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Special: Rezensionsprojekt Winnweiler (2005) > Rezensionen > Indridason, Arnaldur: Todeshauch |
Arnaldur
Indridason: Todeshauch. Island Krimi. Viele handeln ihn schon als den neuen Henning Mankell. "Kann man sich dieser Meinung anschließen?", haben wir uns gefragt, als wir von dem zweifachen Gewinner des Nordischen Krimipreises Arnaldur Indridason gehört haben. Wie auch schon "Nordermoor" handelt "Todeshauch" von dem grimmigen Kommissar Erlendur, der mit seinen zwei Kollegen von der Kripo Reykjavik einen weiteren kniffligen Mordfall zu lösen hat. Der Autor Arnaldur Indridason, Jahrgang 1961, gehört spätestens seit der Erscheinung von "Nordermoor" (2000) zu Islands bedeutendsten Krimi-Autoren. Indridason hat, wie alle Isländer, eine Vorliebe für die Mystik und die Geschichte seines Landes, diese überträgt er auch auf seinen Kommissar Erlendur. Auf einem Kindergeburtstag fällt die Aufmerksamkeit eines jungen Medizinstudenten auf einen menschlichen Knochen, mit dem ein Baby unverdrossen spielt. Der Knochen führt die Geburtstagsgesellschaft zu einem Skelett, das in der kargen Einöde Islands vergraben liegt. Nun stellt sich die Frage: Wie kommt dieses an so einen verlassen Ort und - was noch wichtiger ist - wieso? Dies wird erst einmal nicht beantwortet, sondern ein weiterer Handlungsstrang eingeführt, indem zum ersten Mal ein Rückgriff in die Vergangenheit stattfindet. Es wird von einer Frau berichtet, die mit ihrem brutalen Ehemann und ihrer Tochter zusammenlebt. Die Tochter Mikkelína stammt aus einer früheren, glücklicheren Beziehung zu einem Seemann, der jedoch auf dem Meer umgekommen ist. Zunächst einmal wollen wir auf diesen Teil der Geschichte eingehen: Da ihre beiden Fluchtversuche scheitern, bleibt die Frau bei Grímur, ihrem Mann, trotz des andauernden Terrors. Ihre Tochter ist nach einer Hirnhautentzündung teils gelähmt, was zu brutalen Hänseleien des Vaters führt. Obwohl Mikkelína zwei Brüder bekommt und die Familie aufs Land zieht, ändert Grímur sein Verhalten nicht. Doch nachdem er ins Gefängnis muss, da er die nah bei seinem Wohnort angesiedelte Militärbasis bestohlen hat, verbessert sich die Situation im Haus. Als sich die Mutter dann noch mit einem ansässigen Soldaten anfreundet, scheint das Glück perfekt. Im gesamten Romanverlauf wechselt Indridason zwischen der in der Vergangenheit liegenden Handlung (um 1940) und den gegenwärtigen Ermittlungen. Mit den Nachforschungen an dem Mordfall werden Kommissar Erlendur, Sigurdur Óli und Elínborg beauftragt, die ein Geologenteam anweisen, den Toten auszugraben. Im Verlauf der ersten Untersuchungen stößt das Ermittlungsteam auf Benjamín Knudsen, einen ehemaligen Sommerhausbesitzer. Das Gebäude hat früher einmal auf einem Hügel in der Nähe der Leichenfundstelle bei drei Johannisbeersträuchern gestanden, welche Erlendur schon vorher bemerkt hatte. Diese Spur führt sie zu Elsa, der einzigen noch lebenden Verwandten von Knudsen, die den Beamten die Tragödie von Benjamíns Verlobter erzählt. Die Vermutung kommt auf, dass diese Verlobte, die ein Kind erwartete, nicht, wie man berichtet, ins Meer gegangen, sondern von ihrem Mann umgebracht und auf dem Hügel vergraben worden sei. Dieser Hinweis wird im weiteren Verlauf des Romans noch von größerer Bedeutung sein. Durch einen Tipp gelangen die Ermittler zu einem alten Mann, der früher einmal in der Nähe des Sommerhauses gewohnt hat. Eine "grün gekleidete, schiefe Frau" ist das einzige, woran er sich noch erinnert. Die Aufmerksamkeit des Kommissars richtet sich auch auf die Tatsache, dass während des Zweiten Weltkrieges britische sowie amerikanische Soldaten auf Island stationiert waren, also auch diese möglicherweise in den Mordfall verwickelt sein könnten. Das Archäologenteam kommt, um die Leiche und somit auch alle Spuren bestmöglich zu erhalten, mit den Ausgrabungen nur schleppend voran. Als sie endlich die gesamten Knochen freigelegt haben, finden sie nicht nur das Gerippe eines Erwachsenen, sondern auch das eines Babys. Ist Benjamíns Verlobte doch nicht ins Meer gegangen? Arnaldur Indridason verleiht einen kleinen Einblick in die isländische Kultur mit all ihren Mythen und Geschichten. So lässt uns der Autor an dem Schicksal einer Frau teilhaben, deren letzter Weg ins Meer geführt haben soll. Außerdem ist positiv aufgefallen, dass das in Island übliche "Du" bei der direkten Anrede auch in der deutschen Übersetzung beibehalten worden ist. Sprachlich gewandt vereinbart der Autor die Elemente eines Kriminalromans mit einer bewegenden Familientragödie. Indridason beschreibt eindringlich die physische und vor allem auch die psychische Gewalt, die der Mann seiner Ehefrau antut. Durch die packende Schreibweise fühlt der Leser sich mit dem Martyrium der terrorisierten Frau verbunden. Die Charaktere, insbesondere die des Kriminalteils, sind facettenreich und gut entwickelt. Gerade der verbitterte Kommissar Erlendur repräsentiert den typischen Isländer, der von dieser Einöde geprägt worden ist. Doch die beiden parallel verlaufenden Handlungsstränge bringen auch Nachteile mit sich, da die zwei Erzählungen fast ohne erkennbare Trennungen ineinander übergehen. Leider muss man feststellen, dass die um 1940 spielende Handlung wenig zum Spannungsaufbau der Kriminalgeschichte, die eigentlich im Vordergrund stehen sollte, beiträgt. Durch diese Eindrücke aus der Vergangenheit werden zu viele Hinweise auf den möglichen Tathergang des Mordes geliefert. Somit hat der Roman an Spannung eingebüßt, da man bald den weiteren Verlauf vorhersehen kann. Abgesehen von dem Rückblick werden in "Todeshauch" noch weitere Nebenhandlungen eingeführt, wie zum Beispiel die Einblicke in das Leben von Erlendurs drogenabhängiger Tochter, die auf melodramatischer Ebene die Gefühle des Lesers ansprechen, und auch die privaten Probleme eines Kriminalkommissars offen legen. Vor allem ist es bemerkenswert, wie Arnaldur Indridason es versteht, aktuelle Themen aufzugreifen: Vor allem geht er in seiner Novelle auf die heutzutage immer noch präsente Gewalt im familiären Umfeld ein, wie auch auf die allgegenwärtigen Drogenprobleme Jugendlicher. Prinzipiell ist der Roman Freunden der isländischen Kultur zu empfehlen, allerdings wird "Todeshauch" wohl kaum den Geschmack eines Krimifans treffen. Janina Czas, Kristina Haberer © TourLiteratur
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