Rezensionen 2005

Elfriede Kehrer, lichtschur.
Innsbruck: Skarabaeus, 2005.


2001 erschien - etwas abseits vom lauten Strom der Neuerscheinungen - der erste Gedichtband von Elfriede Kehrer, ein bibliophiles Buch, gedruckt in der Handpresse der Edition Thanhäuser in einer Auflage von 99 Stück mit dem Titel „an den riffen des lichts“. Ludwig Hartinger schrieb am Ende des Bandes den Satz: „Elfriede Kehrers Dichtungen, subtile Wortgebilde, blättern eine kleine Licht-Kunde auf, im Jahres- & Tageszeiten-Kreis.“ Nun ist der zweite Lyrikband der Autorin, die an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Fritz Wotruba Bildhauerei und Kunsterziehung studierte, im Innsbrucker Verlag Skarabaeus erschienen. Er trägt den ungewöhnlichen, gleichwohl an den ersten Band erinnernden Titel „lichtschur“, eine Wortneuschöpfung, die vieles offen lässt, die dem manchmal arg strapazierten Wort Licht eine unentdeckte, neue erfundene Bedeutung unterlegt. Ein Wort als Richtungsweiser für das Lesen - wer tief hineinliest, nimmt die Erträge dieser „Schur“ ungewöhnlicher Naturbeobachtungen, ungeahnter Perspektiven des Sehens wie Empfindens mit. Wortneuschöpfungen kommen in den Gedichten im Übrigen eher selten vor, die Autorin findet mit dem vorhandenen Wortreichtum ihr Auslangen. Formal variieren die Texte freie Rhythmen, nützen Wortklang, Alliteration, beugen sich auch strengen Strukturen, beispielsweise dem japanischen Haiku. Wie programmatisch klingt dies: „im augenbogen / geboren / das wort“ (S. 37) Feinlinige Zeichnungen nach Motiven der Natur von Franz Kehrer begleiten die Texte des schmalen Bandes.
Das Licht ist zentrales Element der Gedichte, das alles Wahrgenommene erst ins Sichtbare hebt, in Farben taucht, oszillieren lässt. Es sind zarte Geflechte, die so reduziert sind, dass sie durchscheinend und durchlässig für assoziative Gedankenkaskaden werden. Fünf Worte braucht die Autorin manchmal nur, dass die „sinne purzeln“ (S. 51). Immer wieder kehrt das irisierende Spiel von Licht und Schatten, werden Farbnuancen und Stimmungen mit wenigen Worten erzeugt, mit manchmal nur einem einzigen Satz, der eine schmale Linie in den Horizont vieler möglicher Bedeutungen zieht. Ein äußerst zurückhaltendes lyrisches Ich begegnet der Leserin, dem Leser, ein Ich, das sich zurück zu nehmen weiß ohne zaghaft zu wirken, das vielmehr dem visuellen Eindruck, den ineinander klingenden Wörtern oder dem durch äußerste Reduktion freigelegten Sinn Raum zu geben versteht. In den Zwischenräumen der Zeilen und Wörter nisten Befindlichkeiten und Emotionen, dort entsteht jene Spannung, die zum Weiterlesen drängt, zum Nachdenken und Wiederlesen.
Die zuweilen spielerische Wort-Kombinatorik, die Vers-Verbindung einzelner Begriffe, die so normalerweise kaum nebeneinander zu stehen kommen, macht den Reiz und wohl auch die Dichte der Texte Elfriede Kehrers aus, die übrigens den vorliegenden Band H. C. Artmann gewidmet hat. Dieser hatte die Publikation ihres ersten Gedichtbandes angeregt.     

Christine Riccabona