Rezensionen 2008

Verein für Kultur Inzing (Hg.), andernWOrts
Skarabaeus 

“Where does it hide itself / like an unknown place of fairy tales / on which page of time?” (S. 36), heißt es in der Anthologie mit dem viel versprechenden Titel andernWOrts, die im EU-Jahr des interkulturellen Dialogs 2008 erscheint. Der bibliophile Band vereinigt Texte dreier in Wien lebender AutorInnen mit migrantischem Hintergrund, die auf Einladung des Vereins für Kultur Inzing drei Wochen in diesem Tiroler Ort verbrachten und Blicke von außen auf die Dorfgemeinschaft werfen sollten.
Die aus Istanbul stammende Seher Çahır schafft in ihrer Kurzgeschichte Vertraut nie einer Frau die Vision eines ausgestorbenen Dorfes, das im Wesentlichen einen Bäcker, einen Friedhof und eine Kirche zu bieten hat, abends die Gehsteige hochklappt, und den Protagonisten Bernhard König zusammenbrechen lässt: „Er konnte nicht aufstehen, weil sich ihm der Kopf einem Karussellritt gleich drehte.“ (S. 15) Die minutiöse Beschreibung der beklemmenden Erlebnisse Bernhard Königs erinnert motivisch an Thomas Glavinics Arbeit der Nacht, endet jedoch versöhnlich, denn der Leser wird damit überrascht, dass alles nur ein Traum war.
Interkulturell relevante Themen wie Heimatlosigkeit, Mehrsprachigkeit oder die Sicht auf die alte und neue Heimat spielen in Sarita Jenamanis Beitrag eine Rolle. Die indische Lyrikerin hat für die Anthologie einige eindrucksvolle und bilderreiche Gedichte in englischer Sprache geschrieben, die auch in deutscher Übersetzung abgedruckt wurden und dazu beitragen, die Sprachwelten anderer besser zu verstehen und die eigenen zu entdecken. Auch Jenamani ist beeindruckt vom Friedhof in Inzing:  „Church bell tolls / at midnight / for those who are already / sleeping peacefully in the yard.” (S. 30), und den ihr gebotenen Naturschauspielen: „Sky gets broken / like an eggshell.“ (S. 33) Zwei in Hindi beziehungsweise Oriya abgedruckte Gedichte sorgen für interkulturelle Atmosphäre, zeugen von Spracherwerb und Sprachverlust, vom Verdrängen der einen durch die andere Sprache oder vom Pendeln zwischen ihnen, ohne ihre Herkunft zu verleugnen.
Zuletzt wirft der im Iran geborene Architekt und Autor Sina Tahayori in seiner hintergründigen Erzählung Weiden unter dem Baum der Trauer einen fremdkulturellen Blick auf den Ort, in dem sich Kultur- und Stadt-Land-Differenzen auftun: „Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. In Wien ist man selten auf der Straße allein, sinniert er. Obdachlose und Junkies sorgen dafür, dass man sich nicht einsam fühlt.“ (S. 60) Und berichtet von einem menschenleeren Labyrinth, das neben Bäcker, Friedhof und Kirche aber noch einige versteckte Plätze zu bieten hat. Darin liegt der Reiz dieser Erzählung: Denn hinter den Klischees von „Mir kommt vor, die Berge wachsen hier jede Nacht um einen Meter“ (S. 67), Landluft und unzähligen Augenpaaren, die den Protagonisten Navid, einen ausländischen Architekten verfolgen, verbirgt sich eine homoerotische Liebesgeschichte, deren Schauplätze spannende Einblicke gewähren: ein nächtliches Schwimmbad, ein täuschend echter Bulle aus Metall, eine Maisplantage neben der Autobahn, eine Sitzbank am Innufer, eine Hinterbühne, auf der all jene zerbrechen, die nicht ins Dorfidyll passen.
Interessant ist auch Verena Teissls kulturwissenschaftlicher Abspann zur interkulturellen Literatur: Sie fasst zum einen das Verhältnis okzidentaler zu nicht okzidentaler Literatur in der humanistischen Fremdkulturvermittlung und der selbstgerechten Reiseliteratur des 17. – 19. Jahrhunderts zusammen, das mit dem Topos vom „Guten Wilden“ fremdkulturelle Stereotypen bekräftigte. Erst im Zuge der Gastarbeiterbewegung und der Entstehung des Massentourismus in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts kommen die Kulturen miteinander in Berührung, taucht damit erstmals ein Korrektiv auf. Zum anderen beleuchtet sie die wirtschaftlichen Aspekte von Migration und Tourismus, der mit seiner „vorauseilenden Anpassung“ (S. 85) auch in der Alltagskultur der Bereisten seine Spuren hinterlässt.
Das Projekt des Vereins für Kultur Inzing kann also ein beachtliches Ergebnis vorweisen. Ob mit solchen kurzfristigen Projekten ein Beitrag zum interkulturellen Dialog erbracht werden kann, bleibt – und dies lassen vor allem die solipsistischen Vorwörter des Buches vermuten – fraglich. Die Künstlichkeit des gut gemeinten Vorhabens erinnert an eine reality soap, wenn die zweifelsohne engagierten Veranstalter beispielsweise einer „möglichen Fraternisierung“ (S.8) der Gäste vorbeugen wollen oder schon im Vorhinein eine Antwort auf Was ist dieses Inzing für ein Raum? mit den Klischees Berge, Eingesperrtsein und keine Horizonte präsupponieren. Die AutorInnen verweisen denn auch auf die Engstirnigkeit da und dort, berichten von einer „Herzlich willkommen, aber „mir san mir“-Gesellschaft, in der für die Integration fremder Kulturen wenig Raum bleibt.

Birgit Holzner