Platz 7: Sturm gegen Parma – Eine Flanke und die große Leere

Der unbekannte Mann direkt vor mir weinte. Es war das letzte Mal, dass ich einen Erwachsenen im Stadion vor Enttäuschung weinen sah. Es war der 9. Dezember 1999 und Sturm spielte gegen Parma. Parma. Ein Wort und alle Sturm-Fans haben…

© der Plankenauer
© der Plankenauer

Der unbekannte Mann direkt vor mir weinte. Es war das letzte Mal, dass ich einen Erwachsenen im Stadion vor Enttäuschung weinen sah. Es war der 9. Dezember 1999 und Sturm spielte gegen Parma.

Parma. Ein Wort und alle Sturm-Fans haben sofort die selben Bilder im Kopf. Mario Stanic auf der rechten Seite, wie er hilflos eine Flanke schlägt. Der Ball, der eine irre Flugbahn beschreibt. Pepi Schicklgruber, wie er kurz, aber dennoch zu lange überlegt. Die Diskussion mit dem Linienrichter. Das Bangen. Die Wut. Und dann die große Leere.

Als “kollektive Erinnerungsorte” bezeichnet die Wissenschaft solche Ereignisse. Aber das ist viel zu akademisch für “Parma”, für eine Spiel, das in der Erinnerung der Sturm-Fans so emotional besetzt ist – und daher in unserer Serie der legendären Spiele auf Platz 7 liegt.

Dem europäischen Höhepunkt entgegen
Für den SK Sturm war dieses Match das letzte vor der Winterpause und das letzte im zweiten Jahrtausend. In der Meisterschaft zeichnete sich die Wachablöse durch den FC Tirol bereits ab, in Europa steuerte die schwarz-weiße Elf aber erst dem Höhepunkt entgegen. Durch Heimsiege gegen Croatia Zagreb (1:0) und Olympique Marseille (3:2) wurde die Champions-League als Gruppendritter abgeschlossen, damit durfte Sturm in der 3. Runde des UEFA-Cups weiterspielen.

Dort wartete der AC Parma. Die Italiener waren damals eine echte Größe im europäischen Fußball und auch Titelverteidiger: Nur sechs Monate zuvor sicherte sich Parma in Moskau mit einem 3:0 gegen Marseille den UEFA-Cup. Der Kader der Italiener war gespickt mit großen Namen: Gianluigi Buffon, Lilian Thuram, Fabio Cannavaro, Alain Boghossian, Dino Baggio, Mario Stanic, Ariel Ortega, Marco Di Vaio, Hernan Crespo.

Hoffnung auf die “Jahrtausendchance”
Das Hinspiel im fast leeren Stadio Tardini ging mit 1:2 verloren, Markus Schopp erzielte das Tor für die Grazer. Die Hoffnungen vor dem Rückspiel waren dennoch groß. Der Kurier witterte “eine Jahrtausendchance”. Sollte sie genutzt werden, verspräche Präsident Hannes Kartnig jedem Spieler 100.000 Schilling Prämie.

Das Spiel begann aber denkbar schlecht: Bereits nach fünf Minuten trifft Stanic zur Führung für Parma. Aber danach sahen die Sturm-Fans ihre Mannschaft auf dem Höhepunkt des Schaffens. Obwohl Ferdinand Feldhofer, Gerald Strafner und Günther Neukirchner innerhalb kurzer Zeit verletzt vom Platz mussten, fightete, nein, spielte sich Sturm in die Verlängerung. Zuerst traf der eingewechselte Hannes Reinmayr in der 66. Minute mit einem satten Schuss aus 16 Metern. In der 87. Minute schlug dann Ivica Vastic mit einem genialen Heber zu.

Danach war Sturm entfesselt und zeigte eines der besten Spiele in der Klubhistorie. Nach einem Gestocher im Strafraum schlug Reinmayr in der 94. Minute zum zweiten Mal zu: 3:1. Jetzt war die Sensation zum Greifen nahe, Reinmayr vergab die Chance auf seinen dritten Treffer und damit die Vorentscheidung.

Sekunden wie Stunden
Aber wie aus dem Nichts fiel in der 110. Minute das legendäre “Parma-Tor”. Journalisten sind oft mit dem Wort “dramatisch” bei der Hand, hier trifft es zu. Das ganze Stadion stand während des Gesprächs zwischen Schiedsrichter Mirsolav Radoman und seinem Assistenen Ivica Kusovac, das gefühlte Stunden dauerte. Immer wieder schien die Entscheidung gefallen, dann wieder doch nicht, ehe Radoman definitiv auf Tor entschied.

Der Rest des Spiels war nur noch Makulatur. Sturm war gebrochen, Crespo erzielte kurz vor Ende noch den Ausgleich. Radoman brauchte beim Verlassen des Spielfelds Polizeischutz, ein Schuh flog in seine Richtung. “Ein beispielloser Skandal”, zetterte Rudi Hinterleitner tags darauf im “Kurier”. “Der SK Sturm darf sich betrogen fühlen”, titelte Sportchef August Kuhn in der Kleinen Zeitung. “Drama im Schwarzenegger-Stadion”, stand in der Kronen Zeitung.

