Sexualität Gen-Mutation dosiert Begierde

Erregbarkeit, Begierde und sexuelle Funktion werden von einem einzelnen Gen beeinflusst. Im Test stellte sich heraus: Wer eine bestimmte Gen-Variante in sich trägt, ist stärker erregbar. Daraus folgern die Forscher: Auch wenig Lust zu haben ist ganz normal.


Manche Menschen wollen häufiger als andere. Nicht jeder ist gleich stark erregbar. Kurz, die Freude an der Paarung ist beim Homo sapiens unterschiedlich ausgeprägt. Die Psyche wurde bislang ebenso für eine Erklärung bemüht wie der Pegel von Sexualhormonen im Blut. Nun lenkt ausgerechnet ein Psychologe den Blick auf das Erbgut: Sexuelle Begierde, Erregbarkeit und Funktionen hängen seiner Untersuchung nach auch davon ab, welche Variante eines bestimmten Gens ein Mensch in sich trägt.

Basic Instinct (im Spielfilm gleichen Namens): Eine Genvariante ist für die unterschiedliche Erregbarkeit mitverantwortlich  
AP

Basic Instinct (im Spielfilm gleichen Namens): Eine Genvariante ist für die unterschiedliche Erregbarkeit mitverantwortlich  

Ein Gruppe israelischer Wissenschaftler untersuchte dazu 148 gesunde Studenten und Studentinnen. Per Fragebogen sollten sie Auskunft über ihr Sexleben geben. In Gentests untersuchten die Forscher dann, welche Variante des D4-Rezeptorgens die Probanden in sich trugen.

Zwischen den Selbstbeschreibungen über Begierde, Erregbarkeit und sexuelle Körperfunktionen und den Varianten von DRD4 gab es einen starken Zusammenhang, berichten Richard P. Ebstein von der Hebrew University in Jerusalem und seine Kollegen in der Fachzeitschrift "Molecular Psychiatry".

Eine bestimmte Mutation sorgte dabei für einen niedrigen Erregungsfaktor, das ist ein Messwert, den die Forscher aus den Ergebnissen der Befragung bildeten. Eine andere Variante des Gens führte hingegen zu einem größeren Erregungsfaktor.

Ausgerechnet jener soll eine recht junge Mutation sein, die erst vor rund 50.000 Jahren aufgetreten ist - etwa in jener Zeit, als Homo sapiens aus Afrika auszog. In vielen Populationen sei DRD4 so verteilt, dass rund 30 Prozent die Mutation für höhere Erregbarkeit trügen, 60 Prozent hingegen eine Variante, die sich eher hemmend auf die Lust auswirkt.

Hinweise aus Zwillingsstudien und Mäuseversuchen

Ein einzelnes Gen haben Wissenschaftler bislang nicht für solche weitreichenden Unterschiede verantwortlich gemacht. "Die Leute haben sich die generellen Auswirkungen des Erbguts auf das Sexualverhalten angeschaut", sagte Richard Ebstein zu SPIEGEL ONLINE, "aber es gibt nur sehr wenige Untersuchungen zu einzelnen Genen und keine in Verbindung mit dem Verhalten, das wir untersucht haben."

Bislang gab es nur begrenzte Hinweise aus Zwillingsstudien, dass Faktoren wie Erregbarkeit, Begierde und sexuelle Funktion vererbbar sein könnten. Aus Versuchen mit Mäusen sind indes Zusammenhänge zwischen ähnlichen Genen und der Erektionsfähigkeit bekannt.

"Solche Gene könnten sehr interessant für die Therapie werden", sagte Ebstein. Auch auf dem Gebiet der Lifestyle-Medikamente sieht er einen möglichen Einsatz.

Gen-Viagra oder lockerer Umgang?

Der Psychologe gibt aber zu bedenken, dass auch Viagra zunächst als Arznei für Menschen mit speziellen urologischen Problemen gedacht war, und dann aber als Mittel verkauft wurde, um beinahe jedermanns sexuelle Leistung zu steigern.

Er fährt fort: "Eine Konsequenz aus unserer Studie, die auf teilweise genetisch bedingte Unterschiede in der sexuellen Einstellung und im Verhalten der Menschen hinweist, könnte ja auch sein, dass es keiner Behandlung und Medikation bedarf, weil es alles 'normal' ist."

In ihrem Aufsatz weisen Ebstein und seine Mitautoren darauf hin, dass viele Verhaltensvarienten wie "geringes sexuelles Verlangen" ziemlich normal sein könnten - und keinesfalls die Folge einer Fehlfunktion. Was bislang als sexuelles Problem vom Psychologen behandelt worden sei, könne im 21. Jahrhundert Gegenstand genomikbasierter Medizin werden.

Dem Laien mag immerhin noch der Befund unplausibel erscheinen, dass mehr Menschen einen Sex-Hemmer im Erbgut tragen als einen genetischen Anmacher. Schließlich wird nach den Regeln der Evolution jenes Merkmal selektiert, das einen Vorteil dabei verspricht, sein eigenes Erbgut heil in die nächste Generation zu bringen.

Ebstein hat eine simple Erklärung: "Wer zu viel Zeit mit der Suche nach Sexualkontakten verbringt und sich entsprechend wenig um seine Kinder kümmert oder um das Familieneinkommen, der könnte am Ende als lausiges Elternteil dastehen - und so den Selektionsvorteil verspielen, mehr Kinder als der Nachbar in die Welt gesetzt zu haben."

stx

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