Rezensionen 2006

C. H. Huber, Kurze Schnitte.
Innsbruck: TAK – Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative 2005, 91 Seiten. 


Eine Schere als ambivalentes Symbol für kreative Gestaltung und Verletzung – beides klingt im gelungenen Titelbild an, auf dem die Spitze einer Schere in glänzenden Gitterstoff sticht. Kurze Schnitte heißt die Sammlung von 29 Texten: Ausschnitte aus dem Alltag, Teile von Gesprächen, Einschnitte im Leben werden aus verschiedenen Perspektiven, in verschiedenen Tonfällen und mit variierenden sprachlichen Mitteln eingefangen und den Lesern präsentiert.

Die Innsbruckerin C. H. Huber erprobt in ihrem nunmehr  dritten Buch nach dem Erzählband unter tag (1999) und der Lyriksammlung gedankenhorden (2000) ganz verschiedenartige Möglichkeiten des Schreibens: „Nicht zu Unrecht mit Kurze Schnitte betitelt“, schreibt Christoph W. Bauer auf der Rückseite dieses schön gestalteten Buches, „führt einen diese Prosa, voll mit überraschenden Wendungen, lesend durch die vielen inhaltlichen und sprachlichen Register einer Autorin, die bei aller Spracharbeit nie auf das zweite Standbein eines gelungenen Textes verzichtet: Emotionalität.“ Emotional sind die Texte in der Tat: Wut auf plakatierte Schönheiten, Kritik an „rücksichtsloser Gewinnmaximierung“, aber auch Freude über einen blauen Himmel und ein wogendes Meer in der Bauchhöhle sind Themen der Kurzen Schnitte.

Besonders schön ist die Geschichte „Laura liest“, denn hier wird ohne Anflug von Kitsch ein Bild der Idylle gemalt, einer Idylle allerdings, die hart erkämpft ist. Auf ihrer Terrasse findet Laura ihr Paradies, stellt sich den Himmel als Bibliothek und ihren Körper als Bienenstock vor, hört Chris Rea und liest Marlen Haushofer. Das alles unter einem blauen Himmel, vom warmen Föhn umspielt.  Kleines, gemütliches Glück – das sich auch nicht von missgünstigen Bekannten stören lässt. Scheinbar Unbedeutendes schätzen zu können ist auch Thema des viel leichtfüßigeren Textes „Die Wunderbaren“, eine Liebeserklärung an Erdäpfel: „Ich liebe diese Damen. Diese unterschiedlich geformten mit den schönen Namen. Die ich sträflicherweise immer wieder vergesse.“
Ganz anders in Stil und Inhalt sind Texte wie „Erkenntnis“, in dem es (vordergründig) um den Toilettengang geht, und „Wendezeit“. Hier wählt die Autorin eine bewusst unliterarische Sprache, um der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Wie bei den meisten Schnitten  weisen die Titel den Weg von der vordergründigen Erzählebene zur dahinter stehenden ,Aussage’. Am extremsten, was die Stilebene betrifft, ist sicherlich „Andererseits“. In diesem kurzen Text reiht C. H. Huber negative Äußerungen über Menschen und über das Leben aneinander, in ,rappigem’ Ton: „Öde, total öde. Shit Life.”

In manchen Passagen dieser ,kritischen’ Texte wie auch in einigen Dialogen stellt sich freilich die Frage der Glaubwürdigkeit. Einiges wirkt ziemlich aufgesetzt, manchmal wird eine erzwungen wirkende aufklärerische Haltung über das Aufnahmevermögen eines Textes gestellt (was sich beispielsweise in inhaltlich überladenen Dialogen widerspiegelt, vgl. „Zwischen Tür und Angel“). Den erhobenen Zeigefinger hat die Autorin eigentlich nicht nötig – gerade die versteckten, ,stillen’ Botschaften sind es, die letztendlich hängen bleiben.

Zwei große Themen, die C. H. Huber immer wieder aufgreift, sind die Liebe (ihr Aufblühen, ihr Vorhandensein, aber auch der Mangel daran) und der Unterschied zwischen Mann und Frau, der häufig (noch) zum Nachteil der Frauen ist. Trotz scheinbarer Überwindung von Oberflächlichkeiten und  der Emanzipation im 21. Jahrhundert fixiert der Mann im Text „Sonntagsmesse“ entgegen seinen verbalen Beteuerungen letztendlich doch die hübschen Formen einer Zeitschriftenschönheit und wird der oben erwähnten lesenden Laura „mindestens“ ein Liebhaber unterstellt – anders scheint ihr familienloser Aufenthalt im einsamen Atelier nicht erklärbar. „Traurig, die mangelnde Solidarität unter den Frauen!“ – eine seufzende Feststellung, die sich durch mehrere Texte zieht.

Auch Enttäuschung und Schmerz spart Huber in ihren Kurzen Schnitten nicht aus. Statt Zuneigung Entfremdung, statt Liebe Verletzung, statt Offenheit Hintergehung: Ganz harmlos beginnt etwa der gelungene Text  „Handschriften“: „Papier färbt sich. Ein kleiner See entsteht. Seine unregelmäßigen Ufer verlaufen, wenn er das Blatt schräg hält. Finger, eine dunkle Hand bildet die verschüttete Tusche.“ Nicht aus Tusche sind die Abdrücke, die sich auf der Haut der jungen Frau finden. Und die Mutter meint nur lapidar, dass jeder seine Fehler habe ...

Mit Überlegungen zum „Gegenwind“, der in der heutigen Zeit weht, schließt der Band. Gemütlich im Gras liegt ein Freizeitläufer und schaut in den blauen Himmel. Aber es ziehen Wölkchen auf und mit ihnen Bilder von Arbeitslosigkeit, Autoabgasen, und ihn beschleicht die Angst, dass vielleicht „die Zeichen bald wieder auf Sturm stehen“. Noch kann er laufen, in teurer Bekleidung und mit kräftigen Muskeln – und darauf hoffen, dass sein Leben keinen Schnitt erfährt... 

Carolina Schutti