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Special: Rezensionsprojekt Winnweiler (2005) > Rezensionen > Indridason, Arnaldur: Nordermoor |
Arnaldur
Indridason: Nordermoor. Island Krimi. Der isländische Autor Arnaldur Indridason wurde 1961 geboren und arbeitete als Journalist und Filmkritiker bei Islands größter Tageszeitung in Reykjavik. Dort lebt er auch heute als freier Autor mit seiner Frau und den drei gemeinsamen Kindern. Sein Kriminalroman "Nordermoor" sowie das darauffolgende Werk "Todeshauch" erhielten jeweils in den Jahren 2002 und 2003 den "Nordic Crime Novel's Award", was zu einem beispiellosen Erfolg in der Geschichte dieses Krimipreises zählt. Den anfänglichen Haupthandlungsort stellt die Wohnung eines Ermordeten namens Holberg dar, auf dessen Bauch die Kommissare Erlendur, Elinborg und Sigurdur Óli einen Zettel mit einer verschlüsselten Nachricht vorfinden. Der 69-jährige Tote scheint ein Geheimnis zu bergen, das niemand kennt - außer dem Mörder. Längere Recherchen schließen auf eine düstere Vergangenheit: So wurde Holberg vor fast vierzig Jahren von einer Frau wegen Vergewaltigung angezeigt, jedoch freigesprochen. Das Opfer hatte sich wegen ihrer - an einem Gehirntumor - gestorbenen Tochter das Leben genommen. In Holbergs Schreibtisch findet die Spurensicherung eine Fotografie vom Grab des Mädchens. Ist sie Holbergs Tochter gewesen? Lässt sich dies mittels einer DNA-Analyse aufklären? Vermeintliche Lösungsversuche bringen weitere Verbrechen und daraus resultierende Folgen zum Vorschein, mit denen Holberg in gewisser Weise im Zusammenhang steht. Von einem Inhaftierten, der einst mit Holberg befreundet war, erfahren Erlendur und Sigurdur Óli von einer zweiten Vergewaltigung, mit der Holberg geprahlt hat. Eine zusätzliche Information ist, dass der Ermordete eine Schwester hatte, die allerdings auch auf Grund eines Gehirntumors nicht mehr lebt. Wurde dieser bereits vererbt? Ebenso hat er einen Sohn, der durch die zuletzt begangene Vergewaltigung gezeugt wurde und Zugang zu einer DNA-Datenbank in einem Genforschungszentrum hat. Das Interesse des Sohnes für Erbkrankheiten beruht auf dem Tod seiner Tochter, der lange Zeit als ungeklärt galt. Ist eine geschlechtsgebundene Vererbung des Rätsels Lösung für den Tod des Mädchens? Wollte der Mörder Holbergs sich an ihm als Überträger der Erbkrankheit rächen, um dem Alptraum ein Ende zu setzen? Gleich zu Beginn des Krimis ist uns aufgefallen, dass sich alle beteiligten Personen duzen, was zu einer sehr persönlichen Atmosphäre beiträgt, an die sich der Leser jedoch erst gewöhnen muss. Wenn man mit den vielen isländischen Namen vertraut wird, lässt sich das Buch auf Grund seiner leicht verständlichen Schreibweise zügig lesen. Der Autor hat es geschafft, unmittelbar am Anfang Spannung zu erzeugen, die auch während teilweise längerer Dialoge nicht verloren geht. Die Neugierde des Lesers wird durch die anfängliche Geheimhaltung der Nachricht auf dem Zettel der Leiche geweckt. Erst zur Mitte des Romans kommt es zur Auflösung. Wegen des typisch isländischen Wettergeschehens - Dauerregen, Kälte, Sturm - werden bei dem Leser synästhetische Reize geweckt. Ein leichtes Frösteln hält während der gesamten Handlung an. Indridasons Charaktere weisen alle ein scharfes Profil auf, wobei besonders die Beschreibung der Hauptfigur Erlendur beeindruckt. Das unstete und problematische Leben des gestressten Kommissars sorgt in seiner detaillierten und präzisen Charakterdarstellung zudem für reale Nähe. Erlendur, seit zwanzig Jahren geschieden, kein Kontakt zu seiner Exfrau und nur selten Kontakt zu seinen zwei erwachsenen Problemkindern: Seine Tochter Eva ist drogensüchtig, hat Schulden bei finsteren Gestalten und erwartet zu allem Übel ein ungewolltes Kind. Auch sein Sohn hat mit seiner Drogensucht zu kämpfen. Oft bekommt der Leser den Eindruck vermittelt, Erlendur sei körperlich und mental am Ende. Diese Vorstellung wird jedoch durch sein temperamentvolles Handeln entkräftet. Zum weiteren Spannungsaufbau trägt eine Parallelhandlung bei, welche die eigentliche Handlung unterbricht bzw. hinauszögert. Eine Braut flüchtet von ihrer eigenen Hochzeit; der Grund bleibt dem Leser zunächst vorenthalten. Das Ganze ist sehr geschickt eingeflochten und sorgt für Abwechslung: Dazu tragen auch die unterschiedlichen Schauplätze bei, die von Indridason kunstvoll miteinander verbunden werden. Die weiteren Romane "Todeshauch" (2004) sowie "Engelsstimme" (2004) mit synonymen Charakteren folgten nach seinem großen Durchbruch mit "Nordermoor" (2003). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass "Nordermoor" ein sehr gelungenes Werk ist, das sich auf jeden Fall zu lesen lohnt. Einzige Kritik: Das Cover suggeriert ländliche Idylle, doch die Geschichte spielt in der Hauptstadt und ihren drögen Vororten. Katharina Baus, Verena Prägert © TourLiteratur
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