Rezensionen 2007
Gert Ammann, Luis Stefan Stecher - Der Malerpoet
Wien, Bozen: Folio, 2007
„Die Erfahrung, daß wir uns von einem bestimmten Etwas oder Nichts kein Bild machen können oder daß wir für ein Etwas oder Nichts keine Worte finden, ist für mich eine der Voraussetzungen für Poesie, für Kunst überhaupt.“ (Luis Stefan Stecher, in: Der Malerpoet, S. 25.)
Eine sorgfältig gestaltete Bildmonografie, soeben im Folioverlag erschienen, ist dem Südtiroler Autor und Künstler Luis Stefan Stecher gewidmet, der heuer seinen 70. Geburtstag gefeiert hat.
Der einführende Essay von Gert Ammann porträtiert den Künstler aus der Perspektive desjenigen, der den Künstler bereits über die Jahrzehnte hinweg wahrnimmt. Dabei führt Ammann den Leser und Betrachter an Luis Stefan Stecher über dessen Lebens- und Wirkungsraum heran. Er beschreibt zunächst das unvergleichliche Ambiente des Manhardhofes, eines Anwesens aus dem 15. Jahrhundert in Marling bei Meran, beschreibt das faszinierende Wechselspiel des bewusst stilisierten, auf historischem Boden entstandenen ‚Drinnen’ dieser Künstlerklause und dem sich selbst überlassenen ‚Draußen’ der Natur, um darin in wenigen Sätzen Stecher gleichermaßen zu positionieren wie zu portraitieren. Mit diesen Impressionen gelingt es Ammann, den Toscanello rauchenden Künstler als stille Hauptperson in diesem malerischen Kosmos zur Geltung kommen zu lassen. Erst dann erzählt Ammann die Herkunftsgeschichte und den Werdegang des Künstlers, erst dann folgen detailgenaue Studien zu einzelnen Gemälden und Projekten, die Gert Ammann in die Lebensgeschichte des Künstlers wie Mosaiksteine hineinlegt. Solchermaßen perspektivisch ausgerichtet blättert man in diesem Band mit Bildern im Kopf und denkt dabei die Umgebung Südtirols mit, wo sich Stecher, gebürtiger ‚Vinschger’, seit den späten fünfziger Jahren mit seiner Familie niedergelassen hat. Man denkt aber auch an das Wien der Nachkriegsjahre, wo Stecher an der Akademie der bildenden Künste im Umfeld der damaligen Aufbruchstimmung studiert hat. Man ist hingewiesen auf das Befasstsein und die Offenheit für religiöse Themen – Stecher hat mehrere sakrale Räume wie auch öffentliche Bauten künstlerisch ausgestaltet, – man bemerkt die für viele seiner Bilder typische Mischung aus Realismus und Surrealismus, die ihn oberflächlich gesehen in die Nähe der ‚Phantastischen Realisten’ bringt, aber auch seinen renaissanceartigen Malstil bei vielen Portraits, oder meint gar ein wenig Nähe zu Caspar David Friedrich bei dem einen oder andern Landschaftsbild feststellen zu können. Die Stilvielfalt des „Malerpoeten“ Luis Stefan Stecher ist bemerkenswert, und dem noch nicht genug: Neben dem malerischen Werk steht auch das eines Wortkünstlers. In den siebziger Jahren ist Stecher mit seinen „Korrnrliadr“ bekannt geworden, seinen Gedichten im Vintschger Dialekt, später ist er mit Gedichten und Aphorismen zum Thema Nähe und Ferne hervorgetreten, auch mit „Ateliergedichten“, in denen er unter anderem das Verhältnis Bild und Sprache auslotet, schließlich mit einem Kinderbuch (für seine Enkel).
Ein genussvolles Lesen, Schauen und Blättern in diesem Bildband, ein dem ‚Augensinn-folgen’ lässt hinter dem Werk einen aufmerksam Suchenden erkennen, einen wachen Denker, der Möglichkeiten und Wirklichkeiten – auch sprachlich – auf den Grund geht. Auf Wirklichkeiten muss man sich ganz einlassen, da gibt es keine halbnahen Distanzen: Einer seiner Aphorismen lautet: „Die Halbnähen sind das Augenmaß der Halbherzigen. Mit den Halbnähen verhält es sich wie mit den Halbwahrheiten. Zwei Halbwahrheiten zusammengezählt ergeben noch keine Wahrheit.“ (Annähernd fern, 2005, S. 108)
Besondere (Geburtstags)Beigabe zum Bildband ist ein Heft mit einem Titelbild der Künstlerin Karin Welponer. Es enthält Luis Stefan Stecher gewidmete Beiträge, Glossen, Briefe, kurze Essays von einigen seiner Weggefährten und Freunden: Gert Müller, Hans Wielander, Herbert Rosendorfer, Joseph Zoderer, Reinhold Messner, Gerhard Ruiss, Marjan Cescutti u. a. – zu lesen nicht nur als Reminiszenzen an gemeinsam Erlebtes, sondern auch als kulturgeschichtliche Zeitsplitter, als Momentaufnahmen einer der interessantsten Künstlerpersönlichkeiten Südtirols.
Christine Riccabona