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Special: Rezensionsprojekt Winnweiler (2005) > Rezensionen > Nazer, Mende: Sklavin (II) |
Mende Nazer
(Damien Lewis): Sklavin. Autobiographie.
Bei dem Roman "Sklavin" von Mende Nazer handelt es sich um eine Autobiografie. Aufgewachsen in den Nuba-Bergen des Sudan führte die Autorin ein erfülltes Leben als Tochter eines Rinderzüchters. Diese glückliche Zeit nimmt ein plötzliches Ende, als arabische Militärmilizen ihren Stamm überfallen, das Dorf niederbrennen und die überlebenden Kinder entführen. Von Sklavenhändlern wird sie schließlich an eine wohlhabende arabische Familie verkauft, wo sie von nun an ein menschenunwürdiges Leben führt. Dort wird sie gezwungen, alle anfallenden Arbeiten zu verrichten, wird psychisch gequält und körperlich misshandelt. Ihre Besitzer nennen die Autorin nicht einmal bei ihrem richtigen Namen Mende, sondern rufen sie "Yebit", was soviel bedeutet wie "Mädchen, dass es nicht wert ist, einen Namen zu tragen". Im Laufe der Zeit fügt sich die Protagonistin immer mehr in ihr Schicksal und leidet - von Selbstmordgedanken verfolgt - still vor sich hin. Sie wird sogar an die Schwester ihrer Herrin verliehen, um in London zu dienen. Deren Mann arbeitet an der Botschaft, weiß, dass Sklaverei in der westlichen Welt gesetzlich verboten ist und hat trotzdem keinerlei Skrupel, gegen die Menschenrechte zu verstoßen. Demnach geht es der Autorin in ihrem neuen Heim nicht wesentlich besser, doch gestattet die neue Familie ihr das Haus zu verlassen, sodass Mende aus ihrer Einsamkeit herauskommt. Diese Freiheiten nehmen ein Ende, als ihre Besitzerin fürchtet, dass die Protagonistin flieht. Mit Hilfe einer befreundeten Familie und anderen bekannten Nuba gelingt Mende schließlich die Flucht, während ihre Herrin und deren Mann in Urlaub sind. Allerdings bedeutet die Flucht aus der Sklaverei nicht zugleich ein Ankommen in der Freiheit. Ein schwieriger Kampf um die Staatsbürgerschaft und gegen die Abschiebung, die ihren Tod bedeuten würde, steht Mende Nazer bevor. Die schicksalhafte Autobiografie ist chronologisch aufgebaut, beginnt 1992 und reicht bis ins Jahr 2003. Dabei macht die Autorin keine großen Gedankensprünge, sodass der Roman sch fließend lesen lässt und keine Fragen über die Stimmigkeit aufkommen. Leider enttäuscht der Schreibstil, weil der Leser das Gefühl hat, dass die Autorin über keine rhetorischen Qualifikationen verfügt. Dies wird auch dadurch deutlich, dass Mende Nazer Unterstützung von einem Journalisten bekommen hat, der ihr half, das Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Die Sprache des Romans ist einfach und abwechslungsarm, aber genau das Richtige zum Entspannen. Wenn der Leser hingegen eine literarische Meisterleistung erwartet, wird er mit Sicherheit enttäuscht werden. Ein Vergleich drängt sich auf: Ebenso wie Waris Diries Bestseller "Wüstenblume" befasst sich Mende Nazers gleichlange Biografie sehr authentisch mit Problemen in Afrika, wie zum Beispiel mit ritueller Genitalverstümmelung und Polygamie. Im Gegensatz zu Waris Dirie, die dem Thema Beschneidung fast ihr gesamtes Werk gewidmet hat, geht Mende Nazer nur am Rande darauf ein. Dafür beschreibt Mende Nazer ihr Schicksal, als Sklavin missbraucht worden zu sein, intensiv und anschaulich. Obwohl "Sklavin" etwas umgangssprachlich verfasst ist, spielt es – genau wie "Wüstenblume" – eine große Rolle bei der Aufklärung der westlichen Welt über Bräuche und Riten, wie sie bei uns nicht vorstellbar sind. Die beiden Autorinnen teilen sowohl ihre schönsten als auch grausamsten Erfahrungen auf eine sehr persönliche Art und Weise mit dem Leser. Mende Nazer kann, als "kleine Schwester" Diries, die Botschafterrolle der beiden überzeugend weiterführen und gleichzeitig auch auf deutliche Missstände der westlichen Kultur aufmerksam machen. Das Buch "Sklavin" ist auf jeden Fall lesenswert. Mende Nazer gibt einen tiefen Einblick in ihre Gefühle und ermöglicht auf diese Weise, dass der Leser sich in ihre Lage versetzen kann. Die Autobiografie beschreibt die Umstände in Afrika so gnadenlos, dass wir es fast nicht glauben können. Obwohl die Protagonistin ihren Roman auf ihre Erfahrungen stützt, fiel es uns anfangs schwer zu verstehen, dass Sklaverei auch heute noch so widerstandslos hingenommen wird. Fragen wie: "Warum tun die westlichen Mächte nichts?", "Wie kommt es, dass mitten in England eine Sklavin gehalten werden kann?" und "Wie geht es mit den dort lebenden Sklavinnen weiter?" beschäftigten uns tagelang. "Sklavin" ist schockierend, aber dennoch lesenswert, denn nur durch das Bekanntwerden von Problemen können diese behoben werden. Wer sich für Afrika und Frauenschicksale interessiert, sollte "Sklavin" unbedingt lesen. Anna Marei Horst, Ann-Kathrin Scheuermann © TourLiteratur
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