Rezensionen 2005

Toni Bernhart, Martinisommer.
Innsbruck: Skaraabeus, 2005.


Vier Stücke über tote Kinder, depressive Reiseführer und arbeitslose Germanistinnen

Martinisommer – in Österreich auch als Altweibersommer bezeichnet – ist ein Sommer, der eigentlich nichts mehr mit Sommer zu tun hat. Dementsprechend warm und innig gestalten sich auch die Beziehungen der Figuren in Toni Bernharts Stücken Martinisommer, von da nach dort und zu mir zurück, Monolog eines Reiseführers zulasten des Busfahrers und Liebeskontor.
Ein kalter Schauer läuft dem Hörer nicht nur bei Martin Sailers Hörspielproduktion des Stückes von da nach dort und zu mir zurück beim Geräusch des Packeises, das nur im Zeitraffer hörbar wird. Vielmehr machen die Beziehungen, die sich durch eine Eiseskälte auszeichnen, frösteln. Nur mehr über technische Hilfsmittel wird in dem Stück kommuniziert, man telefoniert oder funkt, als man sich aber endlich treffen sollte, kommt keine Antwort mehr.
Die Verbindung zwischen den Figuren ist auch im ersten Stück Martinisommer, das dem Buch den Namen gibt, nicht mehr möglich. Wie Dominosteine reihen sich Gespräche zwischen Mann und Frau, Frau und Junge, Junge und Mann usw. aneinander. In diesem getrennten Nebeneinander der Stimmen wird das Abgestor-bensein noch deutlicher als im Tod des Jungen oder in den augenlosen Puppen. Traum und Wirklichkeit verschwimmen in der Handlung, was aber immer deut-licher wird, ist eben die Gefühlskälte und Isolation der Figuren. Der Junge ist alleine, die Mutter und der Mann, der vermeintliche Mörder des Jungen ebenso. Sein Ver-hältnis zum Opfer erinnert an Falkos Song Jeanny, in dem das Opfer auch seiner Hoffnungen und Träume beraubt wird.
Mann               Ihre Mutter?
Der Junge        Ist auch alt.
Mann               Ich kannte Ihre Mutter sehr gut.
Der Junge        Eigentlich ist sie tot.
Mann               Das tut mir Leid. Sie wohnte früher in meinem Haus.
Der Junge        Ja. (S. 27)
Was die Dialoge so messerscharf macht, ist ihre Kürze. Die sprachlichen Schnitte werden präzise an der offenen Wunde des Gegenübers angesetzt. Ellipsen unter-stützen den abgehackten Stil, der kein Miteinander zulässt. Beim Drucken des im Skarabaeus-Verlag erscheinenden Buches hat sich ein Fehler eingeschlichen, der gerade diese tödliche Stimmung, was Beziehungen betrifft, gut wiedergibt. Da spuckte die Maschine einen schwarzen Umschlag mit den verwackelten Buchstaben aus, der nicht so weit abfehlt.
Aber auch für den eigentlich vorgesehenen orangen, jetzt produzierten Einband gibt es gute Gründe. Einer absoluten Schwarzmalerei setzt Toni Bernhart Stoffe entgegen, die sich auf komische Art und Weise mit der Gesellschaft auseinandersetzen und mit Themen kommunizieren, die im Rahmen der Gespräche zitiert werden. Da ist zum einen Monolog eines Reiseführers zulasten des Busfahrers und zum anderen Liebeskontor. Der Busfahrer, der im Titel erwähnt wird, kommt im Monolog nur ein einziges Mal vor. Zwischen dem Zehn-Kapellen-Weg, einer Schwazer Sehenswürdigkeit, und einer psychologisch aufschlussreichen Toilettenpapierstudie, die dem Reiseführer in Form einer Werbeaktion auf der Straße und als für die Stadt und sein Leben wichtige Passage erscheint, spricht der Reiseführer den Busfahrer an:
Herr Josef, fahren Sie bitte langsamer, weil wir jetzt in einer sehr interessanten Gegend sind. (S. 50)
Ansonsten prasseln auf den Zuhörer Informationen zu Schwazer Sehenswürdigkei-ten, Belanglosigkeiten und Persönliches in wildem Durcheinander ein. Fast möchte man flüchten und spürt die letzte Frage des Reiseführers wie eine Drohung im Nacken:
Wenn Sie etwas fragen möchten, fragen Sie mich. (S. 60)
Im letzten Stück Liebeskontor wird ein Überlebensversuch zweier Geisteswissen-schaftlerinnen dokumentiert, die versuchen, durch ein joint venture zwischen dem ältesten Gewerbe der Welt und Vorträgen zu unterschiedlichsten Themen der universitären Orchideenfächer wie „Barockmystik am Beispiel Urich von Federspiels Hirlanda1, „relationale Semiotik in der Propaganda der Stalin-Ära“ oder „Interkulturelle Kommunikation im Internet als neuronalem Netz unter besonderer Berücksichtigung von Benjamin und Améry“. Geehrt für ihr Engagement sind die Betreiberinnen des Liebeskontors nicht einmal in diesem Gewerbe konkurrenzlos.

- Fortsetzung folgt hoffentlich -

Barbara Hoiß


1)Hirlanda spielt immer wieder eine Rolle in Bernharts Stücken, er edierte die Handschrift auch selbst: Hirlanda. Durch falschheit zu feir verdamte unschuld. Edition des Legendenspiels nach der Laaser Handschrift von 1791. Wien: Folio Verlag 1999.