachmittags hielt er meistens in der Bar Hof, und das Abendessen nahm er oft auswärts mit dem einem oder anderen aus seinem weiten Freundes- und Bekanntenkreis ein.