Kommentar von Herbert Troger
Im August 1999 schaffte der zweifache Meister Sturm mit dem 2:2 in Genf sensationell abermals den Einzug in die Champions-League. Während in der Meisterschaft Licht – 5:0 gegen GAK – und Schatten – Heim-0:1 gegen FC Tirol, 0:2 gegen Salzburg – wechselten, hatte die Osim-Truppe international aus dem Vorjahr gelernt. Die Heimsiege gegen Croatia Zagreb (1:0, Goldtor Kocijan) und vor allem gegen Olympique Marseille (1:0 durch Mählich, zweimal die Führung durch Kocijan) waren eine Sensation, das ehrenvolle 1:2 bei Manchester United in Old Trafford ein Ruhmesblatt in der rotweißroten Europacup-Geschichte. Rang drei in der CL-Vorrunde garantierte Sturm den Einstieg in den UEFA-Cup, während man in der Meisterschaft hinter dem FC Tirol, bei dem damals auch das Geld abgeschafft war, zurücklag.

Das Rückspiel gegen den AC Parma nach dem 1:2 von Parma am 9. Dezember 1999 ist tatsächlich unvergessen. Nicht nur die Stimmung im damaligen Schwarzenegger-Stadion war phänomenal. Mit dem Selbstvertrauen des Marseille-Spiels und auch eines 3:1 gegen Rapid im Rücken steckten Reinmayr, Vastic und Co das frühe 0:1 durch Stanic in der 5. Minute weg und legten in Hälfte zwei ein wahres Feuerwerk auf den Rasen. Beim Vastic-2:1 drei Minuten vor Schluss der regulären Hälfte ahnten wir bereits den nahenden Triumph und als dann Reinmayr in der Verlängerung auf 3:1 stellte träumten alle Sturmfans bereits vom Aufstieg. Ehe dann Pepi Schicklgruber das Malheur passierte, den Ball direkt an der Torlinie zu fangen…

Die Enttäuschung und Wut waren grenzenlos, ähnlich wie 15 Jahre zuvor beim Ausscheiden gegen Nottingham Forest. Doch Sturm zerbrach nicht, schon einen Tag später – bei der Weihnachtsfeier im Landhaushof und dann im Stefaniensaal – lebte der Sturmgeist wieder. Beinahe hätte man im Frühjahr 2000 noch den FC Tirol abgefangen, doch auch als Vizemeister gelang 2000 zum dritten Mal en suite der Einzug in die Champions-League – und dann war bald jeder Kummer über Parma, Schiri Radoman und Schiri-Assistent Kusovac vergessen.

Spieldaten
Sturm Graz – AC Parma 3:3 n.V. (2:1, 0:1)
UEFA-Cup, 3. Runde
Donnerstag, 9. Dezember 1999, 18:00 Uhr – Liebenau – 13.433 Zuschauer – SR: Radoman

Tore
0:1 Stanic (5.)
1:1 Reinmayr (66.)
2:1 Vastic (87.)
3:1 Reinmayr (95.)
3:2 Stanic (108.)
3:3 Crespo (120.)

Gelbe Karten
Baggio (12./Foul)
Mählich (13./Kritik)
Strafner (26./Unsportlichkeit)
Feldhofer (43./Foul)
Walem (74./Foul)
Cannavaro (76./Foul)
Thuram (78./Foul)
Vastic (100./Kritik)

Sturm Graz
Schicklgruber – Neukirchner (64. Angibeaud), Feldhofer (56. Reinmayr), Strafner (60. Foda) – Schopp, Mählich, Korsos, Prilasnig, Minavand – Vastic, Kocijan

AC Parma
Guardalben (76. Micillo) – Thuram, Cannavaro, Torrisi – Serena, Boghossian, Walem, Baggio (71. Breda), Vanoli – Stanic, Di Vaio (46. Crespo)

Ein Rückblick von Jakob Traby

Dieser Rückblick ist Teil der Sturm12.at-Serie “Sturm Graz – 12 legendäre Spiele”. Von 23.12. bis 03.01. wird täglich eine Partie vorgestellt. Gewählt wurden die zwölf Spiele von Sturm-Historiker Herbert Troger und dem Sturm12.at-Team.

Das Spiel gegen Parma wurde auf Platz sieben gewählt.

Sturm Graz – 12 legendäre Spiele
Platz 12: Austria ’48
Platz 11: Admira ’96
Platz 10: Rapid ’80
Platz 9: FavAC ’93
Platz 8: Hellas Verona ’83
Platz 7: Parma ’99
Platz 6: Austria ’98
Platz 5: Nottingham Forest ’84
Platz 4: GAK ’97
Platz 3: GAK ’99
Platz 2: Arsenal ’70